Eine neue Gefährtin - Kapitel 6

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Der rot leuchtende Stein war von einem Gewinde hölzerner Schlingen umgeben, die ihn wie einen behüteten Schatz in sich schlossen. Durch die Fusion hatte der Ast eine gleichmäßige Form erhalten, beinahe schon symmetrisch, und ließ sich am Stil leicht umfassen. Im Gegenzug strahlte der Schleifstein um ein Vielfaches kräftiger und hatte eine ovale Gestalt angenommen. Im Allgemeinen war Mikalis sehr zufrieden mit diesem Ergebnis. Er hatte schon lange nicht mehr richtig gezaubert. In Anbetracht dessen war das eine herausragende Leistung. Dass seine vorgestellte Form bis ins Detail umgesetzt wurde, hatte ihn selbst überrascht.

Ebenso war Illya fasziniert von seiner neuen Waffe. Die Elfe betrachtete den Stab mit großen Augen, als sie sich am frühen Nachmittag vor dem Gasthaus zusammengefunden hatten. "Der ist wunderschön! Woher habt Ihr den?"

Stolz klopfte sich Mikalis auf die Brust. "Den habe ich selbst entworfen. Er ist ein Unikat und sehr wertvoll. Fasst ihn also vorsichtig an."

"Ein Unikat? So wertvoll?! Dann berühre ich ihn lieber nicht..."

Wie gut, dass die Elfe nicht sehen konnte, wie sich der Magier in Gedanken lachend auf dem Boden wälzte. Natürlich war der Stab ein Unikat, da er von ihm ohne Vorlage entworfen wurde. Aber wertvoll war er auf keinen Fall. Die Materialkosten beschränkten sich auf die Kosten des Schleifsteins, den Ricardus nur als Bonus erhalten hatte, und ein Holz, das man in diesem Land so gut wie überall finden konnte. Grob gerechnet war er so gut wie kostenlos. Der wahre Wert bestand in der Herstellung. Für ein Genie wie ihn war der Aufwand nicht allzu groß gewesen, doch ein durchschnittlicher Magier hätte für dieses Kunstwerk wesentlich mehr Arbeit investieren müssen. In diesem Sinn war der Zauberstab einiges an Geld wert, nur in seinen Augen nicht, da er einen solchen Stab täglich reproduzieren konnte. Derzeit hatte er allerdings keinen weiteren Stein und Ast parat, weshalb die Elfe ihn nicht sofort zerstören sollte. Er hatte bereits Bekanntschaft mit ihrer Ungeschicktheit gemacht und nutzte die Warnung an sie als Präventivmaßnahme.

Indessen hatte Ricardus seine Ausrüstung gründlich überprüft. Rüstung, Schwert und Schild waren allesamt am Mann. Er nickte sich selbst zu zur Bestätigung, dass er alles dabei hatte. Wie von einem anständigen Ritter zu erwarten, war er stets gut vorbereitet. Auf den zweiten Blick vielleicht schon zu gut. Denn Mikalis hatte etwas entdeckt, das ihn stutzig machte.

"Herr Ostrathes? Wieso tragt Ihr zwei Schwerter bei Euch?" Der dritte Blick wies ihn schließlich darauf hin, dass es sich bei dem besagten Schwert um nichts anderes als das Geschenk handelte. Das regte ihn noch mehr zum Nachdenken an. Er hatte ihm doch heute Morgen mitgeteilt, dass er einen Stab nutzen würde. Und ein Paladin, der mit Schwert und Schild kämpfte, brauchte ganz gewiss kein zweites Schwert, es sei denn, er fürchtete, sein erstes könnte zerbrechen.

"Ihr habt gute Augen", merkte der Paladin an. Überrascht klang er dennoch nicht. "Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Macht Euch darüber keine Gedanken. Ihr habt nun Euren Stab, der Euch besser dienen wird als diese Klingenwaffe. Ich gebe zu, dass er mich verblüfft hat, als ich ihn zum ersten Mal sah. Äußerlich kann er zweifelsohne mit dem teuren Schwert mithalten. Und ich hoffe, dass für seinen Nutzen mindestens das Gleiche gilt."

Seine wohl klingenden Worte waren nur eine Täuschung seiner eigentlichen Gefühlslage. Subtil herauszuhören und doch unverkennbar: Ricardus war beleidigt, dass nicht sein Schwert ausgewählt wurde. Und das besonders Bittere daran war, dass ein aufgelesener Ast und ein billiger Schleifstein mit ihm auf einem Niveau waren. Vermutlich hatte er sich erhofft, dass sein Zauber als Fehlschlag enden würde und er das Schwert somit doch hätte annehmen müssen. Aber das Schicksal hatte etwas anderes vorgesehen. Der Stab war schöner als viele Familienerbstücke und Ricardus' Miene mürrischer als am vorhergehenden Tag. Ein interessanter Kontrast, aber nicht unbedingt willkommen. So gern er den Ritter auch aufzog, bei einer wichtigen Mission wie heute sollte der Mann sich nicht von seiner Wut auf Mikalis ablenken lassen.

Nur der Ritter und der Magier können die Prinzessin rettenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt