Was Liebe ist

247 14 4
                                    

Yukine stand mit pochendem Herzen vor Suzuhas uraltem Kirschbaum, in dessen Schatten er einst zusammen mit Yato, Hiyori, Bishamon und all den andern das Kirschblütenfest gefeiert hatte, um ihm zu gedenken. Sie wollten das jedes Jahr zur Kirschblüte wiederholen, aber es war nie dazu gekommen. Er trug jetzt keine Blüten, aber dennoch fand Yukine unter den gewaltigen Ästen immer Trost, als würde der Baum spüren, dass er ihn mochte.

Seine Gedanken wanderten unwillkürlich zu Yato. Wie konnte der alte Sack so etwas zu ihm sagen? Aber er hatte nix erwidert, es nicht mal abgestritten. Er war davongelaufen. Aber vor was oder wem war er eigentlich weggelaufen? Bestimmt wollte der Idiot ihn nur veräppeln. Das wäre ja nichts Neues für diesen Kindskopf. Doch warum fühlte es sich so seltsam an? Natürlich liebte er Yato und er würde alles für ihn tun. Er war sein Gebieter, sein Gott, sein Retter, sein Vertrauter, sein Ein und Alles, sein... Yukine fasste sich an sein Herz, das sich schmerzhaft zusammenkrampfte und dann doppelt schon schnell weiterpochte. Tränen glitzerten in seinen Augen. Was war nur los mit ihm? Wind rauschte durchs Blätterdach. Aufgewühlt ließ sich Yukine gegen den Baum sinken und atmete tief durch. Doch das Brennen in der Brust wollte nicht nachlassen. Weshalb nur? War da doch mehr? Unsinn. Wieso sah der Mistkerl auch so gut aus? War es denn verwunderlich, wenn man für einen Moment perplex aus der Wäsche guckt, wenn ein Gott unvermittelt, mit nichts außer einem Handtuch über den Schultern und tropfenden Haaren, aus dem Bad kommt? Er war einfach nur überrascht gewesen, mehr nicht. Und ist es nicht normal, dass man so etwas Schönes berühren möchte, das man will, dass des einem ganz alleine gehört?

„Hör endlich auf!", flehte er sein Herz an, das jetzt raste, als wollte es bersten.

Er schloss die Lider. Versuchte die Gedanken abzuschütteln. Vergebens. Vor ihm erschien Yato, der ihn mit seinen leuchtend blauen Augen anlächelte. Mit diesem Lächeln und dem manchmal geradezu kindlichen Wesen konnte er jeden bezaubern. Der Gott legte eine Hand an seine Wange und er schmiegte den Kopf hinein. Yukine riss sich aus seinem Tagtraum und spürte augenblicklich wie Wärme in seine Wangen schoss und nicht nur dorthin.

„Verdammt Axt, was soll ich jetzt nur tun?" Er würde es nicht ertragen, Yato unter die Augen zu treten. Noch weniger ertrug er die Vorstellung sich von ihm fernzuhalten.

Yukine rannte los. Er rannte und rannte, auch wenn er längst begriffen hatte, dass er hiervor nicht weglaufen konnte. Seine Schritte führten ihn zu Kofukus Haus. Völlig außer Atem blieb er auf die Oberschenkel gestützt stehen.

Daikoku trat aus der Tür. „Hey Yuki, da bist du ja. Dein Glücksgott sucht dich."

„Yato? Er ist da?" Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück, als wollte er gleich wieder loslaufen.

„Er ist schon weg." Daikoku sah in forschend an. „Sag mal, was ist das zwischen dir und ihm?"

„Nichts!", fauchte er.

„Denkst du, es wäre nicht langsam Zeit ehrlich zu sein? Ich meine, du brauchst es mir nicht zu erzählen. Auch wenn ich für alles ein offenes Ohr habe. Aber sei wenigsten ehrlich zu dir selbst!"

Er sah die Shinki mit großen Augen an, die leuchteten wie die Morgendämmerung. War er so leicht zu durchschauen. Nur wie? Er hatte es ja selbst nicht gewusst. Aber war das wirklich so, oder hatte er diese Gefühle, wie so vieles, tief in sich begraben? Doch jetzt drängten sie an die Oberfläche, wie ein Korken, den man versucht unter Wasser zu halten.

„Scheiße - was würde das schon bringen? Es gab eine Zeit, da hat er hauptsächlich sich selbst geliebt. Das war nur schwer zu verkraften. Dann verliebte er sich in Hiyori. Doch jetzt? - Yato liebt einen Geist. Und das ist am schwersten zu ertragen."

„Verstehe. Und was ist mit dir? Liebst du Yato?"

Yukine senkte den Blick und spürte wieder die verräterische Wärme in seinen Wangen. Er nickte kaum merklich.

„Und wieso läufst du dann weg?"

„Weil ich ihn auf eine Art liebe, wie ein Mann einen anderen nicht lieben sollte und schon gar nicht eine Shinki ihren Gott."

„Mh - ist das so? Yuki, du hast noch viel zu lernen. Du hast keine Ahnung davon, was Liebe wirklich ist. Aber lass dir eines gesagt sein: Liebe ist nichts, das sich an menschliche Konventionen oder Vorstellung hält. Liebe ist so allumfassend, dass selbst Götter nicht von ihr ausgeschlossen sind. Also wer, glaubst du, hätte die Autorität zu bestimmen wen oder wie man lieben darf?"

„Und woher sollte ich das alles wissen? Ich habe offensichtlich keinen blassen Schimmer, wenn es um Liebe geht."

„Wer hat den schon. Diejenigen, die von sich behaupten alles über sie zu wissen, sind diejenigen, die am wenigsten Ahnung davon haben. Warum versuchst du nicht, es mit deinem Glücksgott zusammen herauszufinden? Du hast ein gutes Herz. Folge deiner Intuition."

„Aber wie steht Yato zu mir? Würde er nicht eher ...? Ich meine, er liebt doch..."

„Einen Geist? Wenn du davonläufst, wirst du es auf keinen Fall herausfinden."

Ein Schmerz fuhr durch Yukines Brust. Anders als zuvor. Es war nicht sein eigener Schmerz. „Yato!", entfuhr es ihm. Irgendetwas hatte seinen Gott emotional so getroffen, dass es ihn aus der Bahn geworfen hat. So heftig, dass er die Gefühle nicht mehr zurückhalten konnte. Yukine schwankte und sank zu Boden, kaum fähig diese Last zu ertragen. Nie zuvor hatte er seine Emotionen so wahrgenommen. Was war geschehen? Yatos Qualen mussten unerträglich sein. Ganz allmählich ließ der Schmerz nach. Das Zeichen auf seiner Haut, mit dem ihn Yato versehen hatte, als er ihm seinen Namen gab und das sie auf magische Weise verband, pulsierte.

„Er ruft mich bei meinem Shinki-Namen. Etwas muss passiert sein. Etwas Schlimmes. Ich muss zurück nach Takamagahara."

„Dann geh! Schnell!"

Noragami - Der Himmel muss wartenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt