Mittlerweile war es halb drei. Ich lag auf dem Sofa und versuchte mich mit irgendeinem bescheuerten Handyspiel abzulenken, als ich plötzlich einen Motor die Einfahrt hochkommen hörte. Ich sprang auf und schaute aus dem Fenster, erkannte Harrys Auto und lief zur Tür. Ich riss sie auf und lief ihm schon entgegen, während er gerade aus dem Auto stieg. „Sag mal, wo bleibst du denn?", rief ich ihm, gegen den ziemlich kräftigen Wind entgegen. „Ich hab mir Sorgen gemacht!" Er grinste und umarmte mich. „Tut mir leid. Ich musste noch was erledigen." Ich schaute zu ihm hoch: „Und was wäre das bitte?!" Wieder grinste er und dieses Grinsen kannte ich nur zu gut. Das hatte er als kleines Kind schon gemacht, wenn er etwas ausgeheckt hatte und gleich die Bombe hochgehen würde. „Das wirst du gleich sehen." Er drehte sich um und öffnete eine Hintertür seines Wagens und heraus kam ein Mädchen. Ein Mädchen, dass ich 3 Jahre lang gesehen hatte. Die einzige Freundin mit der ich noch Kontakt hatte beziehungsweise haben durfte. Vor mir stand Anni. Verdattert starrte ich sie an: „Nein." Sie lächelte und breitete die Arme aus. „Doch." Ohne so richtig zu wissen was ich tat fiel ich ihr um den Hals und drückte sie so fest ich konnte an mich. „Uff! Du erdrückst mich ja!", stöhnte sie. „Mir egal", antwortete ich. Sie lachte und löste sich von mir. „Warum hast du denn nichts gesagt?", immer noch verblüfft von ihrem Anblick schaute ich sie an und konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich vor mir stand. „Sollte ne Überraschung sein", sie lächelte. „Und es war total spontan. Harry hat mir vorgestern erst geschrieben und gefragt ob das passt." Ich drehte mich zu meinem Bruder um: „Du bist doch blöd!" „Hey, soll das etwa dein Dank sein?" Ich schubste ihn leicht: „Aber auch nur weil ich froh bin dich zu sehen. Danke." „Gern geschehen." Er schaute auf die Uhr: „Wenn wir pünktlich bei den Jungs am Flughafen sein wollen, müssen wir jetzt los." „Ich pack dann in der Zeit meine Sachen aus", sagte Anni und machte schon den Kofferraum auf. „Wie lange brauchst du denn?", fragte ich.
Wenig später hatten Harry und ich Anni nach drinnen begleitet, er hatte unsere Eltern begrüßt und wir waren losgefahren. Harry hatte gute Laune, er summte leise bei dem Song im Radio mit und warf mir einen Seitenblick zu: „Und, wie gefällt dir die neue Schule?" „Ist ganz ok", antwortete ich und zögerte. „Versprichst du mir, dass du es Mama und Papa nicht sagst, wenn ich dir was erzähle?" „Klar", Harry nickte und bog nach rechts in eine Straße ein, die zur Autobahn führte. „Eine Freundin von mir hat rausgefunden, dass... du mein Bruder bist." Harry wirkte zu meiner Überraschung nicht überrascht, sondern seufzte nur. „Eigentlich sollten wir es ihnen sagen, das weißt du." „Aber das alles ist doch schon ewig her!" Wieder warf er mir einen Seitenblick zu: „Mama und Papa machen sich einfach Sorgen um dich, das weißt du." „Ich weiß", ich schaute auf meine Schuhe. „Aber Elena würde sowas nie machen. Ich erzähl ihr am Montag die ganze Geschichte und bis dahin hat sie versprochen nichts zu sagen." Harry seufzte erneut: „Es ist deine Entscheidung. Ehrlich gesagt finde ich sie übertreiben es ein wenig." „Siehst du!" Es entstand ein Schweigen zwischen uns, in der ich aus dem Fenster starrte und mir wieder der Gedanke, der mir schon seit ich beschlossen hatte mit Harry mitzufahren, im Kopf herumspukte. Schließlich sprach ich ihn endlich aus: „Harry? Kennst du einen Tilman Pörzgen?" Ich schaute ihn nicht an, sondern auf das Lenkrad, an dem sich seine Hände jetzt verkrampften, sodass die Knöchel weiß wurden.
„Warum willst du das wissen?" Ich bemerkte wie verspannt Harry war und das bestätigte meine Annahme, dass er tatsächlich wusste, wer Tilman war und warum er ihn so sehr hasste. Ich zögerte ein wenig, aber dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte und auch, wie Tilman ihn beleidigt hatte.
Als ich fertig war, seufzte er und sein Griff um das Lenkrad lockerte sich, der bis dahin so fest gewesen war, dass ich befürchtet hatte er wolle es zerdrücken. „Erinnerst du dich noch an das Konzert vor zwei Jahren?" „Das mit der Massenpanik?" Er nickte und begann dann zu erzählen: „Du weißt ja selber noch, dass da alle auf einmal rauswollten. Niemand hat auf andere Rücksicht genommen. Ein paar Leute sind dabei verletzt worden. Am schlimmsten wohl ein kleines Mädchen, vielleicht 9 Jahre alt. Sie musste ins Krankenhaus gebracht werden und da ein paar Wochen bleiben. Die Ärzte haben alles versucht, aber am Ende konnten sie nichts mehr tun und jetzt ist sie querschnittsgelähmt. Ich wollte sie besuchen, aber ihre Familie wollte das nicht. Sie geben mir die Schuld und ich kann sie auch irgendwie verstehen, aber ich wollte sie unbedingt besuchen und mich entschuldigen. Verstehst du, ich wollte wenigstens irgendetwas tun. Also bin ich irgendwann einfach vor ihrem Haus aufgetaucht und dachte, dann müssten sie mich reinlassen. Ein Junge hat aufgemacht und als er mich erkannt hatte, hätte er mir fast eine reingehauen. Und dieser Junge..." „ist Tilman", beendete ich flüsternd den Satz und starrte entsetzt aus dem Fenster. Jetzt ergab alles einen Sinn. Wie er reagiert hatte, als ich Harry erwähnt hatte. Warum er niemanden zu sich nach Hause ließ. Wie verschlossen und trotzdem cool er immer wirkte.Harry warf mir einen Seitenblick zu. „Magst du ihn?" Ich zuckte mit den Schultern: „Kam mir erst ganz sympathisch rüber, dann total blöd und jetzt... keine Ahnung." Über uns flog mit lautem Rauschen ein Flugzeug auf die Erde zu. Wir waren jetzt nah beim Flughafen. „Mach dir nicht so viele Gedanken darüber ja?" Ich zuckte mit den Schultern, aber als er mir noch einen warnenden Blick zuwarf, nickte ich. Die restliche, kurze Fahrt sprachen wir kein Wort mehr.
Als Harry anhielt schnallte ich mich ab, lächelte ihn kurz an und lief dann zum VIP Bereich des Flughafens, an dem es berühmten Menschen möglich war ohne viel Aufhebens an- und abzureisen. Die Jungs warteten schon vor der Tür, die Kappen tief ins Gesicht gezogen. Schnell schaute ich mich um, ob irgendwer in der Nähe war, und weil ich niemanden sah, grinste ich breit und lief auf sie zu. Auch die Jungs erkannten mich jetzt. „Hey Kleines", rief einer von ihnen mit entgegen. „Hör auf mich so zu nennen! Ich bin 15!", rief ich zurück. „Also früher als kleines Kind hast du das immer gemocht." Ich boxte ihn gehen den Oberarm: „Blödmann!" „Komm her", er breitete die Arme aus. Ich umarmte alle nacheinander und wurde auch von ihnen mit dem Spitznamen begrüßt, den sie mir schon gegeben hatten, als wir uns das erste mal gesehen hatten. „Harry steht drüben auf dem Parkplatz. Wollen wir zusammen rübergehen oder lieber einzeln?" „Lieber einzeln", sagte Louis und gähnte. „Ich will nicht riskieren, dass uns irgendwer sieht." Ich nickte: „Ok, gebt mir 30 Sekunden Vorsprung." Niall schaute kurz auf die Uhr: „Wenn wir uns beeilen schaffen wir es sogar noch zur Essenzeit nach Hause." Ich grinste: „Immer noch verfressen was?" „Hey, ich hab seit dem Flug nichts mehr zwischen die Zähne gekriegt!" Ich verdrehte kurz die Augen und rief, schon im Weggehen, zurück: „Dann beeil dich mal lieber!" Und dieser kurze Augenblicke war der einzige dieses Tages, an dem ich nicht an Tilman dachte.
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Who knows who I am if nobody knows what's on my mind
FanficDie typische Liebesgeschichte: Sie kommt neu in die Klasse, er ist der Junge, den alle lieben und der tausende Verehrerinnen hat. Die beiden verlieben sich und Ende. Doch was ist, wenn sie ein Geheimnis hat, dass sie um jeden Preis geheim halten wil...