Zwei

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Es ist wie im Film. Als hätte ich die Rolle des allwissenden Erzählers, als wäre ich immer nur im Hintergrund zu hören und keiner nimmt Notiz von mir. Nur ich, ich bin unwissend. Aber erschreckender Weise ist das hier kein Film. Ich bin es selbst, nur nicht mehr richtig in meinem Körper, ich bin da irgendwie rausgekommen. Doch wieso?

Kann das sein, ist das normal? Hat mir keiner sagen können, dass man bei seinem Tod noch daneben stehen muss? Bin ich überhaupt tot?

Okay, die ganze Situation ist absurd.
In meinem Kopf gehe ich das ganze Szenario noch einmal durch, suche nach Fehlern oder Hinweisen. Da war ein Schuss, ja. Aber mir geht es gut, ich lebe. Warum zur Hölle lieg ich dann da drüben am Boden? Langsam, als würde ich aufpassen, keinen Lärm zu machen, gehe hinüber.

Ich will es nicht wahrhaben, will nichts wissen und nicht mehr denken müssen. Das bin ich. Das da unten am Boden. Mein blondes Haar klebt an meinen Schläfen, die Augen sind geschlossen. Alles, was zu sehen ist, ist dieses grauenhafte Loch unter meinem Kinn und an meiner Schädeldecke. Das bin ich nicht. Das geht nicht. So sehe ich nicht aus, so verletzlich. So tot.

Ich will die Leute wachrüttelen, kneife mir selbst in den Oberarm. Das ist ein Traum, ein schlechter, schlechter Traum. Eigentlich bin ich noch bei Tim, ich muss bei ihm eingeschlafen sein.
Auch wenn ich versuche den Leuten ins Gesicht zu starren, mit ihnen Blickkontakt zu halten, einfach alles wird ignoriert. Einen Sanitäter, der anscheinend eingesehen hat, dass es zu spät ist, schlage ich sogar ins Gesicht. Tut mir leid. Ich schreie ihm ins Gesicht: "Aber ich bin doch da! Ich lebe" Keine Reaktion, einfach nichts.

Ich setze ich mich neben den Körper, neben mich auf den Boden. Leicht streiche ich ihr übers Haar, ihre Haut ist blass. Nicht lange danch messen die Sanitäter meinen Puls und kommen mit der Bestätigen, oh was für eine Überraschung, ich bin tot. Scheiße. Heilige Scheiße.

Warum, ist sterben immer so? Also, das man noch alles mitbekommt, obwohl man eigentlich tot sein sollte? Oder bin ich ein Einzelfall?

Ich habe mir nicht viele Gedanken darüber gemacht, trotzdem, so hab ich es mir nicht vorgestellt.
Nicht so schmerzhaft, nicht so komisch und merkwürdig.
Ein Mann neben mit ruft meine Eltern an. Ich erstarre. Sie sind gerade mal ausnahmsweise in der Stadt und würden auch bald hier sein. Das wird ein Anblick, ich weine jetzt schon fast. Ich verkrafte meinen Tod ja ganz 'gut', doch was ist mit ihnen?

Mein Blick schweift über meinen Körper und ich bemerke, wie die Wunde aufgehört hat, zu bluten. Wahrscheinlich ist mein Körper nur noch wie eine leere Hülle. Ohne Blut und ein durchschossener Kopf. Einem zerbrochenem Herzen.

Ich weiß nicht, wie lange ich da sitze. Die Spanne zwischen Sekunden und einer Ewigkeit ist nicht mehr von Bedeutung.
Durch die Ferne hört man ein Auto näher kommen, mit hoher Geschwindigkeit. Man kann die rote Farbe des Autos durch die Farbe der Nacht hindurchstechen sehen. Meine Eltern.

Als sie angekommen sind, steigen sie aus und meine Mutter hält sich ihre Hand vor den Mund. Beide kommen näher und sie fangen an zu weinen. Mein Vater nimmt meine Mutter in den Arm, sie lässt einen spitzen Schrei los. Alle betrachten mich, betrachten die Leiche. Sie sind am Boden zerstört. Es macht auch mich kaputt zu sehen, wie sie leiden, nun haben sie kein Kind mehr, sie sind keine Eltern mehr. Ich will schreien, so laut es geht.

Doch plötzlich ertönt ich ein Donnergrollen und alle zucken zusammen. Klasse Timing.
Gleich darauf kommt ein so starker Regenguss, sodass alles sehr schnell gehen muss. Klare Wassertropfen befinden sich auf dem Gesicht der Leiche und fast sieht es so aus, als würde sie weinen. Dann wird eine weiße Plane über  mich, über sie, keine Ahnung, gelegt und ich höre nur noch das laute Schluchzen meiner Mutter.

Ich schreie laut, schon fast verzweifelt.
Wieder nimmt keiner Notiz.
Wieder hört mich niemand.

Etwas, zwischen Leben und TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt