1. Erste Treffen

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Eine Woche später starrte Marten die Blondine an. Ihre blauen Augen sahen ihn freundlich an. Sie war höchstens eins siebzig groß und zierlich. Alles an ihr wirkte gebrechlich. Von ihrer Stupsnase, über die sanft geschwungenen Lippen bis hin zu ihren großen, murmelförmigen Augen. Sie war niedlich, aber niemals eine gute Anwältin.

"Dr. Bella Mertens", stellte sie sich vor. "Frau von Steinhauer hatte mich an Sie vermittelt."

Ohne abzuwarten ließ sie sich auf den Stuhl gegenüber von ihm fallen. Sie winkte kurz dem Wachmann zu. "Würden Sie meinem Mandanten bitte die Handschellen abnehmen? Das ist nicht notwendig."

Mürrisch kam er ihrer Bitte nach. Marten rieb sich die müden Handgelenke. Dabei ließ er den Blick nicht von ihr ab. Worauf hatte er sich hier eingelassen? Als Anna ihm einen Anwalt angeboten hatte, war er davon ausgegangen, dass es jemand sein würde wie Anna selbst. Jemand, der Überlegenheit mit jedem Schritt ausstrahlte. Anna wurde ihrem Spitznamen gerecht. Sie war wie ein Kampfhund, sie biss sich fest und ließ nicht mehr los. Wäre Bella ein Hund, dann wäre sie eine dieser Handtaschenratten. Niemals hatte die juristisch was auf dem Kasten.

Aus ihrer Aktentasche zog sie seine Akte und breitete sie vor sich auf dem Metalltisch aus. Diese Verhörzellen kannte Marten mittlerweile sehr gut. Bis zum endgültigen Urteil hatte man ihn in U-Haft gesteckt. Als ob er abhauen würde. Damit würde er sich nur selbst ins Bein schießen.

Sie zog ein Blatt aus der Akte. "Ich denke, wir können sehr gut direkt hier ansetzen. Sie gehören nicht in Untersuchungshaft. Es liegt keine Fluchtgefahr vor. Ich hab den Antrag bereits gestellt."

Er zog eine Augenbraue hoch. Wie hatte diese Frau sich für eine Karriere als Strafverteidigerin entscheiden können? Ihr honigblondes Haar fiel ihr einfach über die Schulter. Sie trug einen grauen Hosenanzug, der ihr blasses Gesicht käsig erscheinen ließ. Das konnte aber auch an dem Licht dieser ätzenden Neonröhre liegen. Wer wusste das schon. Einzig ihre Augen strahlten. Das Blau war warm und völlig vorurteilsfrei.

"Wie wir mit der Körperverletzung vorgehen, weiß ich noch nicht. Da bin ich auf Ihre Mithilfe angewiesen. Sie sind erheblich vorbestraft, immer mal wieder wegen kleinerer Vergehen und geringen Verstößen gegen das BtMG. Das Gute ist also, dass sie nur mit Gras erwischt wurden. Was wirklich schlecht ist, ist dass Sie den potentiellen Abnehmer krankenhausreif geschlagen haben und der verdeckter Ermittler war." Ihre Miene entglitt ihr nicht einmal, während sie das aufzählte.

"Wegen des Grasdelikts sind Sie ja bereits abgeurteilt worden. Drei Jahre. Ich sollte Sie nach zwei raus bekommen und den offenen Vollzug sehe ich auch als realistische Möglichkeit." Sie klang wirklich optimistisch, doch Marten biederte sie an. Was hatte er sich dabei gedacht? Es war eine komplett fixe Idee gewesen, ein Geistesblitz als John ihm von den Summen erzählt hatte, die Anna rangeschafft hatte. Er war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass ihre juristischen Freunde mindestens genauso viel drauf hatten. Oder zumindest genauso gut aussahen.

Bella war nicht hässlich. Aber sie war so schrecklich langweilig und konservativ. Wie sollte die ihn vernünftig verteidigen? Wahrscheinlich war sie selbst absolut angewidert von ihm.

"Ich denke, das Beste ist, wenn wir auf Tateinheit plädieren. Dann müssen wir es schaffen, die Körperverletzung und das Grasdelikt als eine Einheit darzustellen. Da Sie bereits wegen der Drogen verurteilt sind, dürfte das eigentlich kein Problem darstellen. Würden Sie mir bitte noch einmal sagen, wann sich die Körperverletzung zugetragen hat? Wie unmittelbar nachdem Sie das Gras beschafft haben, sind Sie auf den Abnehmer getroffen?"

Sie lächelte freundlich. Marten nervte das. Er saß seit einer Woche in U-Haft, er hatte mit kaum einem Menschen gesprochen und langsam wurde er wahnsinnig. Es gab nichts zu lächeln. Sie sollte das lassen.

"Hör auf zu lächeln", fuhr er sie grob an.

Zufrieden stellte er fest, dass ihr Lächeln sofort verschwand. "Meinetwegen." Ihre Stimme war hart geworden. "Würden Sie mir trotzdem bitte erzählen, wie genau ihre Verhaftung abgelaufen ist? Je mehr Fehler der Polizei wir finden, desto..."

"Spar es dir. Wir sind fertig." Marten stand auf und stützte sich auf dem Tisch ab. Der Wachmann sprang alarmiert auf.

Bella winkte ab. "Setzen Sie sich wieder." Ihre Stimme war ruhig.

"Ich denk gar nicht dran. Ich brauche doch keinen neuen Anwalt."

"Klar, Ihr letzter Anwalt hat richtig gute Arbeit geleistet." Bellas gesamte Haltung hatte sich verändert. Sie wirkte zwar immer noch souverän und viel zu professionell, aber auch genervt. Als wäre Marten nicht der erste Mandant, der sich quer stellte. "Deswegen sitzen Sie ja hier."

Marten rollte mit den Augen. "Aber sowas wie dich brauche ich auch nicht."

Bella zog eine blonde Augenbraue hoch. Ihr zartes Gesicht verhärtete sich. Ihre Lippen presste sie zu einer dünnen Linie zusammen. Ein dunkler Schatten legte sich über ihre blauen Augen. Diese kniff sie nun zusammen. Fast hätte Marten über ihren Versuch ernst und bedrohlich auszusehen gelacht.

"Ich habe in Ihrem Gebiet promoviert. Ich bin bestens informiert über Bandenkriminalität und ihre Mitglieder. Ich bin also die richtige für diese Aufgabe. Und jetzt setzen Sie sich wieder hin."

Marten lehnte sich über den Tisch zu ihr, sodass er ihr Parfüm riechen konnte. Blumig und zart, wie sie. Bella widerstand dem Drang, sich in ihrem Stuhl klein zu machen. Dieser Mann jagte ihr Angst ein. Er war zwei Meter groß und sie hatte noch nie jemanden gesehen, der stärker tätowiert war. Zudem hatte er sich seine Verbrechen auch breit auf der Hand verewigen lassen. § Gefährliche Körperverletzung. Jetzt erinnerte sie sich an Annas Warnung. Er mache ihr Angst. Sie könne ihn nicht einschätzen. Sei vorsichtig, Bella. Er ist bei den Hells. Eindeutig war Marten bei den Hells. Er hatte ihr Logo sogar am Kopf verewigt und nicht nur an den Knöcheln. Aber Anna war auch betrunken gewesen, als sie mit ihm geredet hatte. Vielleicht war ihr das dann einfach nicht aufgefallen. 

Sie zwang sich, objektiv zu bleiben. Sie war hier wegen Drogen und Körperverletzung. Offensichtlich stand er also zu seinen Taten. Das würde ihr aber auch viel schwerer machen, vor dem Richter Reue zu heucheln. Seine dicke Akte las sich ohnehin wie ein Kriminalroman. 

Bella zweifelte keine Sekunde, dass dieser Mann wirklich gefährlich war. Aber auch er hatte das Recht auf eine gute Verteidigung. Jeder hatte darauf ein Recht, deswegen war sie nicht zur Staatsanwaltschaft gegangen. Und diese Strafakte reizte sie. Es hatte sie schon interessiert, den Menschen dahinter zu treffen. Jetzt saß sie hier. In einer der spärlich beleuchteten Zellen, die für Anwaltsbesuche freigehalten wurde der JVA Hamburg.

Martens Augen starrten sie einfach nur an. Sie hielt seinem Blick stand. Konnten diese Augen jemanden so zurichten, wie sie es auf den Fotos gesehen hatte? Eigentlich wirkten sie ehrlich. Aber die muskelbepackten Arme würden es zweifelsfrei können. Vermutlich war der verdeckte Ermittler nur der erste, der nicht zu eingeschüchtert für eine Anzeige gewesen war. Wobei Anzeigen hatte es schon davor gegeben, aber sie wurden meistens zurückgezogen oder eingestellt wegen Mangel an Beweisen. Dann wechselte der zuständige Staatsanwalt und schon saßen sie hier.

"Bandenkriminalität?" Seine Stimme war um drei Oktaven tiefer geworden und Bella unterdrückte das Schaudern.

"Sie sind nicht deswegen angezeigt, aber Ihre Mitgliedschaft hat in das Urteil sicherlich mit reingespielt. Dafür muss ich das aber noch besser analysieren. Bis jetzt habe ich nur den Tenor erhalten, nicht die Begründung."

"Ich wiederhole mich nur ungerne", knurrte er. "Ich brauche dich nicht. Jetzt verpiss dich."

Bellas Herz sackte ab. "Für Sie immer noch Frau Dr. Mertens, Herr von Frieling."

"Dann verpisst sich die feine Frau Dr. jetzt halt."

"Ich gehe nirgendwo hin!" Bella stand ebenfalls auf und baute sich vor ihm auf. Sie imitierte gerade komplett die Art ihrer besten Freundin. So hätte Anna auf die Situation reagiert: mit Angriff. Sie hingegen war eher sachlich und ruhig wo Anna impulsiv reagierte. Doch Sachlichkeit würde sie bei diesem Typen nicht weiterbringen.

Marten lachte auf. "Dann bleib halt hier sitzen und verreck." Er stand auf und gab dem Wachmann am anderen Ende der Tür ein Zeichen. Er streckte ihm die Hände entgegen und ließ sich die Handschellen wieder anlegen. Bella starrte ihn fassungslos an. Er war zwei Köpfe größer als der Justizvollzugsangestellte. Sie starrte ihm immer noch hinterher als sie ihn rausführten und Bella alleine in dem Raum war.

La Vita è Bella | MARTEN81Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt