•Journey 2•

894 77 29
                                    

Müde schleppte sich Jeongin am nächsten Morgen zur Schule und versuchte, nicht allzu aufzufallen. Alle kannten seine Eltern, ihre Firmen. Darum kannten sie auch ihn, sein Gesicht, das er so sehr hasste. Alles an ihm hasste er, weil es ihn nur wieder daran erinnerte, dass er seinen Eltern nicht entkommen konnte und vermutlich auch erst würde, wenn er nächstes Jahr volljährig war. Aber wie sollte er es ein ganzes, langes Jahr noch aushalten? Mit jedem Tag wurde es immer unerträglicher, zerstörte ihn von innen und nahm ihm die Luft zu atmen. Auch heute Nacht hatte er wieder ständig geweint, demnach weniger geschlafen, wodurch er im Moment müde war. Vermutlich würde es sich auch über den Tag ziehen, aber ändern konnte er es nicht. So sehr Jeongin es wollte.

Unsicher zog er sich seine schwarze Mütze etwas mehr in das Gesicht, während die schwarzen Haarsträhnen einen Teil bedeckten. Selbst wenn er hier Freunde haben wollte, wusste er genauso sehr, dass sie niemals ihn kennenlernen wollten. Viel eher waren sie auf das Geld seiner Eltern aus, auf die Tatsache, dass er sich eigentlich alles leisten könnte, wenn er es wirklich wollen würde. Aber dem war nicht einmal so - nicht er besaß das Geld, sondern seine Eltern. Und nichts davon würde er jemals sehen, da sie ihm nicht vertrauten und glaubten, dass er es nur benutzen würde, um abhauen zu können. Dabei lagen sie sogar weitgehend richtig, aber trauen würde er es sich niemals. Seine Erzeuger würden Jeongin immer finden, ganz gleich, wo er auch hin flüchten würde. Das wusste er.

Und wie er das wusste.

Bereits vor drei Jahren hatte er es versucht. Dabei hatte er die Karte seines Vaters geklaut, das viele Geld abgehoben und sich erst dann, mit den Scheinen, ein Ticket gekauft. Er wusste, durch diverse Serien, dass man die Karten orten würde, also hatte er sie rechtzeitig entsorgt, bevor er in einen Zug nach Busan gestiegen war. Damals war er unglaublich aufgeregt gewesen, hatte zum ersten Mal einen Zug betätigt, viele Menschen gesehen, doch schon bei der ersten Haltestelle wurde er von seinen Eltern abgefangen. Seit diesem Tag bekam er keinerlei Freiheiten mehr, obwohl sie damals schon sehr gering war. Nur durfte er zu der Zeit einmal die Woche Fernseher sehen. Und das für eine halbe Stunde. Klang nicht viel, doch für Jeongin war es das Beste gewesen, was er hätte bekommen können und nur wegen seinem Versuch, wurde es ihm wieder weggenommen.

Seitdem fürchtete er sich vor einem weiteren Versuch.

Unsicher kaute der Schwarzhaarige langsam auf seiner Unterlippe herum und seufzte anschließend leise, nachdem ihm bewusst wurde, wie gefangen er war. Wie ein Vogel im goldenen Käfig und es gab nur einen Schlüssel, den seine Eltern besaßen. Kein Fluchtweg. Nur die Stäbe vor seinem Gesicht und das Wissen, dass es niemals aufhören würde. Selbst wenn er jemals volljährig sein sollte. Niemand sagte ihm, dass seine Eltern ihn dann gehen ließen. Oder dass er wirklich frei war, dass er wirklich sein eigenes Leben leben konnte. Dafür war Jeongin zu schwach, zu alleine. Zu sehr gefangen, in der einsamen Dunkelheit und niemand würde ihn retten. Jeder hier dachte, dass er ein tolles Leben hatte, da seine Eltern ihm alles finanzierten. Doch keiner wusste die Wahrheit, sie würden die Wahrheit nicht einmal glauben, wenn sie direkt vor ihrer Nase wären.

Viel zu sehr dachten sie, dass er ein schönes Leben hatte. Sich alles gönnen konnte. Dass ihm an nichts fehlte. Sie zeigten ihm, dass er sich eigentlich nicht beschweren durfte, und lösten Schuldgefühle aus, die er nicht empfinden sollte.

Doch alle glaubten, dass es Jeongin gut ging. Und er ließ sie in diesem Glauben. Zeigte ihnen eine Illusion, nur, um nicht verurteilt zu werden.

𝐇𝐚𝐯𝐞𝐧 ✦ 𝖩𝖤𝖮𝖭𝖦𝖢𝖧𝖠𝖭Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt