Vier

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Ich merke, wie die Sonne langsam aufgeht. Eine gefühlte Ewigkeit sitze ich am Randstein der Straße, lasse meine Beine den Asphalt entlang schlurfen und starre auf die kleinen Steinchen, die am Boden liegen. Bis plötzlich eine Haustür aufgeht.

Mit verwuschelten Haaren, roten Augen und den tiefen Ringen darunter, geht er langsam auf mich zu. Als er neben mir steht, stöhnt er leise und schaut auf die Uhr. Wieso um alles in der Welt wartest du auf den Bus? Sein senkt sich und er schließt seine Augen, es scheint, als würde er gleich einschlafen. Naja, er sieht ziemlich fertig aus. Nicht lange, dann kommt auch schon der Bus.

Als die Tür sich öffnet, steigt er extrem langsam hinein. Ungefähr 10 Sekunden bleibt die Tür noch offen und da ich nicht weiß, wohin ich gehen soll, entschliess ich mich einzusteigen. Langsam schlurfe ich den Gang entlang und sehe in der letzten Reihe Tim sitzen. Er ist allein. Niemanden lässt er an sich ran, auch nicht, als seine Kumpels die sich neben ihn setzen wollen. Mit starrem Blick sieht er die ganze Fahrt auf den Boden und als der Bus stehen bleibt, reagiert er erst. Er atmet erleichtert aus und sozial wie Tim ist, lässt er die anderen vor, da sie nicht sehen sollen wie deprimiert er ist. Sein Badboy-Image ist ihm doch zu wichtig!

Die Menschenmenge strömt aus dem Bus und ich sehe ihnen nach, wie sie sich auf den Weg zur Schule machen. Na gut, denken ich mir. Laufe ich denen einfach hinterher. Ganz hinten geht Tim und renne zu ihm. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal freiwillig in die Nähe eines Schulgebäudes gehe.

Zusammen betreten wir das Schulgebäude und ich spüre die ganzen Blicke auf mir, die eigentlich an ihn gerichtet sind. Hat es sich schon herumgesprochen?  
Mit gesenkten Schultern schlurft er zu unserer Klasse und pünktlich mit dem Klingen, setzt er sich auf seinen Platz. Wobei ich vorne an der Tafel stehen bleibe und alles genau beobachten. Plötzlich kommt unser Klassenlehrer Mr. Springer herein. Ihm folgt ein Polizist.
"Na das kann ja was werden", lache ich laut und sehe auf die traurige Mimik meines Lehrers.
Als die Schüler den Polizisten erblicken, sehen viele verwirrt aus, andere geschockt, wieder andere traurig, da sie es schon wissen und dann die, die es kein bisschen interessiert und weiter mit ihren Freunden quatschen. Tolle Klasse, tolle Mitschüler.

"Wie ihr alle schon gemerkt habt, ist Caroline Mason's Platz frei", beginnt der Uniformtyp seine Rede. "Doch wir müssen euch allen mitteilen, dass er es auch für immer sein wird"

Die Klassenzicke hebt die Hand. "Ist die Kuh von der Schule geflogen? Wurde auch Zeit." Der Polizist schluckt.

"Nein, Caroline ist tot." Das leise Flüstern, welches durch den Raum geht, wurde im Keim erstickt. "Sie wurde angeschossen und die Sanitäter konnten nichts mehr für sie tun." Was soll der Scheiß?

Alle, wirklich alle öffnen den Mund. Doch es kommt kein Laut heraus.
Plötzlich passiert alles so schnell. Tim stürmt zur Tür hinaus und schlägt sie fest zu. Der Knall hallt noch im Raum.
Keiner rührt sich.
Doch als der Polizist seine Rede fertig hält und sich verabschiedet, hinterlässt er nicht viel Trauer in unserer Klasse. Mr. Springer macht den Unterricht weiter und die anderen tun so, als wäre nichts gewesen. Außer Tim, aber der ist ja nicht da. Erst jetzt sehe ich, wie viel ich denen bedeutet habe.

Als Maddy O'Neil an die Tafel muss und die leichte Aufgabe nicht weiß, raste ich aus. Ich nehm mir schnell eine Kreide, schreib die Lösung hin und in großer Schrift "MERKT IHR NICHT WAS ICH MACHE?! IHR DUMMKÖPFE!" Doch 'irgendwie' merkt das keiner.  Ja klar. Alles was ich tue, ist doch so, als wäre nichts passiert.

In diesem Moment kommt Mr. Springer an die Tafel und meint: "Ach Maddy! Komm schon!" Dann schreibt er über meine Lösung genau das gleiche wie ich hin. Doch er weiß garnicht das hier schon etwas steht. Ahhh...

Ich laufe zum Fenster und reise es auf. Plötzlich fragt jemand ob man das Fenster aufmachen kann, da so schlechte Luft im Raum sei. "Es ist doch schon offen", schreie ich laut. "Seid ihr alle bescheuert?"

Okay. Das ist mir zu viel. Ich tue es Tim gleich und renne zur Tür, renne irgendwohin. Auch ich schlage sie fest zu, lasse sie ins Schloss fallen. Ich schreie so laut ich kann. Auch der Schall hallt noch lange umher. Doch wer würde es schon hören?

Etwas, zwischen Leben und TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt