Charlies Sicht:
Ich war kein Morgenmensch und ich konnte eigentlich immer und überall schlafen, wenn ich es wollte. Doch heute wollte diese Gabe wohl nicht ihren Zweck erfüllen, da ich einfach nicht meinen Weg zurück in mein Traumland finden wollte, als es begann hell zu werden. Auch pieksten mich einige Stöcke und Steine in meinen Rücken und machten es somit unmöglich noch einmal einzuschlafen. Xara störte das alles jedoch nicht, die schlief weiter tief und fest, mit ihrem Kopf auf meinem Bauch. In meinen Gedanken ging ich noch einmal die gestrige Nacht durch. Ich wunderte mich, ehrlich gesagt, über mich selber, dass ich little X von allem erzählt hatte. Wie man aus meiner Lebensstory gewiss schließen kann, hatte ich mit einigen Vertrauensproblemen zu kämpfen, da mich jeder Mensch, der mir nahe stand, enttäuscht, verlassen oder verletzt hatte. Warum vertraute ich mich nun dem Mädchen an, welches ich seit grob zwei Tagen kannte? Es wollte sich mir einfach nicht erschließen, doch sollte ich nun wirklich hier verrecken, so war ich doch recht froh, mir das alles von der Seele geredet zu haben. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr mir ein wirklicher Freund gefehlt hatte, da ich immer darauf geachtete hatte, nicht verletzt zu werden. Ein paar Strähnen fielen Xara ins Gesicht, weshalb sie ihr Gesicht verzog. Sanft strich ich ihr die Haare wieder hinter ihre Ohren. Ich hob vorsichtig ihren Kopf an und legte ihn sanft auf die Erde. Dann stand ich auf und begann unser winziges Lager abzubauen. Wir mussten weiter und zwar je früher, desto besser. Nachdem ich fertig war, sah ich zurück zu Strange kid. Sie schlummerte immer noch friedlich. Es tat mir beinahe Leid sie aufzuwecken, doch in der Hitze der Mittagssonne zu laufen, wäre die pure Hölle. Ich hockte mich vor ihr hin und rüttelte an ihrer Schulter. „Hey little X. Du solltest jetzt mal besser aufwachen." Xara schien das alles nicht zu gefallen, doch es störte sie auch nicht weiter. Mit einem Grummeln drehte sie sich einfach auf die andere Seite. Ich stieß ein Lachen vermischt mit einem Schnauben aus. Super, nun musste ich auch noch Xara wach bekommen und ich war mir sicher, dass sie ebenfalls kein Morgenmensch war. Nach einigen gescheiterten Versuchen, das Mädchen sanft zu wecken, entschied ich mich dann dazu, die zwei verbeulten Pfannen aneinander zu schlagen. Gedacht, getan, Xara wachte zu Tode erschreckt auf und als sie realisiert hatte, was ich gerade getan hatte, warf sie mir einen vernichtenden Blick zu. „Du kannst mir später danken, Dornröschen. Wir müssen jetzt los, denn bei der Mittagssonne ist das bestimmt die pure Hölle. Also, auf, auf jetzt." Murrend richtete Xara sich dann auch schließlich auf und strich sich ihre zerzausten Haare aus dem Gesicht. Ich schüttelte spöttisch den Kopf und hob einen der zwei Rucksäcke auf, den anderen hielt ich Xara hin.
Wir entschieden uns erst einmal, ohne ein bestimmtes Ziel loszulaufen, denn wir hatten weder eine Karte, noch wussten wir, wo wir uns befanden. Also war unsere einzige gute Option, einfach durch den Wald zu laufen und hoffentlich dabei auf etwas Brauchbares zu stoßen.
Wir waren bestimmt schon mehr als fünf Stunden unterwegs und ich musste gestehen, dass es doch viel anstrengender war, als ich es mir vorgestellt hatte. Es war mittlerweile noch wärmer geworden und im Dschungel gab es jetzt auch nicht wirklich vorgegebene Wanderwege. Manchmal kamen wir einfach nicht weiter. Ob es jetzt zu bewachsen war oder wir an tiefen Schluchten standen, wir mussten oft umkehren, was sowohl mich als auch Xara ziemlich frustrierte. Wir waren aufgrund unserer noch, mehr oder weniger, frischen Verletzungen auch ziemlich eingeschränkt und nicht gerade schnell. Erst recht nicht, wenn der Schweiß in unseren Wunden brannte und wir aufpassen mussten, dass wir uns nicht noch mehr verletzten.
Ich hatte das Gefühl, dass ich gleich zusammenbrechen würde und Xara ging es wohl genauso, denn sie hatte heute überraschend wenig gesagt. Mein Fuß knickte plötzlich weg und ich landete ziemlich schmerzhaft auf dem Boden. „Ahhh Fuck! Was soll das denn!" fluchte ich lautstark und schlug genervt auf den Boden. Xara sah mich schwer atmend an und ließ sich dann neben mich fallen. „Ich sterbe!" keuchte sie und zerrte sich den Rucksack vom Rücken. Dann legte sie sich auf den Rücken und sah hoch in die 70 Meter hohen Baumkronen, die kaum Licht durchließen. Dies war einerseits ein Segen, da wir nicht in der bratenden Sonne latschen mussten, jedoch genauso ein Fluch, da sich hier unten die schwüle Luft anstaute und erdrückend war. „Ich sterbe!" presste sie nochmal hervor und blickte mich an. Meine Sicht wurde kurz schwammig und ich spürte, wie ich leicht schwankte. Ich strich mir eine Locke, die an meiner Stirn klebte, hinter mein Ohr und atmete die schwere Luft ein. Ich richtete mich schwankend auf und hielt Xara meine Hand hin, welche sie dankbar annahm.
Erschöpft setzten wir unseren beschwerlichen Weg fort. Es wurde überraschenderweise kühler, doch der Weg wurde nur umso anstrengender. Wir mussten über viele umgefallene Bäume klettern und es wurde zunehmend glitschiger. Ich presste meine Augen zusammen, als ich etwas sehr Blaues vor uns erblickte. Meine Augen weiteten sich, als ich erkannte, worauf wir uns zubewegten. „Xara!" brüllte ich erfreut und stolperte ein wenig nach vorne. Xara ließ einen Freudenschrei los, als sie den See vor uns erblickte und begann, ein wenig schnell zu gehen. Doch bevor sie sich in das klare Wasser stürzen konnte, zog ich sie zurück. Verwirrt und wütend sah sie mich an. „Willst du mit Rucksack und Klamotten da herein? So schwach, wie wir sind, gehst du damit garantiert unter und ich will dich nicht
Noch einmal vor dem Ertrinken retten!" erklärte ich ihr, jedoch sah sie mich jetzt nur noch verdutzter an. Ich tat es mit einem „später" ab und schmiss meinen Rucksack auf die Seite. Dann zog ich mein T-Shirt über den Kopf, befreite meine Füße aus den warmen Boots und Socken und stieg aus meiner Hose. Xara beobachtet mich überrascht und entledigte sich dann auch ihre Klamotten, bevor wir in den See sprangen. Der See war verdammt klar und ich entschied mich dazu meinen brennenden Durst zu löschen. Das war zwar nicht besonders schlau, doch zum Glück passierte nichts. Besorgt betrachtete mich Xara, bevor auch sie zögerlich begann zu trinken. Ich tauchte glücklich unter und schwamm unter Wasser umher. Erst als ich wieder Luft brauchte, tauchte ich auf, blieb kurz oben und tauchte dann wieder unter. Dieses Spiel setzte ich lange fort. Xara hatte sich in der Zeit auf einen der Baumstämme, die im Wasser lagen, gesetzt und sah mir amüsiert zu. Ihre Röte war jetzt nur noch ein sanftes Rosa auf ihren Wangen und die Erschöpfung war einem glücklichen Ausdruck gewichen. Ich legte mich auf meinen Rücken und trieb entspannt umher.
Wir entschieden uns dafür, dass wir unsere Sachen an die andere Seite des Sees brachten. Wir schwammen also zurück, holten sie, gingen um den kleinen See herum und bauten unser Lager neu auf. Ich und Xara hatte mittlerweile unsere Hoodies angezogen, da wir unsere T-Shirts nicht nass machen wollten.
Wie ich ihr versprochen hatte, erklärte ich ihr, was ich mit dem Ertrinken gemeint hatte. Xara umarmte mich dankbar und versprach, dass, sobald wir hier heraus wären, sie sich revanchieren würde. Ich verkniff mir den Kommentar ‚falls wir hier herauskommen' und lächelte sie nur an. Wir legten uns so gemütlich wie möglich hin und versuchten zu schlafen. Ich dachte an meine Familie, bis ich ein leises „Psst" hörte. Ich drehte meinen Kopf zu Xara, welche mich anblickte. „Ich kann nicht schlafen. Kann ich zu dir?" flüsterte diese und sah mich flehend an. Ich nickte, woraufhin sie mit ihren Sachen zu mir kam und sich an meine Seite kuschelte. „Bist du eigentlich bi?" fragte sie mich leise. Ich schüttelte den Kopf „ich bin pan. Das ist so ähnlich wie bi." Sie nickte, womit für mich das Thema erledigt war. Ich spürte, wie Xara noch etwas fragen wollte, doch ich schüttelte müde den Kopf. „Nicht heute, little X. Ich bin zu müde." Und mit diesen Worten schlief ich dann auch ein.
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Ginger und Little X
Teen FictionZwei Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein können. Die sarkastische und grobe Charlie, welche von dem anderen Mädchen sehr genervt ist und die aufgeweckte und neugierige Xara, welche am liebsten alles über Charlie wissen will. Im Flugzeug sitzen...