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"Interessiert es dich denn gar nicht, was deine Mutter jetzt so macht?" hakte Leon vorsichtig nach.

Wir saßen beide die vergangenen Fünf Minuten still schweigend da und ließen meine Worte sacken. Ein befreiendes Gefühl hatte sich in meiner Brust breit gemacht. Es war fast schon ein bisschen erlösend und bei Leon war ich mir sicher, dass er es wohl kaum nötig hatte meine Geschichte weiter zu erzählen.

Ich hatte meinen Kopf schief gelegt "Doch, schon. Aber ich glaube nicht, dass es mir helfen würde." drückte ich meine Besorgnis aus.
Auf der einen Seite wollte ich wirklich wissen wie es meiner Mutter so erging, aber andererseits hatte ich mir selbst versprochen nie wieder mit ihr in Kontakt zu treten.

"Ich denke schon-" murmelte Leon nun. Entgeistert hob ich die Augenbrauen an und unterbrach ihn.
"Ich denke nicht, dass du das Recht hast, darüber zu urteilen, was mir gut tun würde." keifte ich ihn, mit einem unbeabsichtigt scharfen Unterton, an.

Der Fußballer nahm brummend den Arm von meiner Schulter und sofort entzog sich die angenehme Wärme.
Direkt verfluchte ich mich für meine Wortwahl.

"So war das doch gar nicht gemeint, lass mich wenigstens ausreden." wies er mich seelenruhig hin.
"Jetzt wo dein Vater für die nächsten Jahre im Gefängnis sitzt, würde es sicher nicht schaden deine Mutter zu kontaktieren.
Ich bin mir sicher, dass du das auch alleine meistern würdest, aber ein wenig Unterstützung schadet bekanntlich nie." erklärte der Münchner und schaltete den Fernseher im Hintergrund aus.

Ein seufzen verließ meine Kehle "Du verstehst das nicht. Nachdem was sie getan hat, wird sie sich sicherlich einen Dreck um mich und meinen Vater scheren, außerdem habe ich keinerlei Vertrauen mehr in diese Frau." meine Wut spiegelte sich in den geballten Fäusten wieder.
Mein Blick wanderte zu dem braunhaarigen, der seinen Kopf in den Nacken gelegt hatte und die Decke anstarrte.

"Weißt du-" er fixierte mich mit seinem Blick "Das ganze ist jetzt zehn Jahre her, ich kann nicht ansatzweise nachvollziehen, wie du dich gefühlt haben musst. Aber es ist einiges an Zeit vergangen und so wie du älter geworden bist, ist das auch deine Mutter. Du kannst niemals wissen, wie lange sie noch Zeit hat." Leon's Mund klappte zu, es schien als wolle er noch etwas hinterher schieben, doch er ließ mir erstmal Zeit die verbitterte Wahrheit zu überdenken.

Mein Atem stockte bei dem Gedanken, irgendwann über drei Ecken mitbekommen zu müssen, dass meine Mutter nicht mehr am Leben war.
All das, was sie mir sagen wollte, ich würde es niemals hören können. Ein Schauer überkam mich.
Klar, war meine Mutter noch nicht die älteste, aber es war glasklar, dass es irgendwann so kommen würde.

"Aber, was ist, wenn sie mich gar nicht mehr sehen will?" verließ es hauchend meinen Mund.

"Alisa, sie ist deine Mutter. Mütter würden alles tun, um ihre Kinder zu sehen.
Natürlich hat sie Fehler gemacht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das eingesehen hat. Sonst hätte sie wohl kaum versucht dich zu kontaktieren.
Außerdem glaube ich, dass sie dir ehrlich versuchen wollte ihren Standpunkt zu erklären. "

Leon verfiel anschließend in ein stilles Schweigen.
Ich wusste, dass er recht hatte. Aber dennoch wollte ich es nicht wahrhaben.
"Ich weiß nicht-" verzweifelt raufte ich meine Haare "Ich glaube ich werde erstmal mit meinem Vater darüber reden." murmelte ich leise vor mich hin.

Daraufhin nickte der Fußballer verständnisvoll und hakte  anschließend nach, wie mein erster Besuch bei ihm denn war.

Wir blieben noch eine ganze Weile gemütlich auf der Couch sitzen und besprachen außerdem noch den Plan für Morgen.
Leon musste in der Früh zum Training und würde mich danach abholen, damit wir bei mir zuhause vorbei fahren konnten um meine Sachen zu holen.

Es graute mir fast schon wieder davor, das Haus zu betreten. Ich konnte nicht beschreiben warum, aber die ganze heimelige Atmosphäre war wie verschwunden.

"Es ist schon spät." meinte Leon aufeinmal und deutete auf die Uhr, die fast schon Mitternacht schlug.
Mit einem Nicken richtete ich mich auf, woraufhin Leon mir seine Hand anbot und mich nach oben zog.

Ich taumelte ein Stück, richtete meinen Blick dann aber nach oben. "Danke." ich schaute geradewegs in das dunkle braun seiner Augen und stellte fest, dass wir uns schon wieder viel zu Nahe waren.
Etwas in Leon's Augen funkelte mir gefährlich einladend entgegen.
Risikobereit rückte ich einige Zentimeter weiter nach vorne.

Ich spürte seinen schweren Atem der gegen meine Stirn prallte und gleichzeitig merkte ich, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg.
Leon verharrte einige lange Sekunden direkt vor mir, schreckte dann aber abrupt zurück.

"Gute Nacht, Alisa." seine raue Stimme zerschnitt die Luft. Im nächsten Moment hatte er sich hektisch umgedreht und verschwand in der Dunkelheit.

°°°

Als ich am nächsten Morgen aufgestanden war, hatte ich feststellen müssen, dass Leon bereits weg war. Es war erst halb Sieben gewesen und eigentlich wäre ich niemals so früh aufgestanden, doch die Sonne knallte erbarmungslos in das Zimmer hinein und veranlagte mich schließlich dazu aufzustehen.

Ich war ein wenig irritiert, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass Leon bereits so früh im Training sein musste.
Vielleicht ging er mir ja auch aus dem Weg, nach dieser Aktion gestern.

Ein Klingeln riss mich aus den Gedanken und träge hielt ich mein Handy in die Luft. Die Nummer war unterdrückt.

Irritiert klickte ich auf annehmen und räusperte mich "Hallo?".
Die Leitung knackte und im Hintergrund vernahm ich gedämpfte Stimmen "Alisa, spinnst du eigentlich." schallte es plötzlich durch das Telefon, sofort zuckte ich zusammen und hielt mein Handy ein Stück weg vom Ohr.

"Was ist denn los mit dir, du antwortest seit über 24 Stunden nicht mehr." Luisas Stimme klang alarmierend. Doch bevor ich ihr antworten konnte, sprach sie auch schon weiter.
"Hat der Typ dir was angetan?" der Ton ihrer Stimme hatte etwas gefährliches, kratziges, an sich.

Mit einem schrillen "Nein" unterbrach ich sie und atmete daraufhin tief ein, meine freie Hand hatte sich zu einer Faust geballt.
Konnte sie ihn nicht einmal behandeln wie jeder andere auch?
Wenn ich ihr sagte, dass Leon ein Kerl der guten Sorte war, dann sollte sie mir als Freundin doch vertrauen.

"Leon ist gerade mehr für mich da, als du es bist." fauchte ich, überwältigt von meinen Gefühlen, noch ehe ich über diese Worte nachdenken konnte.

Eine Stille entstand, am anderen Ende vernahm ich ein Schaufen. "Du solltest es mehr zu schätzen wissen, was ich bereits alles für Dich getan habe-" zum Ende hin wurde sie leiser.
"Pass besser auf, wem du vertraust." dann hatte sie aufgelegt.

Schockiert blickte ich das Handy an und legte es auf den Küchentisch. Eigentlich wollte ich frühstücken, aber der Hunger war mir definiv vergangen.

Ich konnte gar nicht wirklich realisieren, was gerade passiert war.
Luisa und ich hatten uns natürlich mal des öfteren in den Haaren, das war bei Freundinnen doch auch normal.
Aber so wie gerade hatte ich sie auch noch nie erlebt.

Meine Gedanken schwelgten um unsere Freundschaft. Wenn ich undankbar sein sollte, dann war sie das aber auch. Schließlich war sie diejenige, die mich von Leon weg halten wollte.
Ich würde ihr bestimmt auch nicht im Wege stehen, wenn sie sich mit jemandem treffen würde.

Das klingeln meines Handys unterbrach mich erneut.

Bin in 15 Minuten da.

Mein Blick huschte zur Uhr, die mir bereits kurz vor zehn anzeigte.
Stöhnend sprang ich auf und lief ins Bad, damit ich mich wenigstens noch ein bisschen zurecht machen konnte.
Anschließend zog ich mir die Klamotten vom gestrigen Tag an und verließ Leon's Wohnung, sehr pünktlich. Denn in der Tiefgarage sah ich schon sein Auto stehen, an dem er gemütlich angelehnt stand.

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Polaroid  - Leon GoretzkaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt