Loreley

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Seit Christian vor einer Woche mit mir Schluss gemacht hat, habe ich oft mit meiner besten Freundin Michelle telefoniert und wir waren mindestens genauso oft shoppen. "Frustshoppen ist die beste Medizin gegen Liebeskummer." sagt Michelle immer und es hat tatsächlich etwas tröstendes, wenn man versucht in irrsinnig hohen High Heels durch den Laden zu stöckeln oder wenn man in wahnsinnig teuren Kleidern vor dem Spiegel posiert. Vor allem lenkt es mich von dem Chaos in meinem Kopf ab.
Heute ist Michelle leider für ein paar Tage zu ihren Großeltern gefahren und meine anderen Freunde sind alle im Urlaub weil ja Ferien sind. Natürlich sind meine Eltern heute auch nicht zu Hause und ich bin mutterseelenallein.
Nichts kann mich ablenken und meine Gedanken wandern ständig zu Christian, ganz egal ob ich versuche ein Buch zu lesen, fern zu sehen oder in der Dusche laut Musik höre.

Der Tag an dem er Schluss machte hatte schon beschissen angefangen. In der Nacht hatte es geregnet und ich hatte vergessen, die Fenster von meinem Auto hochzufahren. Ich war aber mit Chris vor der Schule zum Kaffee trinken verabredet und wollte nicht zu spät kommen, also setzte ich mich auf den völlig durchnässten Sitz und fuhr los.
An dem Kaffeestand vor der Schule parkte ich und stieg mit nassem Hintern aus, was dazu führte, dass irgendwelche Neuntklässler hinter meinem Rücken zu tuscheln anfingen.
Bevor ich mit Chris zusammen gekommen war, hatten ständig Schüler hinter meinem Rücken über mich geredet weil ich versuchte anders zu sein als die ganzen Schafe in meiner Schule. Doch seit ich mit Chris zusammen war, hatte das ständige Gemurmel schlagartig aufgehört. Das lag vermutlich daran, dass Chris unglaublich gut aussah und unglaublich beliebt war. Das er sich mit mir abgab, und das auch noch in aller Öffentlichkeit grenzte an ein Wunder.
Wir waren erst seit ungefähr drei Monaten zusammen und die meiste Zeit davon verbrachten wir in Gesellschaft seiner Freunde. Leider waren sie genau das: Seine Freunde und absolut nicht meine. Sie behandelten mich immer von oben herab und waren bei jeder sich bietenden Gelegenheit arrogant oder gemein zu mir. Chris war immer nett zu mir gewesen, ergriff aber nie für mich Partei.
"Na wenn das nicht unsere liebe Loreley ist." hörte ich Vivien, Chris' beste Freundin sagen als ich näher kam. "Ich hoffe du bist in eine Pfütze gefallen und hast dir nicht in die Hose gepinkelt." lachte sie höhnisch und ich sah hilfesuchend zu Chris. Der ignorierte mich und nippte ruhig an seinem Kaffee.
"Loreley hast du in der Pause kurz Zeit? Wir müssen reden." sagte er und ich ahnte schlimmes. Unsere Beziehung war nicht perfekt aber ich war seit der sechsten Klasse in Chris verliebt.

Vielleicht ist das der Grund warum ich die Gemeinheiten und Sticheleien ertragen habe. Ich hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass Chris ebenfalls in mich verliebt war denke ich jetzt, wo mir unsanft die rosa Brille entrissen wurde.

In der Pause setzte ich mich zu Chris an den Tisch und wunderte mich, warum seine Freunde am Nachbartisch saßen und ständig zu uns rüber sahen.
"Was wolltest du mit mir besprechen?" fragte ich schüchtern. "Das mit uns funktioniert nicht. Ich war eigentlich nur mit dir zusammen weil Vivien und die anderen gewettet haben, dass ich dich nicht beliebt machen kann." gelangweilt zuckte er mit den Schultern. "Beliebt bist du zwar trotzdem nicht geworden aber immerhin bist du kein kompletter Loser mehr."
Am Nachbartisch brach Gelächter aus und ich kratzte mein letztes bisschen Würde zusammen, verschwand wortlos aus der Cafeteria und aß mein Mittagessen nicht ganz so würdevoll auf dem Klo.

Wenn ich an den Tag zurück denke empfinde ich eigentlich keine Wut sondern Scham und Trauer. Vor der ganzen Schule so bloßgestellt zu werden verdient wirklich niemand.
Und wenn ich ehrlich zu mir selbst war mochte ich Chris immer noch. Ich wollte wütend sein aber ich schaffte es einfach nicht. Schluchzend lies ich mich in mein Bett fallen und verbarg mein Gesicht in meinem Kissen.
Warum konnte ich nicht einmal einen netten Jungen treffen, der mich mochte so wie ich war? Der mich sieht wie ich bin? Für den ich die einzige bin, der mich bedingungslos unterstützt und nicht von meiner Seite weicht wenn es schwierig wird, wenn ich traurig bin oder Probleme habe?
So kann das nicht weiter gehen. Reiß dich zusammen und geh raus. Hier in deinem Zimmer findest du so jemanden nicht
denke ich.

Ich befolge meinen eigenen Rat und fahre zum Strand. Um die Zeit ist hier in den Hamptons alles mit Touristen überschwemmt, aber ich kenne einen Ort an dem nie jemand ist. Dort lerne ich meinen Mr. Right zwar auch nicht kennen, aber ich komme raus und hoffentlich auch auf andere Gedanken.
Als ich parke sehe ich, dass dort bereits ein Auto steht. Komisch. Hier ist doch sonst niemand. Wachsam gehe ich runter zum Strand und da sitzt tatsächlich jemand und schaut aufs Meer.

Drei SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt