•Journey 1•

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Trostlos saß ein einsamer Junge auf seinem Bett, hatte zwei Bücher auf der breiten Decke liegen, während stumme Tränen unaufhörlich über seine Wangen liefen. Hin und wieder biss er sich in seinen Handrücken, damit er die Schluchzer, die entkommen wollte, unterdrücken konnte. Seine rechte Hand, mit der er einen Kugelschreiber hielt, zitterte stark und darum wurde auch seine Schrift immer mehr unlesbar. Unruhig nagte er mit seinen Zähnen auf seiner Unterlippe und nahm das Blatt aus seinem Block heraus, zerriss es und fing neu an, die dreizehn Seiten zu schreiben, die ihm seine Eltern als Strafe gegeben hatten. Eigentlich waren es am Anfang nur fünf Seiten gewesen. Doch da sie mit seiner Schrift nicht zufrieden waren, musste er alles neu schreiben und zusätzlich gaben sie ihm mehr Seiten.

Leicht wischte er sich mit seinen Ärmeln über die Augen und blickte anschließend nach draußen, erkannte jedoch nichts, da vor seinen Fenstern Metallstangen angebracht wurden. Stangen, die dafür sorgten, dass er nicht alles sehen konnte, was draußen in der Welt geschah. Einzig und allein das leere Nachbarhaus konnte er betrachten, aber was brachte es ihm schon? Die meiste Zeit verbrachte er in seinem Zimmer, die andere in der Schule. Ein dazwischen gab es für ihn nicht – nicht einmal in den Garten durfte er, um etwas frische Luft schnappen zu können. Stattdessen konnte er nur sein Fenster etwas kippen oder manchmal, wenn seine Eltern tief schliefen, konnte er es ganz öffnen. Und so sehr der Junge seinem Leben entfliehen wollte, umso mehr wusste er, dass es unmöglich war. Niemals würde das geschehen.

Also hatte er es akzeptiert und spielte die Marionette seiner strengen Erzeuger.

Ein weiteres, lautloses Schluchzen kam über seine zittrigen Lippen, als er den Stift beiseitelegte und nach seinem blauen Kuscheltier griff. Wenn er weinte oder traurig war, dann half ihm sein flauschiges Alpaka dabei, etwas ruhig zu bleiben. In seinem Alter, da er bereits 17 war, blieb es weiterhin außergewöhnlich und kindisch, zumindest sagten das seine Eltern. Oft hatten sie versucht, seine Kuscheltiere wegzuschmeißen, doch einst hatte der Junge unter seinem Teppich so etwas wie eine Falltür gefunden. Sie führte zwar zu nichts, demnach war es auch kein Fluchtweg, aber so konnte er seine Kuscheltiere verstecken, wenn er am hellen Morgen zur Schule ging. Es war eines der wenigen Sachen, die ihn glücklich machen konnte. Weder besaß er Freunde, noch hatte er jemals die Möglichkeit gehabt, welche auch nur kennenzulernen.

Nicht einmal im Internet.

Der 17-Jährige besaß keinen Laptop, keinen Computer und auch kein Handy. Seine Eltern hatten es ihm verboten, aus Angst, dass er süchtig wurde und sich nicht mehr um seine Noten kümmern würde. Zwar verstand er es, denn Schule war wichtig, aber sie raubten ihm jeglichen Lebenswillen mit ihrer Überwachung, der Strenge und mit ihrer nicht vorhandenen Liebe. Oft zweifelte er daran, dass seine Eltern überhaupt etwas für ihn empfanden. Ihm kam es vor, als sei er nur ein Mittel zum Zweck, damit sie mehr Geld bekamen. Dieses Gefühl zerriss den Jungen immer mehr, der es hasste, dass sein Nachname Yang war. Dadurch stand er oft im Rampenlicht, da seine Eltern erfolgreiche Geschäftsleute waren, die mehrere Autohäuser in Seoul, Busan und auch in Daegu besaßen. Nur deshalb zwangen sie ihn zu Sachen, die er nicht wollte. Die er nicht konnte.

So etwas wie Spaß, Freude oder Aufregung, kannte er nicht in seinem Leben. Würde man ihn fragen, was er unter Spaß definieren würde, dann wüsste er darauf keinerlei Antwort. Immer mehr Tränen flossen über seine Wangen, während sein Herz sich schmerzhaft zusammen zog. Sein Verlangen nach der frischen Luft oder nach einem kleinen Spaziergang wurde immer größer, sodass er es kaum aushalten konnte, da er genau wusste, dass seine Eltern es niemals erlauben würden. Sie vertrauten ihm nicht. Hatten sie nie getan. Und er bezweifelte, dass sie es jemals tun würden. Also blieb ihm keine andere Wahl, als seine kahlen, weißen vier Wände anzustarren und seine Strafarbeit zu schreiben. Dennoch hoffte er jeden Tag auf eine Rettung. Auf ein Wunder. Auf irgendwas oder jemanden, der ihn befreien würde.

𝐇𝐚𝐯𝐞𝐧 ✦ 𝖩𝖤𝖮𝖭𝖦𝖢𝖧𝖠𝖭Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt