Huch, das war ziemlich krass gewesen. Nun hatte sich mein Praktikum bei dem Anwalt wohl doch bezahlt gemacht.
Im Getümmel der Menschenmenge, die zum Glück so groß war, dass nicht alle unser kleines Drama mitbekommen hatten, sah ich derweil einen blonden Haarschopf auftauchen, der auf uns zukam.
Wenn das einer der Cops war, waren wir am Arsch. Klar - die Roshs hatten viel Geld und könnten mit diesem die Sache irgendwie vertuschen, aber zu viele waren schon hier gewesen. Und Matt's Gesicht war in den Nachrichten ja nicht gerade unbekannt. Einerseits, weil er der Sohn von einem angesehenen und stinkreichen Investor war. Andererseits, weil er schon oft in Schlägereien verwickelt gewesen war.
Er war schon an zahlreichen Vorfällen dieser Art beteiligt gewesen - Schlägereien hauptsächlich. Meistens nur wegen vergleichsweise harmlosen Sachen, wie zum Beispiel dieser Diebstahl jetzt. Offensichtlich hatte er irgendein Agressionsproblem, das er nicht kontrollieren konnte."Los, verschwinden wir", zischte ich Matt zu und zerrte ihn hinter mir her, in eine der U-Bahnen, die gerade hielt. Ich ließ mich auf einen der Sitze fallen und platzierte ihn neben mir. Matt wirkte immer noch wie in Trance. Wie durch ein Wunder - naja eher durch seine ungebremste Hartnäckigkeit - hatte er keinen einzigen Schlag einstecken müssen, wie ich bemerkte, als ich prüfend meinen Blick über ihn gleiten ließ.
"Was sollte das überhaupt?"
Er zuckte bloß mit den Schultern: "Der Typ wollte mein Geld klauen. Nicht, dass ich sehr daran hänge - ich würde auch so auskommen. Aber...", er stockte und warf mir einen Blick zu, in dem ich -... Hilflosigkeit erkennen konnte.
"Aber was?" versuchte ich, ihn sanft zum Weiterreden zu bewegen.
"Aber in meinem Geldbeutel ist etwas, das mir sehr wichtig ist... Ich hab sie immer bei mir." Er zog eine dieser Bleimünzen heraus, die man an solchen alten Spielautomaten bekommt und betrachtete sie nachdenklich. Mit dem Finger darüberstreichend erklärte er: "Ich hab sie zusammen mit meiner ... Mom gewonnen." Bei dem Wort Mom stutzte er, als würde er gar nicht mehr wissen, wie man es überhaupt ausspricht. Es musste ihn wirklich mitgenommen haben, als sie ihn und seinen Vater verlassen hatte, obwohl er noch ziemlich klein gewesen war.
Ich wollte schon tröstend seine Hand nehmen, als mir wieder einfiel, warum wir jetzt hiersaßen: Matt hatte mir nachgespannert. Augenblicklich rutschte ich ein Stück von ihm weg und boxte ihn in die Schulter.
"Hör auf, mir nachzustellen."
"Hab ich doch gar nicht, es war Zufall, dass ich gerade in dem Moment hochgesehen hab. Wie hätte ich denn wissen sollen, dass du dich am Fenster umziehst?"
Ein Typ, Anfang zwanzig, der uns schräg gegenüber saß, kicherte und sagte: "Also es klingt schon ziemlich unglaubwürdig, wie du das sagst. Jeder Idiot merkt doch, dass du auf das Mädel stehst - gib es doch einfach zu. Dann sind alle glücklich", er machte eine Kunstpause, "Und nebenbei bemerkt - du siehst echt schlimm aus. Was zur Hölle hast du angestellt?"
Matt, der die ganze Zeit mit geballten Fäusten dagesessen hatte, öffnete sie jetzt und senkte beschämt den Kopf. Dachte er jetzt etwa, ich würde für ihn antworten? Nach dem Unsinn, den er da verzapft hatte? Da konnte er lange warten.
Ich verschränkte die Arme und lehnte mich mit hochgezogenen Augenbrauen abwartend zurück.
Verdammt. Nicht jetzt. Doch ich spürte mal wieder das, mir mittlerweile bekannte Kribbeln in meinem ganzen Körper, bevor ich mich auch schon einen Sitz weiter fand.
Nicht ernsthaft, oder? Was sollte das jetzt? Jetzt musste ich wirklich für Matt antworten. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gedacht, er hätte das genauso geplant.
Aber, das erste Gefühl, das ich beim Tausch spürte, war... Reue? Schuld? Was sollte das jetzt? Ich hatte doch nichts getan. Komisch, es war als würde ich Matts Gefühle fühlen...
Oh mein Gott! Ich kann Matts Gefühle fühlen! Schade, dass ich nicht auch seine Gedanken lesen konnte. Manchmal wäre das echt hilfreich. Aber, Moment, hieß das, er spürte auch gerade meine Empfindungen?
Als ich zu ihm rüberblickte, sah ich, dass er nachdenklich an die Wand der U-Bahn starrte. Ach Scheiße! Jetzt musste ich dem Typen ja irgendwie erklären, weshalb Matt so ein Arsch war. Und wie sollte das gehen? Ich hatte ja keine Ahnung, was in seinem Kopf vorgegangen war, als er erst abgehauen war und dann den Taschendieb verprügelt hatte. Und das sollte er auch wissen. Also speiste ich den Fremden mit der klischeehaftesten Antwort aller Zeiten ab: "Keine Ahnung, ich hatte einfach einen schlechten Tag." Ich zuckte mit den Schultern und starrte demonstrativ an dem Typen vorbei.
Matt sog scharf die Luft ein und ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass er die Hände zusammenballte. Typisch - gab es irgendwo irgendein Problem oder etwas, was ihm nicht passte wurde er sofort agressiv und schlug um sich. Im wahrsten Sinne des Wortes. Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust.
Der Fremde raufte sich die lockigen hellbraunen Haare und hatte sichtlich Mühe, mich nicht wüst zu beschimpfen. Klar, in seinen Augen war ich ja der Böse, er wusste nichts von der Tauschsache und auch nicht, warum ich mich so verhielt.
"Oh mann, du bist echt begriffstutzig!", er stöhnte frustriert auf und sagte: "Verdammt noch mal, entschuldige dich einfach bei deinem Mädchen und versuch nicht so ein Idiot zu sein, das ist doch nicht so schwer!"
Die Bahn hielt und ich sprang auf und stürzte aus dem Waggon. Ich hatte es nicht länger dortdrin aushalten können - ich hatte mich schuldig gefühlt für etwas, das ich nicht begangen hatte. Der Kerl hatte ja schließlich auch nicht mich gemeint, warum fühlte ich mich dann schlecht?
Ich rannte weiter auf einen großen Platz, der zu dieser späten Uhrzeit schon menschenleer war und merkte dort erst, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich ausgestiegen war. Ich drehte mich um meine eigene Achse, um mich zu orientieren, aber mir kam nichts bekannt vor - keins der Häuser oder keine der Straßen, die von dem Platz abzweigten. Auch nicht die Kirche mit der Turmuhr, die mittlerweile schon fast halb zwölf anzeigte.
Ich spürte eine Panikattacke in mir aufsteigen - verloren, alleine und orientierungslos zu sein - das war mein schlimmster Albtraum, denn so hatte ich mich nach Daves Verschwinden gefühlt und so wollte ich mich nie wieder fühlen.
Ich sank in der Mitte des Platzes zu Boden, erschöpft und überrollt von der Welle aus Angst und Einsamkeit, die über mich hinwegschwappte und mich dabei mit sich mitriss.
Doch dann griff eine Hand nach meiner und zog mich aus dem Strudel der Hoffnungslosigkeit heraus.
DU LIEST GERADE
Seelenwandler - Vertauscht
خيال (فانتازيا)Seit Kate sechzehn ist, häufen sich seltsame Vorkomnisse. Als sie an mehreren Morgen in einem anderen Bett aufwacht, weiß sie, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Ist es etwa möglich, dass sie mit jemandem den Körper tauscht?! Was hat ihr, bislang...