Kapitel 20 Entscheidungen in fremder Hand

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„Wo genau gehen wir hin", rief ich vor und versuchte der kleinen Gestalt vor mir durchs Gebüsch zu folgen.
Er hatte genauso wie ich einen roten Kapuzenpulli an, nur seiner war ihn deutlich mehrere Nummern zu Groß. Die Ärmel hangen schon zum Waldboden hinab und badeten dort in Laub und Dreck.

Ich versuchte etwas schneller zu rennen, aber mit jedem Schritt mit, den ich dieses Kind eigentlich näherkommen sollte, hatte ich nur den Eindruck er entfernte sich weiter von mir.

Kurz spielte ich mit den Gedanken einfach stehen zu bleiben, aber ich ließ ihn recht schnell fallen.
Irgendwas war da vor mir oder besser gesagt irgendjemand und etwas in meinem Inneren trieb mich immer weiter dazu an dieses Kind einzuholen. Vielleicht brauchte es Hilfe.

Irgendwas musste es immerhin genug verschreckt haben um so schnell weg zu rennen.
Ich versuchte ihn weiterhin nachzukommen, aber mich verließen die Kräfte.
Meine Schritte wurden zunehmender träge und langsamer.
Ein Schmerz von früher spürte ich, bevor mit der Pubertät völlig meine Übernatürlichkeit hervorkam. Seitenstechen.
Zögerliche verlangsamte ich meine Schritte, obwohl ich dadurch befürchtete das Kind ganz zu verlieren, aber das Gegenteil geschah.
Es blieb stehen.

Ich überlegte ob es dafür einen Grund geben könnte, aber mir fiel nichts auf. Die Bäume und das Laub war noch wie zuvor unberührt und gehörte allein der Natur.
Noch nicht einmal Abfall lag herum. Insgeheim freute ich mich darüber, aber die Sorge um dieses Kind überwog.

Warum überhaupt?

Ich kannte es noch nicht ein Mal.
Es war zu klein um Lilja zu sein und außer ihr gab es niemanden, der mir etwas bedeutete, zumindest niemand der menschlich war.

Argwöhnisch stellte ich fest, dass das nicht mehr ganz die Wahrheit war. Es gab noch Peter, der zumindest zur Hälfte Mensch war.
Ich verspürte eine Unsicherheit darüber und gleichzeitig überlegte ich seit wann er mir so wichtig geworden ist.
Mir fiel keinen Grund ein.
Es wird sich sicher wieder legen. Außerdem war er wohl kaum dieses Kind, dass vielleicht gerade mal acht von der Größe war.

Nun stand ich nur noch einen Schritt von ihn entfernt.
Ich ging in die Knie um mit ihn auf Augenhöhe zu sprechen.
„Hey, ist alles bei dir in Ordnung. Hast du dich verirrt?", fragte ich ihn.
Es folgte keine Reaktion.
Er drehte sich noch nicht einmal zu mir um.
Langsam streckte ich meine Hand aus und ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit.

Trotzdem faste ich ihn schließlich an der Schulter und drehte ich ihn zu mir. Zwei große wohlbekannte grüne Augen starrten mich an, strähnig fielen ihn seine Haare davor.

Die Kapuze umrahmte seinen recht schmalen Kopf und der Pulli ließ ihn dünner aussehen als er eigentlich war. Alles an ihn wirkte so leer.
Nur war es nicht die Leere, welche mir den Atem raubte, sondern das er mein Spiegelbild war.
Ein Spiegelbild, welches seit sieben Jahren eigentlich nicht mehr so existieren dürfte.

Ich zog meine Hand von ihn, als hätte ich mich verbrannt und sah ihn mit großen Augen an.
Ich suchte nach Wörtern, aber mir fiel nichts ein. Stolpernd wich ich einen Schritt zurück und sah mich nach einer Erklärung um...

„Hm, Peter", murmelte ich und sah verwirrt zu den grauen Augen auf.
Im nächsten Moment Begriff ich schon von selbst und rutschte leicht rot von ihn weg.

„Sorry, fürs wecken", sagte er, „aber während du deinen Schlaf nachgeholt hast, habe ich dem Gespräch gelauscht. Übernatürlichkeit ist doch schon ganz nützlich."

Bis gerade eben hatte er noch zumindest ein schmales Lächeln auf seine Lippen, aber dieses war nun völlig erlöschen, stattdessen sah er mich überlegen und abwägend an. „Peter", meine Stimme zitterte leicht, als ich begann meine Frage auszusprechen, „Was haben die gesagt?"

Er wandte seinen Blick ab und am liebsten hätte ich ihn angeschrien, aber als ich anfing zu sprechen war meine Stimme seltsam schwach und zitterte leicht.

„Peter, ich will es lieber von dir hören, als von fremden. Es ist okay", flüsterte ich ihn entgegen. Vorsichtig nahm ich seine Hand.
Er sah mich wieder an.

„Ich liebe dich", raunte er mir zu. „Ich habe dich schon mal verletzt und wenn ich es dir sage werde ich es wieder tun. Ich kann es nicht noch mal, sorry Babe."

Ungläubig sah ich meinen Gefährten an. War es das jetzt.
Dachte er wirklich er würde meine Gefühle schonen dadurch.
Ich wollte protestieren, aber die Wörter in meinem Kopf verschwanden schlagartig als die Tür auf ging.

Ich bemerkte zwar wie mich Peter auf meine Beine zog und wie ich selbst etwas hinter ihn trat, aber alles spielte sich in meinen Kopf ab, wie ein schlechter Film.

So als wäre ich nicht ein Stück des ganzen Theaters, sondern nur ein Zuschauer, der es über sich ergehen lassen müsste bis es endlich vorbei war. Ich konzentrierte mich völlig auf Eva und wagte es noch nicht einmal meine Mutter anzusehen.

Tief in mir war ich davon überzeugt, dass wenn ich es tat, dass alles absolut alles nur noch schlimmer kommen könnte.
„Ich würde gerne noch mal alleine mit dir reden", sagte sie und ich sah dagegen zu Peter.
Ich wollte nicht irgendwo ohne ihn hingehen, aber gleichzeitig war ich froh darüber, dass meine Mutter nicht dabei wäre.

Er lächelte mir aufmunternd zu und da verstand ich schließlich, dass Peter wohl gar nicht so traurig wie ich über seine Abwesenheit bei diesem Gespräch war.
Nüchtern stellte ich fest, dass es Sinn machte.
Warum sollte er sich deswegen schlecht fühlen.
Er hatte mir schon zu verstehen gegeben, dass er es mir nicht sagen wollte und genauso wie meine Mutter wälzte er diesen Job auf Eva ab.

Sie musste ihre Arbeit wirklich lieben. Ich stellte es mir ziemlich beschissen vor immer die sein zu müssen die die schlechten Nachrichten überbringt. Noch ein letztes Mal sah ich Peter vorwurfsvoll an, bevor ich Eva in ihr Büro folgte.
Wahrscheinlich lauschte Peter schon wieder.

Ich verfluchte mich innerlich selbst dafür nicht aufgepasst zu haben und stattdessen, den Schlaf von gestern nachgeholt zu haben.
Dieses Mal setzte ich mich nicht.
Im Fall das es schlechte Nachrichten waren, stand ich lieber.

Ich unterdrückte wieder einmal das Verlangen auf meiner Lippe zu kauen. Seit es Peter aufgefallen ist, wollte ich es mir abgewöhnen.
Als sie bemerkte, dass ich ihre Aufforderung nicht nachkam, setzte nur sie sich.

Ich lehnte mich stattdessen an die Schrankwand, an der ein paar Kinderzeichnungen hingen.
Eine zeigte eine glückliche Familie, was innerlich nur noch mehr Frust aufkommen ließ.
„Weißt du dafür, dass du in den letzten Jahren weder eine Schule besucht noch Förderung erhalten hast bist du außergewöhnlich vernünftig.

Ich würde schon fast behaupten, dass du anderen in deinem Alter etwas Voraus hast.
Ich denke, wenn ich dich frage, wo du die letzten Jahre verbracht hast, würde ich keine Antwort bekommen", endete sie, aber in mir bahnte sich schon ein Bewusstsein an, dass es nur die erste Etappe ihrer Rede war.

Ich nickte genau deswegen auch nur und wartete darauf, dass sie weitersprach.
Eva strich sich eine der blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht die ihr vor die Brille geraten war.
Als sie jedoch bemerkte das ich nichts sagte, brach sie das Schweigen und sprach selbst weiter: „Du hast es ohne auszusprechen schon sehr deutlich gemacht, dass dir bewusst ist was du willst.
Ich liege doch damit richtig, dass du nicht mehr bei ihr leben willst."

Erneut nickte ich und murmelte daraufhin noch ein schnelles Ja. Unruhig kaute ich mir auf der Lippe herum.
Es war Peter gewesen, der es überhaupt so weit gebracht hat.
Ich wäre auch ohne ihn unruhig in dieses Gespräch gegangen, aber dank ihn wusste ich schon, dass das Ziel negativ sein würde, nur der Weg zu diesen war noch ein Geheimnis.

„Weißt du", mir fiel auf das ihre Stimme eine ganze Spur behutsamer geworden ist, „deine Mutter ist selbst nicht im Moment in der besten Lage und sie weiß selbst, dass sie sich im Moment kaum um dich kümmern kann. Weißt du was Krebs ist?"

Mit dieser recht dummen Frage verlassen wir dieses Kapitel und mit der Antwort wird das nächste wohl beginnen:)

Na dann hoffe ich, dass niemand von euch mit Krebs erfahren machen musste weder an sich selbst noch an einem geliebten Menschen und Celine mach jetzt keinen Witz über deine Oma.

Bis zum nächsten Mittwoch●

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