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Wir hatten uns beide keinen Zentimeter mehr bewegt und waren tatsächlich bei gedimmtem Licht eingeschlafen.
Folglich tat mir mein Nacken am Morgen schmerzhaft weh. Eine ganze Nacht im Sitzen zu schlafen war wohl nicht sehr optimal und ich würde es definitiv nicht mehr als Option erwägen.

Jedenfalls waren wir beide durch Leon's Wecker wach geworden, der leider Gottes schon um Sieben Uhr in voller Lautstärke geklingelt hatte.
Scheinbar musste er doch noch früher aufstehen als ich.
Was ich mir ja hätte denken können, schließlich hatte er einen festen Beruf und somit auch feste Arbeitszeiten, wenn man das so nennen konnte.
Ich war schon echt neidisch, dass Leon's Beruf auch gleichzeitig sein Hobby war.

"Also, dann hole ich dich später wieder dort ab, oder?" der Münchner saß schon bereit vor dem Steuer und blickte mich fragend an.
Ich stimmte ihm zu und verstaute anschließend meine Tasche zwischen meinen Füßen.

Leon hatte vorgeschlagen das ganze der Polizei zu melden, was durchaus Sinn machte. Es könnte ja auch irgendwie mit meinem Vater zusammenhängen und außerdem war das sicherlich Stalking oder Hausfriedensbruch oder so etwas in der Art.
Bei dem ganzen Chaos in meinem Kopf hätte ich daran, aber wirklich als letztes gedacht.

Aufjedenfall würde Leon mich jetzt zur Buchhandlung fahren, da das laut ihm sowieso auf dem Weg lag und mich nach seinem Training wieder dort abholen. Dieses würde zwar bestimmt länger gehen, als mein Vorstellungsgespräch, aber in dieser Zeit könnte ich ja noch andere Dinge erledigen.
Für mich klang alles besser, als alleine zu sein.

"Danke übrigens für das Frühstück." Leon lächelte mich kurz an, während er seinen Wagen aus unserer Einfahrt lenkte.
Ein Lachen ertönte aus meinem Mund "Ich hab bloß Semmeln aufgebacken."
Das war für meine Verhältnisse ganz klar eine Meister Leistung, zumal am Ende keines der Brötchen verbrannt war.
Aber das verschwieg ich dem braunhaarigen lieber. Nicht, dass er das noch zu seinem Vorteil nutzen würde, um mich zu verspotten.

Gottseidank hatten wir recht schnell gefrühstückt, die Situation war mir nämlich ziemlich unangenehm, ehrlich gesagt.
Irgendwie waren unsere Konversationen ziemlich abgehackt und generell lag etwas angespanntes in der Luft.
Als ob mit den ersten Sonnenstrahlen, dieses vertraute Gefühl verdrängt wurde. Dabei konnte ich mir selbst nicht erklären warum.
Vielleicht hielt Leon mich für anhänglich und war gestern nur aus Solidarität da geblieben.
Noch ganz viele andere Dinge flogen mir im Kopf umher, bis ich mir selbst klar machte, dass das eigentlich nichts sein sollte, über das ich mir jetzt sorgen machen mussts.
Schließlich war das alles ja kein Annäherungsversuch oder so.
Schnell verdrängte ich das Ganze wieder.

Auch den Gedanken, was heute Abend sein würde, räumte ich vorerst erfolgreich beiseite.
Der Fußballer würde ja nicht schon wieder seine freie Zeit bei mir verbringen wollen. Bei Luisa könnte ich aber auch nicht schon wieder antanzen. Alleine zu bleiben schien mir allerdings auch keine Option, zumindest nicht in unserem Haus.

Das dröhnen von Leon's Auto zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich und mit begeisterter Miene lauschte ich dem Brummen des Audis.
Ich hatte schon immer ein Faible für schnelle Autos und hatte sein Wagen direkt mit großen Augen begutachtet.
Ausgestattet mit edlen, tiefgelegten, Leder-Sitzen und einer mords Auswahl an Knöpfen und Schaltern.
Ich fuhr ja auch selbst ein verhältnismäßig teures Auto, das ich echt wertschätzte, aber andere Autos zu begutachten waren eben nochmal interessanter.

Im Hintergrund düdelte leiser Rap aus den Lautsprechern, der gerade nunmal gar nicht zu meinem Gemütszustand passte.
Mit dem immer näher rückenden Termin, wurde ich gleichzeitig immer nervöser.
"Und bist du gut vorbereitet?" Leon's Fragen machten das ganze auch nicht besser.

Seufzend bejahte ich, eigentlich war ich mehr als nur vorbereitet. Ich hatte meinen Lebenslauf, das Motivationsschreiben, eine gesunde Portion Respekt, aber keine Angst.
Schließlich hatte ich auch nichts zu verlieren, so blöd es auch klingen mochte.

"Da ist es." rief ich aufgeregt, als ich aufeinmal den Namen der Buchhandlung in riesigen Lettern ausmachen konnte.
Leon hatte sich ein wenig erschrocken, da meine Stimme von Null auf Hundert die Luft im Auto zerschnitten hatte. Er fuhr dann jedoch direkt vor dem Eingang vor und räusperte sich.

"Dann viel Spaß und du schaffst das schon" versuchte mir der Größere Mut zu zusprechen.
Ich atmete nochmals tief ein und aus, viel zu aufgeregt, um seine netten Worte überhaupt aufzunehmen und schnappte dann meine Tasche.
Ich reckte mein Kinn nach oben und nahm eine selbstbewusste Haltung ein, so wie Luisa mir es erklärt hatte.
"Danke" lächelte ich, als ich mich wieder ein wenig gesammelt hatte.

An der frischen Luft verschaffte ich mir nochmal einen Überblick und überlegte, wie ich mich denn jetzt verabschieden sollte, als mir etwas ins Auge fiel.
Besonnen steckte ich meinen Kopf zurück in den Wagen.
"Du stehts übrigens im Halteverbot." wies ich ihn in spöttlichem Ton auf seinen Fehler hin.
Leon's Gesicht verzog sich "Oh, shit-" er machte sich daran den Motor zum laufen zu bringen und entlockte mir mit der aufkommenden Panik ein Lachen "hab ich gar nicht gesehen." rechtfertigte er sich

Absichtslos ließ ich meine Zunge schnalzen "Also, ich muss dann mal." mit dem Finger deutete ich offensichtlich auf den Buchladen, um nicht noch länger unwissend hier rumzu stehen.
"Und ich verschwinde lieber ganz schnell hier." lachte er und fuhr sich durch die Haare "Ich schreib dir dann, wenn ich an der Säbener losfahre." meinte er noch, ehe der Wagen dann fortfuhr.

Unbewusst starrte ich ihm hinterher, bis Leon das Auto um die nächste Ecke gelenkt hatte.
Danach setzte ich ein charmantes Lächeln auf und betrat voller Vorfreude und Nervosität die Buchhandlung.
Der Mix meiner Gefühle war verwirrend und irgendwie vertrugen sich diese äußerst gegensätzlichen Empfindungen auch nicht so gut. Mein Magen rumorte und ich hoffte inständig, dass dieses Geräusch nicht für andere hörbar sein würde.

Der Laden war relativ groß für eine Buchhandlung, ich war in den vergangenen Jahren sogar schon einige Male hier gewesen und hatte das ein oder andere Buch gekauft. Demnach kannte ich mich auch ein wenig aus und lief gemächlich zu der Kasse hin.
Wohlig sog ich die Luft ein, der Geruch nach neuen Büchern, das Papier, die Einbände. Einfach einzigartig.
"Ah, Sie müssen bestimmt Alisa sein." ruckartig hob ich meinen Blick. Vor mir stand eine Frau mittleren Alters, sie hatte ziemlich kurze Haare die rot getönt waren.
Ich ging nicht davon aus, dass man von Natur aus so krass dunkel rote Haare haben konnte.
Gottseidank hatte ich mich vorher genügend erkundet und wusste nun, dass die Filialleiterin vor mir stand.

Die Frau hielt mir ihre Hand hin,"Ich bin Frau Fritz, aber du kannst mich Bettina nennen-" sie stockte "Oh, ich hoffe es ist okay wenn ich dich duze, das gefällt mir einfach besser und ist nicht so fremd."überschwänglich legte sie noch die andere Hand, über die, die sowieso schon meine drückte.
Ihre willkommene Art mochte ich jetzt schon und so fiel es mir gleich noch einfacher, meine Zweifel beiseite zu schieben.

Ich brachte unbeirrt ein Lachen hervor, was Bettina als Zustimmung sah und meine Hand losließ, mich stattdessen aber an den Schultern auf eine Tür zu schob.
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, plapperte sie auch schon ermuntert weiter.
"Es freut mich wirklich sehr, dich endlich persönlich kennenzulernen. Deine Bewerbung hat mir wirklich äußerst gut gefallen."

"Danke" lächelte ich ehrlich und ließ mich nach Bettinas Anweisungen auf einem bequemen Sessel nieder.
In dem Raum, der sich als Büro entpuppt hatte, standen zusammen gewürfelt die verschiedensten Möbel, in allen Farben und Materialien, die man sich nur vorstellen konnte.
Die schrullige Frau fügte sich perfekt in das Bild ein, dass sich vor mir ergab.

"Also, dann erzähl mal von dir." forderte mich Bettina auf und startete damit wohl in den offiziellen Teil des Vorstellungsgespräches.

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Polaroid  - Leon GoretzkaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt