9. Kapitel - Kate

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Als ich am Sonntag aufwachte und an den letzten Abend denken musste, spürte ich ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Sowas hatte ich noch nie gefühlt. Es war, wie wenn mich ein Lehrer an die Tafel holte und ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte. Nur, dass dieses Flattern, eher wegen der Peinlichkeit war. Aber das neue Kribbeln fühlte sich nicht schlecht an. Im Gegenteil - es zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht, dass vom Aufwachen an den ganzen Morgen andauerte. 

Sogar als ich merkte, dass ich über Nacht meine Tage bekommen hatte, sank meine Laune nicht ganz so schlecht wie sonst und ich schrieb keine Listen, warum ich im nächsten Leben lieber ein Junge sein wollte. Ja, das tat ich wirklich, aber nur wenn ich am absoluten Tiefpunkt angekommen war. Trotzdem hatte es doch auch schöne Seiten, ein Mädchen zu sein. Während ich noch darüber nachdachte, kündigte der Schwindel an, dass ich mich gleich in einem anderen Körper wiederfinden würde.

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Aahhh. Wo war ich? Unbarmherzig kaltes weißes Licht vertrieb die gemütliche Atmosphäre, die gerade noch geherrscht hatte. Ich kniff die Augen zusammen um mich an die Helligkeit zu gewöhnen.

Langsam zeichneten sich die Umrisse eines Badezimmers vor meinen Augen ab. Ein Junge starrte mich aus unglaublich schokoladenfarbenen Augen an. Erst in dem hellen Licht erkannte ich, dass seine Augen in der Mitte heller waren und mit lauter kleinen golden Sprenkeln um die Pupille herum, wie ein Sternbild.

In der ganzen Zeit, die ich seine Augen betrachtet hatte, war mir nicht aufgefallen, dass er gar kein T-Shirt anhatte. Schnell drehte ich mich um, um dem Anblick im Spiegel zu entgehen, doch das Bild hatte sich schon in mein Gedächtnis eingebrannt. Die leicht gebräunte, mit Muskeln durchzogene Haut war mit lauter blauen Flecken übersät. Was war das denn? Gerat Matt doch öfter in Prügeleien, als ich gehört hatte?

Das musste ich ihn sofort fragen. Suchend sah ich mich nach seinem Handy um, sah es auf dem Waschbeckentisch und wollte mein Handy gerade anrufen, als das kleine Gerät in meiner Hand schon klingelte. Vor Schreck hätte ich es fast fallen gelassen und drückte schnell auf Annehmen.

"Warum hast du mir nicht erzählt, dass du deine Tage hast?" schallte es mir da schon halb wütend, halb entsetzt und auch ein bisschen verängstigt entgegen.

Fast hätte ich losgelacht, weil er so geschockt klang. Mühsam unterdrückte ich ein Prusten und versuchte besorgt zu klingen: "Oje, hab ich dir nicht erzählt, dass bald wieder Erdbeerwoche ist?" Jetzt musste ich doch kichern. Kein Mensch sagt Erdbeerwoche!

"Das ist nicht lustig! Was soll ich denn jetzt machen?"

"Sorry, aber du klingst so überrascht. Dir muss doch klar gewesen sein, dass das irgendwann mal passieren würde." Ein Grummeln ertönte vom anderen Ende.

"Jahh... Nee, eigentlich hab ich darüber noch nicht nachgedacht. Scheiße, also bin ich jetzt quasi ein Mädchen?! Krieg ich das jetzt jeden Monat?"

"Vermutlich schon," sagte ich mit entschuldigender Stimme, musste mir aber immer noch ein Lachen verkneifen. Dann kam mir ein Gedanke und schlagartig verging mir das Kichern. "MATT! Wieso weißt du, dass ich meine Tage habe?!" schrie ich fast ins Handy.

"Na, ich musste aufs Klo. Ich glaube, das tauscht auch mit," klang seine Stimme entschuldiged durch den Lautsprecher.

"Achso. Na, dann," erwiderte ich, verlegen über meinen Wutausbruch. Bis ich ein leises Lachen am anderen Ende hörte, das langsam lauter wurde.

"Dachtest du jetzt, ich mache Nacktfotos von dir, oder so was?"

Und schon war meine Wut zurück:" Wer weiß." Meine Stimme klirrte vor Kälte.

"Oh mann, wir haben zwar nicht darüber gesprochen, aber ich denke, es ist selbstverständlich, dass wir den Körper des Anderen nicht zu...was auch immer für Zwecke missbrauchen." Wow. Matt konnte ja richtig erwachsen sprechen.

"Naja, selbstverständlich ist es nicht," murmelte ich, " Stell dir mal vor, was passiert wäre, wenn ich da an so einen zwielichtigen Typen geraten wäre."

"Bist du aber nicht, also sei einfach mal zufrieden, okay?"

Ich nickte. Bis ich kapierte, dass Matt das gar nicht sehen konnte und ein Hmmhmm ins Handy machte.

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Ihr habt euch ja sicher gefragt, woher Matt weiß, dass Kate ihre Tage hat, also ist hier endlich die Antwort. War aber eigentlich auch logisch, oder?

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"Und was muss ich denn jetzt machen, ich kenn mich da nicht  so aus?" fragte Matt zaghaft, mit tausendprozentiger Sicherheit rot im Gesicht.

"Gar nichts," antwortete ich.

"Hä, wie gar nichts?"

"Ich hab mich bereits versorgt, bevor wir getauscht haben."

"Ahh, ja. Mmhm. Ja. Okay," stammelte er. " Aber reicht das für den ganzen Tag?" fragte Matt zögerlich.

"Nein, natürlich nicht. Aber ich gehe ja auch nicht davon aus, dass wir den ganzen Tag so bleiben. Und außerdem komme ich jetzt sowieso schnell vorbei, dann kann ich dir zur Not behilflich sein. Was hoffentlich nicht nötig sein wird," fügte ich noch leise hinzu.

Tut mir leid, dass ich jetzt aufhöre, aber ich schreib morgen den Rest, versprochen.

xoxo Lucy


Peinlich genug, dass er jetzt in so einer Situation war, da würde ich ihm hoffentlich nicht auch noch helfen müssen, mich selbst -.....na, ihr wisst schon. Schnell schüttelte ich den Gedanken daran ab und verabschiedete mich. Komisch, dass es mir gar nicht merkwürdig vorgekommen war, meine eigene Stimme am Telefon zu hören.

Während ich darüber nachdachte, zog ich mir ein T-Shirt an und ging dann in Matt's Zimmer, um eine Jacke zu holen. Erst, als ich die Türklinke in Richtung Gang herunterdrücken wollte, ging mir auf, dass es vielleicht ein Problem für mich sein könnte, aus dem Haus zu kommen, nachdem Matt gestern ja einen bühnenreifen Auftritt hingelegt hatte. Doch bis jetzt hatte ich noch keine Nachwirkungen des Kälteschocks gespürt, also nahm ich an, es sei in Ordnung, wenn ich das Haus verließe.

Schnell schlich ich mich die Treppe hinunter und legte einen Zettel mit meiner Adresse auf den Tisch im Flur, bevor ich, zum Glück, unbemerkt durch die Haustür verschwand. Denn das eigentliche Problem erwartete mich dort, mit der Morgenpost in der Hand und neben einem Häuflein Scherben, das wohl mal eine Kaffeetasse gewesen war.

"Wo willst du hin?" erklang da schon die scharfe Stimme von Mr Rosh.

Schnell! Eine Ausrede! Wo wollte ich hin? Irgendwas Sinnvolles!

Doch zum Glück hatte ich oft genug Filme von Jane Austen angeschaut, um zu wissen, wie sich ein wahrer Gentleman verhielt. Ich hatte eine super Idee.

"Ich möchte zu Kate. Ich will mich bei ihr bedanken und Blumen vorbeibringen, weil sie mich gestern gefunden und mi geholfen hat. Das ist doch in Ordnung, nicht?" unschuldig schaute ich zu Matt's Vater auf, riss mich zusammen und presste noch ein "Oder, Dad?" hervor.

Stirnrunzelnd sah er mich an: " Musst du nicht eigentlich im Bett bleiben?"

"Nee, mir geht's schon viel besser, ehrlich Dad."

"Na dann," das war wohl eine Erlaubnis und schnell huschte ich an dem misstrauisch, doch auch ein bisschen stolz blickendem Mr Rosh vorbei um die Ecke.

Ich hastete die Stufen zur U-Bahn hinunter und sprang gerade noch in den Zug, bevor sich die Türen schließen konnten. Erleichtert sank ich auf den nächstbesten Sitz und gab wahrscheinlich ein so seltsames Blid ab, dass die alte Dame, die gegenübersaß, mich besorgt musterte. Ich nickte ihr zu, lehnte mich an das kühle Fensterglas und schloss die Augen.

Seelenwandler - VertauschtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt