Xaras Sicht:
Ginger und ich saßen am Lagerfeuer, welches sie vor wenigen Minuten angefacht hatte und schwiegen uns an. Ich wusste zwar nicht, was in ihrem Kopf vorging, doch ich hatte genug davon, dass sie mich so mies behandelte und ich keine Antworten auf meine Fragen erhielt.
"Was hast du damit gemeint?" fragte ich sie, doch Charlie schwieg weiterhin. Stumm starrte sie nur weiter in die Flammen. "Was meinst du?" erwiderte sie monoton, als mein Kragen platzte und ich sie anfuhr: „Tu nicht so, als wüsstest du nicht, was ich meine! Was meintest du mit dem Fallschirm?" Genervt schnaubte ich und meine Hände ballten sich fast von alleine, als sie mir erneut eine Antwort auf meine Fragen verweigerte.
"Gut, wir spielen ein Spiel", schlug ich vor, „Ich erzähle dir was von mir, du von dir und du WIRST mitmachen!"
Ginger nickte langsam, doch behielt ihren Blick weiterhin auf das prasselnde Feuer gerichtet. Ich beschloss langsam anzufangen: „Was ist deine Lieblingsfarbe?" Wie aus der Pistole geschossen antwortete sie: „Grün... Ich bin dran. Hast du Geschwister?" Ich schüttelte den Kopf, „Nein, nur meine Eltern, was ist mit dir?" Sie nickte und lächelte bei dem Gedanken, "Ja, ich habe einen Bruder, Kyle, und dann noch meinen Cousin Isaac, der wie ein Bruder für mich ist... Auch wenn er gerade nicht besonders gut auf mich zu sprechen ist..." Fast unmerklich verzog Ginger bei dem letzten Satz ihr Gesicht. Obwohl mich meine Neugier plagte, beließ ich es vorerst dabei. Immerhin konnte ich sie nachher immer noch nach dem Grund fragen. Doch ich musste gestehen, dass ihre Antwort neue Fragen aufwarf.
"Hast du denn eine gute Beziehung zu deinen Eltern?", stellte sie mir die nächste Frage. Ich schwieg und murmelte dann: „Eigentlich schon... Doch es wäre auch cool, wenn sie mal mehr Zeit für mich hätten..." Ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf und verknotete meine Finger ineinander, als sie mich fragend, eine Augenbraue hochgezogen, anblickte. Ich überlegte, wie ich es formulieren sollte, und erklärte dann: "Sie sind ständig wegen ihren Forschungen unterwegs, weshalb ich jetzt zu meinen Großeltern reise, um dort vorübergehend zu leben. Jedenfalls, bis ich meinen Abschluss habe." Kurz hatte ich das Gefühl, dass Charlie mich mitfühlend ansah, doch da konnte ich mich auch getäuscht haben. „Und was ist mit dir? Familienverhältnismäßig?" richtete ich schnell die Frage an Ginger. Hätten wir weiter von meiner Familie geredet, wäre ich sonst womöglich noch sentimental geworden. Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Großeltern, doch es hatte schon immer etwas an mir genagt, dass die Arbeit meiner Eltern ihnen wichtiger ist als ich.
"Meine Eltern sind beide in der Armee. Mein Bruder und ich haben bei unserer Granny gelebt, in der Zeit, in welcher die beiden nicht zu Hause waren. Mein Bruder ist vor anderthalb Jahren ebenfalls in die Army gegangen. Dasselbe wie bei dir, eigentlich gutes Verhältnis, nur, da sie kaum da sind... " sie stockte und sprach den Satz nicht zu Ende, doch ich wusste auch so, was sie meinte. Sie atmete kurz durch, dann fuhr sie fort. "Mit meinem Bruder verstehe ich mich sehr gut. Ich ziehe jetzt zu meiner Tante, meinem Onkel und meinem Cousin, da Granny zu alt ist, um auf mich aufzupassen und eventuell kommt sie auch bald in ein Pflegeheim. Ich liebe sie. Wie das Verhältnis zu meinem Cousin ist, kannst du dir ja denken..." Wir schwiegen kurz, dann richtete sie sich wieder an mich. "Und wie ist es in Sache Beziehungen bei dir? " fragte sie. Ich biss meine Zähne zusammen und meine Wangenknochen knirschten. "Er hat Schluss gemacht für eine andere." Jetzt wirkte sie wirklich betroffen. Ich kämpfte meine Tränen zurück, sah sie an und stellte ihr nun die Frage, welche mir schon seit unserer ersten Begegnung bei mir im Kopf rumspukte. "Warum bist du so kalt zu mir? Habe ich irgendwas falsch gemacht?". Kurz war nur das Knacken des berennenden Holzes zu hören, dann begann Charlie zu sprechen. Es schien ihr eine Menge Kraft abzuverlangen. "Weißt du, little X. Jeder hat seine eigene Geschichte. Ich war, glaube ich, in der 6. Klasse, wo es begann. Zuerst muss ich sagen, dass es für mich nie so einfach war, Freunde zu finden, doch drei gute Freundinnen hatte ich. Jedenfalls dachte ich das. In der 6. Klasse begannen dann die Hänseleien. Ich werde jetzt nicht genau erklären, was sie alles gesagt haben, ich weiß das Meiste eh nicht mehr, nur dass es echt scheiße wehtat. Meine drei Freunde haben nichts gemacht, mich nie verteidigt, doch mir immer versichert, dass sie zu mir stehen. Sie haben immer weniger mit mir gemacht, sich kaum mit mir blicken lassen und in der 7. Klasse habe ich dann von einem Mädchen, das die Schule verließ, erfahren, dass sie über mich lästern. Ich habe natürlich sofort die Freundschaft gekündigt, doch dann wurde es erst richtig schlimm. Aufgeschnittene Tintenpatronen wurden nach mir geworfen, Getränke über mir oder meinen Heften ausgeschüttet, fiese Zettel, die nach mir im Unterricht geworfen wurden oder die ich in meiner Tasche fand, waren Alltag. Mein Bruder hat versucht mich so gut es ging zu beschützen, aber naja... Hat nicht so geklappt. Sie wurden nie müde mich zu erniedrigen und fanden immer neue Gemeinheiten, eine schlimmer als die andere. Ich hatte mich nie getraut zur Schulleitung zu gehen, dazu war ich zu feige. In der Neunten war ich dann mit 'nem Mädchen namens Emilie zusammen. Sie hat mich betrogen. Ihr Lover Boy hat mich in ihren Kontakten gefunden und unsere Bilder gesehen und eins und eins zusammengezählt. Hat mich angerufen und es mir gesagt. Nachdem ich mit ihr Schluss gemacht habe, wurde ich „die Schlampe" genannt und sie hat Bilder von mir veröffentlicht. Der Junge, London, war so etwas wie ein Freund, doch hielt sich lieber fern von mir in der Öffentlichkeit. War wohl auch besser so... An ihn habe ich auch meine Jungfräulichkeit verloren, als wir beide etwas zu besoffen waren. Ich glaube, ich war da 14 oder 15. Was wir danach hatten, kann ich nicht wirklich beschreiben, vielleicht so etwas wie Freunde mit gewissen Vorzügen. Er hat jedoch davon niemandem etwas erzählt, jedenfalls habe ich keine Gerüchte darüber gehört. Als ich mich dann in der Zehnten mit Jessica, eine meiner ehemaligen Freundinnen, geprügelt hatte, wurde es etwas weniger. Ich glaube, die Leute hatten etwas Respekt vor mir gewonnen, doch glaube ja nicht, dass sie dies davon abhielt, mich trotzdem jeden Tag daran zu erinnern, was für eine Schlampe ich doch war und dass ich es verdient hätte von einem Lastwagen überrollt zu werden. Das war noch nicht einmal das schlimmste, was sie gesagt haben." An Charlies Wangen liefen zwei Tränen hinunter, doch sie redete weiter, als hätte sie es sich schon lange von der Seele reden wollen. „Mein Bruder war immer für mich da und wir hatten eigentlich gesagt, dass wir nie in die Armee gehen würden, da wir es beide so scheiße fanden, dass unsere Eltern so wenig da waren. Doch als wir unsere Eltern dort in den Ferien einmal besucht hatten, hatte er sich wohl darin verliebt und ist kurzerhand nach seinem Abschluss dorthin gegangen. Weißt du, wie beschissen das für mich war? Mit Isaac verstehe ich mich eigentlich, wie gesagt, gut, doch er redet, seitdem ich mich mit ihm gestritten habe, nicht mehr mit mir. Es ging darum, dass ich der Meinung bin, dass seine Freundin ihn ausnutzt. Doch er meint, dass ich es nur nicht leiden kann, wenn ich einmal nicht im Mittelpunkt stehe. Sie hasst mich und da Isaac so blind vor Liebe ist, glaubt er ihr alles, was sie ihm über mich einbläuen will. Es ist zum Kotzen!" Charlie schluchzte auf und vergrub ihren Kopf in ihren Händen und ich überlegte kurz, was ich machen sollte. Schließlich stand ich auf, ging zu Ginger herüber und schloss sie in meine Arme. Das bebende Mädchen klammerte sich an mich und ich erschrak, wie verletzlich die sonst so starke Charlie wirkte. Ich wusste nicht, wie lange wir da so saßen, doch nach langer Zeit hatte sich Ginger langsam wieder beruhigt. Nachdem sie wieder heruntergekommen war, bestand sie darauf, das Spiel fortzuführen. Es wurde komischerweise doch noch ein lustiger Abend und ich erfuhr von ihren Lieblingsfilmen, ihrem Hass auf bestimmte Charaktere, warum sie manche Serien hasste und von ihren tausenden Hobbies. Ich erfuhr mehr von ihr, als ich vor wenigen Minuten jemals gedacht hatte.
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Ginger und Little X
Teen FictionZwei Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein können. Die sarkastische und grobe Charlie, welche von dem anderen Mädchen sehr genervt ist und die aufgeweckte und neugierige Xara, welche am liebsten alles über Charlie wissen will. Im Flugzeug sitzen...