Kapitel 5

34 6 6
                                    

Am Morgen des letzten Schultages, verließ ich das Haus - genau wie am Vortag - sehr früh, um pünktlich in der Schule zu sein.
Ich musste wieder einmal durch die Kälte laufen.
Es schneite zwar nicht sehr stark, aber ein eisiger Wind ließ mich selbst in meiner Winterjacke frieren.

Ich überlegte, ob Mason mich vielleicht wieder mitnehmen würde, aber das wollte wiederrum mein Vater nicht.
Und als hätte er geahnt, dass ich darüber nachdachte, hielt Mason in seinem Auto neben mir an.
Dieses Mal saß allerdings Kayden, ein Kumpel von Mason, auf dem Beifahrersitz.
"Guten Morgen!" riefen die Beiden im Chor. Dann sagte Mason: " Heute kann ich dir leider nur einen Platz auf der Rückbank anbieten."
"Mein Vater will eh nicht, dass ich bei dir mitfahre" gab ich zu und Mason fragte zweifelnd: "Wieso das denn?"
Daraufhin behauptete Kayden: "Er hat Angst, dass du sie tot fährst."

Ich hatte zwar immer gedacht, Mason sei ein Arschloch, aber in dem Moment wurde mir klar, dass Kayden noch viel assozialer war.

"Er muss ja nicht direkt von sich auf andere schließen" meinte Mason dann.
Ich konnte nicht fassen, dass er das gesagt hatte.
"Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid? Lasst mich einfach in Ruhe!" zischte ich und ging weiter.

"Wir sind nicht die Bösen, du hast einfach eine falsche Vorstellung von der Wahrheit" rief Mason mir hinterher.
Ich ignorierte ihn, aber das, was er gesagt hatte, konnte ich nicht einfach ignorieren. Ich hatte nicht im Geringsten eine Ahnung, was er mir damit sagen wollte.

Ich war schon ein ganzes Stück von Masons Auto entfernt, doch dann hörte ich, wie es immer näher kam.
"Keira, dass sollte nicht gemein klingen" behauptete Kayden, als das Auto wieder neben mir war.
"Dann hättet ihr euch ein bisschen netter ausdrücken müssen" merkte ich an und schüttelte den Kopf.
"Wir sind eben nicht gewohnt, nett zu dir sein" lachte Kayden und bekam von Mason kurz darauf einen Stoß in die Seite.

Danach forderte Mason mich auf, in sein Auto zu steigen, doch ich lehnte ab.
"Wir sind schon lange aus der Sichtweite deines Vaters" versuchte Mason mich zu überzeugen.

Weil ich mir denken konnte, dass er mich nicht in Ruhe lassen würde, bis ich sein Angebot annahm, stieg ich - mehr oder weniger freiwillig - in sein Auto.
Ich sagte kein Wort, doch dann erinnerte ich mich wieder daran, dass er gesagt hatte, ich hätte eine falsche Vorstellung der Wahrheit.

"Was für eine Wahrheit meintest du eben?" fragte ich also. "Die willst du eh nicht hören," begann Mason, "und erst recht nicht glauben."
"Jetzt erzähl sie mir!" befahl ich. "Nein, vielleicht irgendwann mal, aber nicht jetzt" beendete Mason die Diskussion.
Da ich wirklich neugierig war, wollte ich Kayden fragen: "Kayden, kannst-" "Nein, er sagt dir das auch nicht!" unterbrach mich Mason, bevor ich den Satz beendet hatte.
"Was ist eigentlich euer Problem?" fragte ich genervt, doch bekam keine Antwort.
"Das war eine Frage und jetzt warte ich auf eine Antwort" erklärte ich.
"Dann kannst du lange warten" meinte Mason und grinste mich durch den Rückspiegel an.
"Ich hasse euch" schimpfte ich und Kayden stimmte mir zu: "Ja, das hast du uns schon oft gesagt."

Den Rest der Fahrt redeten Mason und Kayden nicht mit mir, aber ich sprach sie auch nicht mehr an. Stattdessen dachte ich darüber nach, ob es so schlau war, in Masons Auto zu steigen, sodass mir schließlich auffiel, dass es tatsächlich ziemlich naiv war.

"Wir feiern heute Abend in der Hütte am Meer, falls du auch kommen willst, Keira" lud Kayden mich - zu meinem Erstaunen -  ein.
"Du kannst auch Lorna mitbringen" fügte Mason hinzu.
"Was ist denn jetzt schon wieder mir euch los?" fragte ich zweifelnd und Mason antwortete: "Je mehr Leute kommen, umso lustiger wird es."
"Ich weiß nicht" sagte ich zögerlich.
"Ach komm, ich passe auch auf dich auf" versprach mir Mason, während er in den Rückspiegel schaute und mir zuzwinkerte.
In dem Moment konnte ich Kayden Grinsen sehen.
"Ihr habt doch irgendwas vor" stellte ich fest und verdrehte die Augen.
"Ja klar! Wir haben vor, mal wieder richtig zu feiern" erklärte Kayden, doch ich zweifelte noch immer an der Ehrlichkeit der Beiden.
"Ich überlege es mir" teilte ich Mason und Kayden schließlich mit, woraufhin ich einen kleinen Funken Freude in ihren Gesichtern erkennen konnte.

Wir waren in der Zwischenzeit bei der Schule angekommen und ich wollte schon los gehen, als Kayden mich aufhielt: "Warte, du kannst auch mit uns reingehen, wir beißen nicht."
So naiv wie ich war, blieb ich stehen und wartete zusammen mit Kayden auf Mason, der noch seinen Rucksack aus dem Kofferaum holen musste.

Als wir zu dritt über den Schulhof liefen, wurde ich von verschiedensten Leuten angestarrt und einige Mädchen warfen mir zickige Blicke zu. Ich war mir sicher, dass es sich bei diesen Mädchen um die Verehrerinnen von Mason oder Kayden handelte.
Mir wurde klar, dass ab jenem Moment viele neue Gerüchte entstehen würden und zwar Gerüchte über mich.

Es wäre eine bessere Idee gewesen, alleine ins Schulgebäude zu gehen, aber es war zu spät dafür.
"Werdet ihr immer so angestarrt, wenn ihr hier rumlauft?" fragte ich die Jungs und Mason antwortete:
"Nein, das liegt an dir."
Daraufhin lachten die beiden und ich seufzte.
"Keine Sorge, wenn dir einer von den Losern zu nah kommt, machen wir den platt" versicherte mir Kayden und Mason stimmte ihm zu: "Genau, sieh uns einfach als deine großen Brüder an."

Ich merkte, wie ich zusammenzuckte, als Mason das Wort Brüder sagte.
Durch diese Aussage fühlte ich mich angegriffen, obwohl ich wusste, dass Mason nicht die Absicht hatte, sich mit Lorenzo gleichzusetzen.

"Verdammt," Mason bemerkte, dass er das nicht hätte sagen sollen, "so war das nicht gemeint."
"Schon gut" sagte ich mit leiser und zurückhaltender Stimme. Ich ging einfach weiter.

Im Gebäude waren nicht mehr so viele Leute, die uns anstarrten. Vor allem nicht im Flur der jüngeren Kinder, da die sich nicht für die neusten Gerüchte interessierten - worüber ich sehr froh war.
Mason und Kayden liefen mittlerweile hinter mir. Ich hörte, dass Kayden irgendwas zu Mason sagte und dann ging er in eine andere Richtung.

"Keira, warte mal" sprach Mason mich an und eigentlich wollte ich warten, aber - aus einem mir unerklärlichen Grund - wollte ich auch einfach nur weg von ihm.
"Das war nicht so gemeint" wiederholte Mason sich und griff nach meinem Arm, weshalb ich gezwungen war, stehen zu bleiben.
"Ich weiß."
Er schaute mich zweifelnd an und fragte mit ernster Stimme: "Was ist es dann?"
"Mir wird das alles zu viel" antwortete ich und bemerkte, dass meine Stimme brüchig wurde.
Ich wollte gehen, doch Mason ließ meinen Arm nicht los.

In diesem Moment fühlte ich mich irgendwie hilflos und angreifbar. Zuvor hatte ich immer versucht, stark zu sein und meine Trauer zu verdrängen, was auch funktioniert hatte.
Jedoch spürte ich in jenem Moment, wie sich all die Traurigkeit und all die Tränen, die ich nie gezeigt hatte, zusammentaten, um mich jeden Augenblick zu besiegen.

Ich spürte die erste Träne über meine Wange laufen. Danach folgten die Zweite und die Dritte und die Vierte.
Nichts in meiner Umgebung nahm ich mehr wahr, nur noch, dass plötzlich Masons Arme meinen Körper umschlossen.

nachdem die Welt erloschen warWo Geschichten leben. Entdecke jetzt