Kapitel 6

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Kapitel 6

"Möglich ist alles", bemerkte die Ärztin trocken und holte sich sterile Kanülen und Desinfektionsmittel aus der Kitteltasche hervor, denn sie wollte dem Patienten Blut abnehmen. Aus der anderen Tasche holte sie zwei Reagenzröhrchen hervor und bat die beiden Männer, den Mann festzuhalten. Zuerst wollte sie seine Augen kontrollieren, denn diese wirkten unnatürlich dunkel.

"Es wäre nichts Neues, wenn eine neue Droge solche fatalen Nebenwirkungen hätte", murmelte Lucien. "Ich werde meine Leute darauf ansetzen, dass sie herausfinden, ob die Opfer Drogen konsumiert haben", sagte er und im selben Atemzug schien der Mann sprechen zu wollen. Er öffnete den Mund, doch nur schwarzes Blut kam heraus und lief über sein Kinn.

Sanft sprach Janette auf den Mann ein und kam ihm näher. Seine Schmerzen waren ihm deutlich anzusehen, doch er war nicht bereit, einfach aufzugeben.

Da die beiden Aufpasser mit ihm Probleme hatte, nutzte sie ihren Dämonenschwanz, um den Infizierten zusätzlich festzuhalten. Dazu legte er sich um den Oberkörper des Mannes und fixierten ihn. Janettes Dämonenschwanz war sehr stark, wenn sie wollte. Meist benutzte sie ihn jedoch zur Verführung.

In diesem Moment war daran jedoch nicht zu denken, als sie ihre Finger an die Augen des Mannes legte und öffnete, bevor sie mit dem Licht auf die Pupille leuchtete. Dabei sprach sie noch immer sehr sanft mit dem Mann, als würde er ein kleiner Junge sein.

Dieser begann sich heftig zu wehren und entriss eine Hand einen der Engel. Damit schlug er nach Janette und erwischte sie sogar am Arm. So heftig, dass er sich selbst die Hand brach, aber sicherlich einen blauen Fleck bei der Dämonin hinterließ.

Ob sie Schmerzen hatte oder nicht, gab sie nicht preis, denn Janette zuckte nicht einmal mit der Wimper. Stattdessen schlang sich ihr Dämonenschwanz um die gebrochene Hand des Menschen, um diese festzuhalten. Allerdings nur am Handgelenk, da sie ihm nicht unnötig weh tun wollte.

Dann holte sie das elastische Band aus ihrer Manteltasche, legte es dem Mann um und desinfizierte die Einstichstelle, bevor sie die Verpackung einer sterilen Kanüle aufriss. "Wird nur kurz weh tun, dann ist es vorbei", bemerkte sie mit einem Blick auf den Infizierten, bevor sie routiniert die Nadel unter die Haut schob.

Lucien beobachtete sie und war überrascht, dass sie mit einem Menschen, der sowieso nicht überleben würde, so sanft umging. Es schien sie wirklich zu interessieren, ob er beruhigt war oder nicht. Ihn hätte das nicht interessiert. Immerhin war er sowieso ein Todgeweihter.

Das schien sie nicht ansatzweise zu stören. Sie ging mit jedem ihrer Patienten so um.

Kurz darauf war die Blutabnahme vorbei und Janette streichelte sanft die Wange des Mannes, dessen Gesicht aschfahl war. Die dunklen Augen wirkten noch unheimlicher. So, als wäre er ein Untoter. "Möchten Sie etwas gegen die Schmerzen?", fragte sie freundlich. Wenn er schon sterben musste, war es vielleicht nicht schlecht, wenn er so wenig wie möglich davon mitbekam. Der Mensch tat Janette wirklich leid.

"Kümmer du dich um die Proben", wies Lucien sie an. "Es ist wichtiger, dass wir wissen, mit was wir es zu tun haben, damit nicht noch mehr sterben. Ihm ist sowieso nicht mehr zu helfen und du verschwendest deine Zeit", erklärte er. Ein Menschenleben war für ihn recht bedeutungslos.

Wütend fuhr Janette zu ihm herum. „Halten Sie sich daraus, wie ich mit meinen Patienten umgehe", blaffte sie Lucien an, bevor sie sich mit einem Lächeln wieder dem sterbenden Menschen zuwandte. „Ich gebe Ihnen etwas, damit sie einschlafen", informierte sie ihn. Ihr Plan war, ihm aktive Sterbehilfe zu geben, ob es Lucien passte oder nicht. Dazu würde sie dem Infizierten eine Spritze mit einem hochdosierten Narkosemittel geben, damit dieser einschlief und sein Herz schließlich aufhören würde, zu schlagen. Dann würde er wenigstens nichts von seinem qualvollen Tod miterleben.

Lucien fuhr sich die Nasenwurzeln entlang und versuchte sich die Kopfschmerzen weg zu massieren. Womit hatte er eine so liebenswürdige Dämonin verdient? Waren die Heiler alle so? Schon jetzt war er von ihrer Art genervt. Verstand sie denn nicht, dass sie keine Zeit hatten?

Ihr war es durchaus bewusst, dass die Zeit drängte, doch Janette nahm sich die Zeit für den Patienten. Diesem legte sie, obwohl er sich wehrte und nicht sprach, einen Venenzugang, um ihm das letzte Mittel zu geben.

Selbst bei der Verabreichung wehrte er sich und Janette sprach beruhigend auf ihn ein. Versprach ihm, dass es bald vorbei war. Sein Widerstand ließ erst nach, als er seine Augen schloss.

Lucien seufzte. "Können wir jetzt weiter?", fragte er, denn die Zeit drängte. Sie brauchten schnell ein Heilmittel, denn die Verbreitung lief rasant.

Zu seiner Überraschung reagierte Janette nicht auf seine Worte, sondern kümmerte sich darum, dass dieser wirklich friedlich einschlief. Mehrmals hörte sie sein Herz ab und nickte schließlich. Der Infizierte hatte sich aus dem Leben verabschiedet. Wohl gerade noch rechtzeitig, damit ihm die schlimmsten Schmerzen erspart blieben.

Erst nachdem alles vorbei war, löste Janette ihren Dämonenschwanz um den Körper des Mannes und seufzte. Es traf sie, trotz der langen Erfahrung, immer hart, wenn jemand starb.

Lucien packte sie und zog sie weg. Gerade rechtzeitig, denn auch dieser Mann begann Auswüchse zu zeigen und blähte sich immer weiter auf.

Durch seinen starken Ruck taumelte Janette und fiel gegen ihn, bevor sie keuchte, dass sie schnell den Raum verlassen sollten. Damit sprach sie auch die beiden Engel, die bei dem Infizierten gewesen waren, an.

Gemeinsam liefen sie auf die Tür zu, kamen aber nicht mehr rechtzeitig. Der Mann blähte sich weiter auf und explodierte schließlich. Schneller, als es ohne Janettes Spritze wohl gegangen wäre.

Um wenigstens die Aufpasser zu schützen, schubste Janette diese unsanft gerade noch aus dem Raum.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden wurden sie und Lucien von schwarzem Blut bespritzt. Ihre Proben hatte sie glücklicherweise bereits verstaut, sodass diese unversehrt blieben.

Dafür bemerkte sie an ihrem Rücken Hitze und Schmerzen. Auch die Flügel an ihren Ohren wurden in Mitleidenschaft gezogen und es roch stark nach verbranntem Fleisch.

Lucien fluchte. "Das ist gar nicht gut", murrte er. "Wenn sie Engel so verletzen können, sind sie für die Menschen eine echte Gefahr. Wenn einer unter ihnen explodiert ... Nicht auszudenken."

Seinen Worten konnte Janette nur zustimmen. Dass diese Explosion mehr Schaden anrichten würde, hätte die Ärztin nicht gedacht. Der Infizierte hatte nicht so nah am Lebensende gestanden wie der vorherige.

„Haben Sie sich verletzt?", fragte sie Lucien, als sie sich aufrichtete. Ihre Hände glitten in die Taschen des Ärztekittels und erleichtert seufzte sie. Wenigstens waren sie heil geblieben.

"Nur gering", meinte Lucien und sie konnte sehen, dass sein offener Arm bereits heilte und einer seiner Flügel angesenkt war. "Aber du bist ebenfalls verletzt."

Eine abwinkende Handbewegung war die Antwort. „Nicht so schlimm", meinte sie abwehrend und erkundigte sich bei den Aufpassern, ob diese etwas abbekommen hatten.

Sie wirkten überrascht, aber sonst unverletzt. "Wir sollten schnellstmöglich die Proben untersuchen", stellte Lucien fest, der nur einen kurzen Blick für seine Leute hatte. Diese waren zäh und Engel heilten sehr schnell.

Mitleidig sah Janette das letzte Mal auf die Bescherung, bevor sie Lucien zunickte. Sie konnten gehen. Je früher sie mit dem Forschen anfing, desto besser. Dennoch war ihr der Patient wichtig gewesen.

Dämonenblut (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt