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Erneut starrte ich auf das Display, um ein weiteres Mal sicher zu gehen, dass dort wirklich sein Name stand.
Doch es änderte sich nichts.
Klar und deutlich zeigte es mir eine Nachricht bei WhatsApp an.
Dann musste Leon mir geschrieben haben, als ich unter der Dusche war.
Aber was zur Hölle wollte er an einem Samstag Abend um halb 12 von mir.

Neugierig entsperrte ich mein Smartphone und klickte unverhofft auf die Nachricht.
Enttäuschung machte sich jedoch in mir breit.

Diese Nachricht wurde gelöscht.

Darüber prangte noch der Emoji, den ich ihm direkt geschickt hatte.
Vielleicht war er ja feiern, oder er hatte einfach nur den falschen Kontakt ausgewählt.
Gefrustet packte ich mein Handy wieder weg.
Es würde keinen Sinn machen, wenn ich ihm darauf zurück schreiben würde. Kurz hatte ich darüber nachgedacht, ein Fragezeichen zu senden, aber wäre das nicht auch irgendwo ein bisschen paranoid?

Stattdessen ließ ich mich ins Kissen fallen, zum Schlafen hatte ich das blaue Shirt aus dem 'Sea Life' angezogen. Es war einfach ein perfektes Schlafshirt.
Meine Mundwinkel zogen sich, mit dem Gedanken an den Nachmittag, automatisch nach oben.
Jedoch wurde diese schöne Vorstellung schnell wieder ernüchtert.
Ich sollte mich noch dringend damit auseinandersetzen, wie ich meinem Vater Morgen gegenüber treten sollte.

Nicht, dass er sich was daraus machen würde, wie ich aussah. Viel mehr beunruhigte es mich, dass er mir immernoch nicht die Wahrheit erzählen könnte.

°°°

"Ihre Jacke, Tasche, Gürtel und Schuhe mögen Sie bitte ausziehen und in diese Kiste legen." forsch rief mich der Polizist dazu auf, meine Sachen durchleuchten zu lassen.
Unsicher blickte ich zu meiner besten Freundin, die ab hier jedoch nur noch auf mich warten durfte. Auch Papas Anwalt, der uns beide hier rein gebracht hatte, musste draußen bleiben.
"Auch alle spitzen Gegenstände müssen abgelegt werden, sprich Ohrringe, Piercings, Ketten, oder falls sie ein Messer bei sich führen könnten." sprach der Beamte nun weiter, woraufhin ich auch meine Ohrringe in die Kiste legte und die Frage nach Waffen oder sonstigem verneinte.

Der breit gebaute Mann winkte mich dann endlich durch die Schleuse durch."Sehr gut, dann führe ich Sie jetzt zu Herrn Weber" sagte er und die tiefe Stimme wirkte auf mich fast schon Angst einflößend. Ich traute mich kaum zu atmen, geschweige denn mich zu bewegen. Da ich wirklich bei jeder Bewegung Angst hatte etwas falsch machen zu können.

Hinter uns flog eine schwere Metalltür ins Schloss, daraufhin hallte das Geräusch in dem langen Gang wieder.
Mein Atem ging schwer, mit dem Gedanken, dass Menschen hier Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verbringen mussten.
Wahrscheinlich hatten es die meisten nicht anders verdient, aber dieses bedrückende Gefühl war für Außenstehende wie mich einfach nur grausam.

Wir liefen in einen großen Raum, den eine Wand teilte, in der lauter kleine Fenster waren, vor denen schon einige Angehörige saßen.
"Sie haben 20 Minuten" räusperte sich der Polizist und deutete auf eines der Fenster, ganz außen, hin.
Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, betrachtete dabei die Menschen auf der anderen Seite. Alle einheitlich in einen dunkelblauen Ganzkörper Anzug gesteckt.
Gleichzeitig fragte ich mich, für was die wohl alle einsaßen.
Bestimmt nicht fürs Nichtstun. Mord, Diebstahl, Körperverletzung.
Eine Gänsehaut zog sich über meinen Körper.

Mir entfuhr ein Keuchen, als ich schließlich vor der letzten Scheibe angekommen war.
Dort saß er, mein Vater, mit Handschellen an der Platte vor ihm angekettet. Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein trauriges Lächeln wieder, tiefe Ringe hingen unter seinen Augen.
Mein Körper bebte. Das Blut schoss durch meine Venen und am liebsten hätte ich auf der Stelle kehrt gemacht, um aus dem Raum zu stürmen.

Stattdessen sträubte ich mich dagegen und setzte mich widerwillig auf den Stuhl.
Erleichterung machte sich im Gesicht meines Vaters breit und er griff nach dem Telefon, das an der Seite befestigt war.
Ich tat ihm gleich und hielt mir das Teil an mein Ohr.
Mein Blick haftet an der Platte vor mir, ich wagte es nicht aufzusehen.
"Alisa"
Seine Stimme.
Ein erdrücktes Schluchzen verebbte in meinem Körper.
Ich hob meinen Blick. Sah meinen Vater an. Seine Augen waren gefüllt voll Reue, Erleichterung, Hilflosigkeit. Ich konnte es nicht genau deuten.

Eine Träne bahnte sich den Weg über meine Wange.
"Alisa, alles ist gut." murmelte Papa. Ein Stich durchfuhr mein Herz "Nichts ist gut, du sitzt im Gefängnis, falls dir der ernst der Lage noch nicht bekannt ist." fauchte ich.
Ein ermüdetes Schmunzeln erschien auf seinen Lippen. Ich rang mit mir, nicht aufzuspringen.
Er sagte nichts mehr, sondern spielte mit der Kette der Handschellen. Schnaubend schob ich den Stuhl nach hinten.
"Alisa, warte." ich hörte auf.
"Setz dich wieder." forderte mich mein Vater auf, ehe er weiter sprach, "Es ist nur so, ich weiß nicht wo ich anfangen soll"

Geduldig presste ich den Hörer gegen mein Ohr "Das ganze hat sich schon vor eine Weile so zugespitzt, es war nichts mehr zu ändern." meinte er schließlich.
Mir fehlten dir Worte, meine Kehle war wie zugeschnürt.
"Du musst nicht verstehen warum, das wäre zu viel verlangt. Aber du musst wissen, dass ich alles bereue, wirklich." seine Stimme wurde leiser.

"Warum hast du mir das alles verheimlicht?" zischte ich, nachdem ich endlich mein Stimmorgan wiedergefunden hatte.
Mir war klar, dass ich nicht wirklich etwas davon verstehen würde, selbst wenn Papa es mir erklären würde. Deshalb sprang ich lieber gleich zum brennenden Punkt über.

Er senkte den Kopf.
"Hm, wie viel aus deinem Leben hast du mir sonst noch verschwiegen?" ich hatte einen spottenden Ton angenommen, der mir selbst gar nicht gleich kam.
Mein Vater schaute mich wieder an "Ich hab das zu deinem Schutz getan."
Ich konnte es gar nicht verhindern, dass ein argwöhnisches Lachen meinen Mund verließ. Das war ja wohl die ausgelutschteste Ausrede überhaupt.
"Du verstehst das nicht." behauptete er. Doch ehe er weitersprechen konnte unterbrach ich ihn "Klar, weil ich ja so dumm bin."
Seine Züge wurden härter "Das hab ich nie gesagt." er spuckte die Worte geradezu aus.
Dann wurde seine Stimme wieder weicher "Ich wollte dich nicht enttäuschen, oder wütend machen. Du hast ja auch nie wirklich mit mir geredet. Woher sollte ich wissen, was dich verletzt oder wie du über etwas denkst."

Ich versank in meinem Stuhl, wurde immer kleiner. Mir ging es völlig elendig.
Wir hatten schon immer Probleme bei unserer Kommunikation gehabt. Das war kein Geheimnis. Aber wann war das bitte so außer Kontrolle geraten, dass wir uns anlogen.
Das hatte nichts mehr mit einer gesunden Vater-Tochter Beziehung zu tun.
Aber wem sollte ich was vormachen, unsere Familie war schon verkorkst, seit meine Mutter uns verlassen hatte. Der Segen über unserem Hause hing seitdem mehr als nur schief.

Papa räusperte sich nach einem Moment der Stille. "Alisa, das war nicht deine Schuld, aber auch nicht meine. Wir haben das beide irgendwie verhauen. Zusammen." beruhigend redete er auf mich ein.
Ich wollte widersprechen. Ihm die Schuld zu schieben,aber ich realisierte sofort, dass er Recht hatte.
Mit einem Nicken stimmte ich ihm zu.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass meine Zeit fast schon wieder vorbei war. Auch mein Vater merkte das und seufzte daraufhin.
"Bitte lass mich das noch erklären." sprach er seine vermeintliche Freundin an. Doch ich schüttelte den Kopf "Nächste Woche, ich brauche jetzt erstmal ein wenig Zeit." widersprach ich ihm. "Okay" brummte er, wenn auch ein wenig zähneknirschend.

Der Wärter kam auf mich zu und forderte mich, unter strengen Augen, auf mich zu verabschieden.
"Also dann" ich schob den Stuhl zurück. "Eine Sache noch-" hielt mich Papa auf "kannst du mir versichern, dass du klarkommst, da draußen?"
Ein schmunzeln übersäte mein Gesicht und ich nickte. "Ich hab nächste Woche ein Vorstellungsgespräch, für einen Job." erzählte ich und schob den Stuhl ran.

Als ich dann den Hörer auflegte und meinen Vater anschaute, strahlte er mir mit einem mächtig stolzem Lächeln entgegen.

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Polaroid  - Leon GoretzkaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt