Simón
Völlig erschöpft komme ich am nächsten Morgen zum Dienstbeginn ins Hospiz. Heute habe ich Frühschicht, es ist gerade mal um fünf Uhr am Morgen und ich bin tot müde, habe die Nacht schlecht schlafen. Irgendetwas in mir war die ganze Zeit unruhig, als würde etwas geschehen und ich weiß nicht Bescheid.
Als ich auf Station komme, kommen mir zwei Krankenschwestern entgegen gerannt, rennen aber an mir vorbei ins Schwesternzimmer und holen etwas, es ist der orange Arztkoffer, der benötigt wird, wenn jemand wiederbelebt werden muss.
Ich denke mir nichts dabei und schaue ihnen hinterher, leider ist das ja beinahe alltäglich im Hospiz. Ein Arzt, um genau zu sein Ámbars, kommt auch auf den Flur und rennt den Schwestern hinterher.
Und als ich sehe, wie sie zu Ámbars Zimmer rennen, macht es in meinem Gehirn Klick und ich verstehe, was gerade passiert.
"Ámbar!" Sofort renne ich zu ihrem Zimmer und kämpfe mich an den ganzen Kollegen vorbei zu ihrem Bett.
Da liegt sie, kreidebleich, mit leicht geöffnetem Mund und geschlossenen Augen. Es sieht aus, als würde sie friedlich schlafen.
"Álvarez, zur Seite!", befielt der Oberarzt, aber ich denke erst gar nicht daran. Schluchzend schnappe ich mir ihre Hand.
"Nein Ámbar, geh nicht, bitte, verlasse mich nicht!" Ich bin total am Boden zerstört. Ich habe es zwar all die Zeit erwartet, aber dass es nun wirklich passiert ist, ist zu hart für mich. Es zieht mir den Boden unter den Füßen weg.
Schließlich werde ich dann vom Arzt einfach weggezogen und sie wollen Ámbar mit einem Elektroschock wiederbeleben. Warum probieren sie es eigentlich noch, sie sich länger quälen zu lassen, wenn man sie nicht einmal mehr heilen kann?
Aber der Schock bringt nichts. Und wieder Arzt kurz darauf feststellt, muss sie seit mindestens 15 Minuten tot sein, mitten im Schlaf gestorben. Am Abend noch in meinen Armen eingeschlafen und nie mehr aufgewacht.
Ich weine weiterhin hysterisch, während der Arzt Ámbars Familie informieren wird. Ich kann nicht glauben, dass es wirklich passiert ist. Sie ist jetzt wirklich nicht mehr da, nur ihr lebloser Körper liegt hier noch. Ihre Seele ist jetzt weg, auf dem Weg ins Jenseits, vielleicht schaut sie gerade schon auf mich hinunter und sieht mich bei ihrer Leiche.
Ihre Leiche... Wieder halte ich ihre Hand, die mittlerweile komplett kalt ist. Wie sehr ich mir gewünscht hätte, mein Leben mit ihr zu verbringen, eine Familie zu gründen, sie zu heiraten und mit ihr alt zu werden. Ich wusste, dass das nicht möglich sein würde, ich wusste, dass unsere Beziehung ein Limit hatte, aber auch wenn für den Tod eines Menschen bereit ist, trifft es einen sehr.
So verdammt sehr.
Die ganze Zeit hocke ich neben ihrem Bett, halte weiterhin die leblose Hand. Die Krankenschwestern kümmern sich schon darum, dass Leute vom Bestatter Ámbars Körper bald abholen kommen, der Arzt schreibt den Todesbescheid, ich habe sogar erstmal frei bekommen für die nächsten Tage.
Alles schön und gut, aber Ámbar bringt mir das auch nicht wieder!
Ach Ámbar... Warum musste es bloß sie treffen? Nicht irgendjemanden, der ein Verbrecher ist? Warum eine unschuldige, junge Frau? Ich werde es niemals verstehen und realisieren können, niemals.
Als hinter mir ein weiteres Schluchzen ertönt, drehe ich mich kurz schniefend um und sehe Ámbars Eltern im Türrahmen, ohne Isa. Verständlich, die Kleine soll ihre Mutter lieber nicht so sehen
Sofort stürzt sich Ámbars Mutter auch neben das Bett, ihr Kopf liegt auf dem Arm ihrer Tochter, der Vater hält sich etwas zurück, aber schluchzt genauso laut wie seine Frau.
"Wieso nur... Mein Kind...", murmelt sie neben mir und tröstend lege ich einen Arm um sie, was sie gleich als Einladung für eine Umarmung nimmt, die ich aber selbstverständlich erwidere und zu der auch wenig später ihr Papá hinzu kommt.
Einige Zeit lang saßen wir zusammen auf dem Boden, teilweise arm in arm, teilweise nicht, und haben um Ámbar getrauert. Ihr Körper liegt auch noch immer hier, aber immer, wenn ich zu ihr sehe, möchte ich nur noch lauter schluchzen, damit die ganze Welt mein Leid mitbekommt.
Und mittlerweile haben wir uns, etwas zur Ablenkung, wenn das überhaupt möglich ist, daran gemacht, Ámbars Zimmer auszuräumen. Auch wenn der Schmerz dadurch nicht wirklich weg geht, er wird durch die persönlichen Gegenstände nur noch stärker, muss es gemacht werden.
Als ich das Nachttischschubfach öffne, fällt mir sofort ein Brief ins Auge, der anscheinend an mich adressiert ist. Etwas verwirrt nehme ich ihn heraus und öffne ihn, Ámbars wunderschöne Handschrift kommt zum Vorschein.
Lieber Simón,
wenn du das hier liest, bin ich nicht mehr bei dir. Und es tut mir so sehr leid, dass ich dich verlassen muss, dich, die Welt, meine Familie, Isa, einfach alles.
Aber der Tod erlöst von der Qual in meinen letzten Tagen, ich habe mich so sehr gequält, ich habe sogar schon überlegt, ob ich nicht doch sterben will.
Nein, sterben wollte ich nicht. Auf keinen Fall. Ich wollte immer leben wie damals und bis ich ins Hospiz kam, hatte ich auch noch Hoffnungen, dass ich doch geheilt werde.
Doch im Hospiz habe ich dich kennengelernt und mit dir die schönsten letzten Wochen meines Lebens verbracht, die ich mir nur hätte wünschen können.
Danke für alles, was du für mich getan hast. Ich hätte dir gerne noch so viel mehr gegeben und so viel mehr ermöglicht, aber es ging nicht. Ich hoffe, du behältst diese gemeinsame Zeit genauso in deinem Herzen, wie ich es werde, selbst, wenn dieses bald aufhört, zu schlagen.
Und eigentlich schreibe ich dir diesen Brief, um dir zu sagen, dass du derjenige bist, der mir meinen letzten Wunsch erfüllt hat, nochmal lieben zu dürfen. Und ich liebe dich so sehr, dass ich noch einen Wunsch habe, einen allerletzten.
Ich möchte, dass du Isa adoptierst.
Es ist viel verlangt, ich weiß, aber Isa liebt dich. Meine Eltern werden auch alt, sie können sich nicht ewig um sie kümmern. Und ich will sie nicht in einem Heim sehen.
Bitte Simón, wenn es für dich in Frage kommt, adoptiere sie. Du wärst der beste Vater, den die Kleine je haben könnte.
Du musst dich nicht sofort entscheiden, überlege es dir gut. Aber ich wäre dir auf ewig dankbar, wenn du Isa das Leben schenken würdest, welches sie verdient.
Vergiss nicht, ich liebe dich. Und ich liebe sie, sag ihr das immer wieder, wenn sie groß ist und sich kaum noch an mich erinnert.
In Liebe,
deine Ámbar.
Tränen rennen wieder über meine Wangen und tropfen auf das Blatt Papier. Er berührt mich so sehr und ich brauche gar nicht über ihren letzten Wunsch nachzudenken.
Ich werde Isa adoptieren, ich werde Ámbar ihren zweiten letzten Wunsch erfüllen.
Es tut mir so leid :(((( Aber es war von Anfang an geplant, dass Ámbar sterben wird... Noch zwei Kapitel kommen jetzt, die Beerdigung im nächsten Kapitel dann...
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Don't let me go || Simbar
FanfictionÁmbar hat Brustkrebs im Endstadium und liegt seit ein paar Tagen nun im Hospiz. Ihr letzter Wunsch: Die große Liebe finden. Doch wer will schon eine Frau, die in ungewisser Zeit stirbt? - Er will sie. Simón arbeitet seit kurzer Zeit im Hospiz auf Ám...