Aufbruch - Kapitel 2

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Mikalis verstand noch immer nicht, was vor wenigen Stunden geschehen war. Er wurde aus seiner Zelle befreit und erhielt Kleidung, die sonst nur einem Adligen zuteilwurde. Er hatte sogar die freie Auswahl gehabt und durfte sich Seidenstoffe heraussuchen sowie ein Kleidungsstück mit langen Ärmeln, die zum Ende hin breiter wurden. Er war nicht sonderlich wählerisch, aber die langen Ärmel waren ein Muss. Als Häftling war er gezwungen, die Gefängniskluft zu tragen, die aus einer braunen Hose und einem braunen Oberteil bestand, beides sehr locker sitzend, da es nur ein paar Einheitsgrößen gab. Grundsätzlich hatte er nichts dagegen gehabt und empfand sie eigentlich als recht komfortabel, aber er hatte es schon vermisst, seine Hände unter einer Stoffschicht zu verstecken. Manch einer würde nun glauben, dass er an einer psychischen Erkrankung litt, die Einfluss auf die Wahrnehmung seiner Hände hatte, aber dem war nicht so. Er liebte bloß sein Handwerk als Magier, das es ihm erlaubte, magische Utensilien mit sich zu führen, allen voran Zaubertränke.

Glücklich über seine zwei neuen 'Freunde', wedelte er mit seinen Armen und traf rechts von sich Ricardus' Gesicht. Beabsichtigt hatte er das nicht, aber er wollte sich nicht entschuldigen, bevor er nicht die Reaktion des Paladins sah. Mit einem Stofffetzen geschlagen zu werden, tat nicht sonderlich weh, daher fühlte er sich auch nicht schlecht.

"Herr Draelto...", sprach der Schwarzhaarige mit geschlossenen Augen. Sein linker Mundwinkel zuckte unentwegt, trotz allem blieb seine Stimme ruhig. "Würdet Ihr dieses unangemessene Verhalten bitte unterlassen?"

Mikalis nickte verständnisvoll und verschränkte die Arme. Wenn sich seine Glieder gegenseitig festhielten, hatte er eine bessere Kontrolle über sie und konnte seine Impulse zurückhalten. "Durchaus, durchaus!"

Ricardus blickte misstrauisch, doch sagte er dazu nichts weiter. "Wie dem auch sei...", kam er schließlich auf sein Anliegen zu sprechen. "Ihr wollt sicher erfahren, weshalb ich Euch zu mir geholt habe."

Derzeit befanden sie sich in einem kleinen Raum, der schlicht eingerichtet war. Die Wände waren komplett weiß ohne Verzierungen und im Raum gab es nur einen Schreibtisch mit passendem Stuhl, einen Schrank, eine kleine Kommode und ein Bett. Das Bett wirkte zweifelsohne bequem, aber ansonsten hätte Mikalis fast geglaubt, dass er sich noch immer in seiner Zelle aufhielt. Angeblich war dies Ricardus' Unterkunft in der Kirche. Wegen Platzmangel hatte selbst ein Mann seines Status nur dieses winzige Schlafgemach erhalten. Mikalis würde darüber nicht urteilen, denn er hatte nicht einmal eine eigene Wohnung, aber wenn er die Möglichkeit hätte, würde er mindestens drei solcher Räume benötigen, um seine Forschungsunterlagen unterzubringen und Experimente durchzuführen. Da Ricardus aber kein Magier war, brauchte er das nicht.

"Zu mir geholt? Ihr meint wohl eher, gegen meinen Willen hinaus gezerrt! Ich war glücklich in meiner kleinen Zelle! Das Essen war vielleicht nicht das beste, aber immerhin musste ich nicht verhungern", protestierte er gegen Ricardus' euphemistische Wortwahl.

"Dem Land geht es nicht so schlecht, dass die Menschen in Freiheit verhungern müssten", entgegnete der Paladin. Aber das war auch gar nicht der Punkt gewesen. "Aber Ihr seid natürlich weiterhin nicht frei. Eure Zelle wird... im Prinzip nur verlegt."

Ungläubig hob Mikalis seine Augenbrauen. "Verlegt? Wohin denn?"

"Zu mir."

"Was soll das denn bedeuten? Soll ich in diesem Raum wohnen oder wie?", wollte Mikalis genauer wissen.

Daraufhin schüttelte Ricardus den Kopf und schmunzelte kurzzeitig. Mikalis hatte ausnahmsweise eine ernste Frage gestellt und ausgerechnet dann lächelte dieser Mann, obwohl er zuvor all seine Albernheiten ignoriert hatte? Ricardus war sehr sonderbar und schaffte es unbewusst, Mikalis zu verärgern. "Zu mir heißt zu mir. Das beinhaltet keine Räumlichkeiten, sondern mich als Person."

Nur der Ritter und der Magier können die Prinzessin rettenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt