Kapitel 7

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Das Telefon tippelte auf ihn zu und schlug ihm mit einer scharfen Klaue auf die Hand.
Flug zischte auf und warf dem Roboter einen wütenden Blick zu, bevor er das Gespräch annahm.
„Black Hat Organisation?"
„Na endlich...Ich würde gerne eine Bestellung aufgegeben", meldete sich eine genervte Stimme, männlich, jung, kein Akzent.
„Einen kurzen Moment..."
Er stieß sich mit seinem Rollstuhl vom Tisch ab, schlitterte zum nächsten Computer.
„Sind Sie bereits Kunde oder sind Sie neu bei uns?"
„Ersttäter, wenn Sie es so nennen wollen", meinte die Stimme und wirkte weniger genervt, mehr amüsiert.
Flug eröffnete eine neue Kartei und klemmte sich dafür das Telefon zwischen Schulter und Ohr.
„Ihre Personalien bitte... Name, Vorname, Alter usw."
„Gâcher, Tenebris, 32..."
Der Wissenschaftler notierte fleißig und achtete darauf keinen Rechtschreibfehler zu begehen. Der letzte hätte ihn fast das Leben gekostet - aber auch nur fast.
„Nun, Mr Gâcher...Was genau möchten Sie bestellen?"
„Artikel 244 aus Ihrem Katalog", war die knappe Antwort und Flug dachte kurz nach.
Artikel 244...
Ach ja, die Schrumpfpistole. Drei Stunden und er hätte sie fertig gestellt - unter normalen Bedingungen. Im Moment würde er mit dem doppelten Rechnen müssen.
Immerhin hatte er noch Zeit, bis Black Hat bei ihm gewesen und der Vertrag unterzeichnet worden war.
„Ihre Bestellung wird verschickt, sobald der Vertrag geregelt wurde", meinte er und nahm den Hörer wieder richtig in die Hände.
„Das heißt was?"
„Bleiben Sie die nächsten vierundzwanzig Stunden erreich- und vorzeigbar", antwortete er knapp und beendete dann das Telefonat indem er den Hörer etwas härter als nötig auf die Gabel pfefferte. Die Beinchen des Telefons knickten ein und es quietschte auf, dann hastete es so schnell wie möglich aus dem Weg.
„Hast du davon", brummte Flug ihm hinterher, spürte noch immer einen leichten Schmerz auf dem Handrücken.
Wo war er gerade gewesen?
Ah, ja... Der Roboter und der "Liebestrank".
Letzteres hatte inzwischen die gleiche rosa Färbung angenommen wie das Original, er musste nur noch die Wirkung testen. Und er wusste auch schon wie...
Er rollte zurück zu seinem Arbeitstisch und fingerte die bereits aufgezogenen Spritzen in das Betäubungsgewehr.
Es wurde sowieso Zeit, dass er sich etwas essbares besorgte, dann könnte er sein Mittelchen auch gleich testen.
Je eher er diese Angelegenheit beendete, desto besser für ihn und seine Überlebenschancen. Auch wenn Black Hat Schwierigkeiten haben würde, einen neuen Wissenschaftler mit seinem Niveau zu finden, war er nicht für seine Weitsicht bekannt sollte er wütend werden. Über Konsequenzen dachte er erst nach, nachdem er sich abreagiert hatte.
Flug schluckte bei diesen Gedanken schwer und schulterte das Gewehr, stellte beim Verlassen des Labors sicher, dass Dementia nicht so einfach hineingelangen konnte und stapfte dann die Treppe hinauf.
Sein kleines Zimmer befand sich mehr oder weniger direkt gegenüber vom Labor und war somit sein erster Anlaufpunkt.
Mit dem Rücken schob er die Tür auf und trat an sein Fenster. Von dort hatte er eine gute Sicht auf die Straße und die dort auftauchenden Passanten.
Es waren wenige, hauptsächlich Touristen die sich hierher verirrt hatten. Niemand der Stadtbewohner wäre so dumm sich Black Hat's Anwesen zu nähern.
Er legte das Gewehr auf seinem, mit Blaupausen überfüllten, Zeichentisch ab und öffnete das Fenster.
Immerhin regnete es ausnahmsweise nicht...
Zu seinem Glück kreuzten zufälligerweise zwei Fremde ihre Wege vor dem Anwesen und er legte an. Der Schuss war perfekt, auch wenn ihm die Arme vom Rückstoß schmerzten.
Die rothaarige Frau kollabierte und der Mann hastete an ihre Seite. Er zielte erneut und traf wieder perfekt – dem Schießtraining seiner Schwester sei Dank. Beide lagen nun auf dem Pflaster und achtlos schleuderte er das Betäubungsgewehr über seine Schulter auf seine Schlafcouch und musste lächeln, als er an die Empörung seiner Schwester denken musste, wenn sie ihn dabei gesehen hätte.
Wie konnte er es auch wagen so unvorsichtig mit ihren Lieblingen umzugehen?
Von seinem Zeichentisch nahm er sich sein Tablett und einen Tab-Stift.
Er konnte dieses Equipment nicht leiden, aber nachdem sein Klemmbrett einem kleinen Unfall zum Opfer gefallen war, musste er sich damit begnügen.
Gerade noch rechtzeitig wandte er sich wieder den Geschehnissen auf der Straße zu.
Der Mann half der Frau auf die Füße, seine Hand lag dabei tief auf ihrer Hüfte, während sie sich an ihn drückte. Es dauerte noch genau zwei Minuten, dann lagen sie sich eng umschlungen in den Armen und kämpften erneut um ihr Gleichgewicht.
Es fehlte nur noch, dass sie sich gegenseitig die Kleidung vom Leib rissen...
Sorgfältig notierte er die Zeit bis zum Ausbruch der Wirkung, die Effekte und deren Intensität auf seinem Tablett, dachte nebenbei nach. Entweder war das neue Mittel nun stärker als das Erste, oder sein Chef besaß ein viel höheres Toleranzniveau.
Er tippte auf letzteres.
Immerhin durfte er nicht vergessen, dass sein Boss ätzenden Speichel produzieren und die stärksten Gifte trinken konnte ohne Schaden zu nehmen. Vielleicht war es zu seinem Glück – wer weiß schon, was alles hätte geschehen können, wenn diese Schwelle nicht bestehen würde...
Bei dieser gewaltigen unfreiwilligen Injektion hätte er sich garantiert nicht zurückhalten können. Flug erschauerte bei dem Gedanken von seinem Chef geküsst zu werden, die scharfen Klauen durch seine Kleidung zu spüren, die gespaltene Zunge in seinem Mund...
Er übergab sich beinahe und ließ das Tablett fallen. Wenn es wirklich so weit gekommen wäre, hätte er sich bei Tante Elaines Beerdigung gleich mit vergraben lassen können.
Es machte die Sache nicht besser, dass diese Möglichkeit immer noch bestand, sollte er nicht bald ein Gegenmittel besitzen.
Andererseits lag auch ein gewisser Funke an Spannung in dieser Angelegenheit... Nein, an so etwas durfte er nicht einmal ansatzweiße denken!
Er sah wieder aus dem Fenster, doch seine unfreiwilligen Testobjekte waren bereits verschwunden.
Verdammter Mist...
Vielleicht sollte er doch wieder dazu übergehen die Leute zu betäuben und im Labor einzusperren.
Er seufzte und hob das Tablett auf, legte es wieder auf seinen Zeichentisch und verließ dann sein Zimmer. Es war unerwartet still im Haus, als er durch die bildbehangenen Gänge schritt, was nur bedeuten konnte - Dementia war auf einem Auftrag.
Was für eine Erleichterung!
Er erreichte die Küche und besah sich die Brandflecken, die noch klar und deutlich zu erkennen waren.
Sie erinnerten ihn daran, warum er sein Labor so selten verließ.
Kopfschüttelnd öffnete er den Kühlschrank und schrak zischend zurück, als sein Blick die abgepackten Sandwiche entdeckte, die mayonnaisetriefend die gesamte linke Kühlschrankseite einnahmen.
Kontaminiert...der gesamte Einkauf war kontaminiert...
Und er wusste ganz genau von wem! Dieses kleine Miststück!
Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck schloss er den Kühlschrank und wandte sich dem Tiefkühlfach zu. Dann musste er sich wohl oder übel was kochen.
Seine Wahl fiel auf Fischstäbchen mit Kartoffelbrei.
Leise summend warf er den Herd an, hatte die Handschuhe ausgezogen und die Ärmel des Kittels hochgekrempelt. Die Stäbchen brutzelten vor sich hin und er wollte soeben das Kartoffelbreipulver einrühren, als ihn zwei kräftige Arme um die Hüfte packten und er an einen schlanken Körper gedrückt wurde. Vor Schreck stieß er beinahe den Topf vom Herd, konnte sich aber gerade noch sammeln.
„Hier bist du, Doctor. Ich hab dich schon gesucht", murmelte Black Hat und legte sein Kinn auf Flugs Kopf ab.
„Sir, könnten Sie mich bitte loslassen? Ich würde gern mein Essen fertig kochen", meinte er und versuchte seine Stimme so ruhig wie möglich zu halten.
Nicht gerade einfach.
„Natürlich. Es ist eh so selten, dass du richtig isst", meinte Black Hat und ließ ihn tatsächlich los, lehnte sich dann mit dem Rücken an die Küchenzeile. Sein sichtbares Auge beobachtete jede Bewegung des Doktors interessiert und brachte Flug damit um seine Konzentration.
„Ich...es dürfte nicht mehr lange dauern, bis ich das Gegenmittel fertig gestellt habe", begann er deswegen zu erzählen und nahm sich einen Teller.
Stille senkte sich wieder über sie, wobei Black Hat sie zu genießen schien, während Flugs Gedanken dafür rasten.
Die verschiedensten Arten seines vorzeitigen Ablebens mischten sich mit den Möglichkeiten, die entstehen konnten, sollte das Mittel anhalten, und irgendwo ganz weit hinten in seinem Verstand spielte eine überforderte Gehirnzelle den Macarena-Refrain in Dauerschleife.
Er kam dennoch zu dem Entschluss, sich mit seinem Essen im Labor einzuschließen und zu hoffen, dass sein Chef ihm nicht folgen würde.
Doch als er sich mit seinem Teller aus der Küche verziehen wollte, hielten ihn erneut zwei Arme fest, zogen ihn zu dem kleinen Zwei-Personen-Tisch gegenüber der Küchenzeile.
„Wohin so eilig? Es ist gesünder in Ruhe zu essen. Die Arbeit läuft dir nicht davon", meinte Black Hat ruhig und platzierte Flug auf einem Stuhl, bevor er sich ihm gegenüber niederließ.
Der Macarena-Refrain spielte in voller Lautstärke.
Was sollte er tun?
Er wollte nicht...aber sein Chef schien ihm keine andere Wahl zu lassen...
„Sir, könnten Sie sich bitte umdrehen und aufpassen, dass keine Kamera auch nur in die Nähe der Küche kommt?", wagte er zu fragen, was einen verwirrten Gesichtsausdruck nach sich zog.
„Warum?"
Musste es noch schlimmer werden...?
„Die Tüte, Sir. Zum essen muss ich sie abnehmen und ich will nicht, dass sich irgendwo auch nur eine Möglichkeit bietet, dass mein Gesicht irgendwo fotografiert oder gefilmt wird", erklärte er und zu seiner großen Überraschung nickte Black Hat.
„Ich verstehe...Du liebst die Freiheit die es mit sich bringt, dass niemand dein Gesicht kennt, stimmt's?"
Der Dämon wandte ihm tatsächlich den Rücken zu und besah sich das Zimmer sehr aufmerksam.
„Sollte ich das verlieren könnte ich mich gleich erschießen", entgegnete Flug trocken, bemerkte dann jedoch wieder mit wem er sprach und verschluckte sich an seinem Fischstäbchen.
„Entschuldigen Sie, Sir, das wollte ich eigentlich nicht sagen", hustete er verlegen, doch der Dämon blieb still.
„Denkst du öfter über so etwas nach?"
Die plötzliche nachdenkliche Frage überraschte Flug und er runzelte die Stirn.
„Was meinen Sie, Sir?"
„Zu sterben - denkst du oft darüber nach und bitte sei ehrlich...", fügte er an, hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt.
Was sollte er darauf nur antworten?
Dass er fast täglich daran dachte?
Darüber, wie Black Hat alles beenden könne, oder aber auch er selbst, wenn der Druck mal wieder zu groß wurde...
„Immer wieder", gestand er schließlich und beendete sein Essen, zog sich die Papiertüte wieder über. Der Dämon hörte das leise Knistern und wandte sich wieder um, ein nachdenklicher Ausdruck im Gesicht.
„Ich... Ich werde weiter an dem Gegenmittel arbeiten. Außerdem müssen 505 und ich noch eine Bestellung ausliefern", murmelte er und stand auf, stellte das Geschirr in die Spüle und wollte die Küche verlassen, als Black Hat ihn unvermittelt an der Hand nahm.
„Du würdest mir sehr fehlen...Mehr als du vielleicht glaubst", seufzte Black Hat und strich mit seinem Daumen sanft über Flugs Hand.
Dieser schluckte nervös, wusste nicht ob er darauf etwas antworten sollte.
„Sei einfach vorsichtig", murmelte Black Hat und ließ ihn endlich los.
„Natürlich, Sir", entgegnete Flug leise und hastete dann in sein Labor.
Er durfte nicht auf solche Worte hören, egal wie schön sie waren - sie waren nicht echt! Es waren Ergebnisse eines ungewollten Experimentes, Beiwerk das es zu ignorieren galt...
Gott, er musste dringend mit irgendwem darüber reden...

Villainous -  Accidentally in LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt