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Maria Susannas Privatresidenz entpuppt sich natürlich als Luxusvilla mit cremefarbener Holzvertäfelung und elegant geschwungenen, golden glitzernden Fensterläden. Sie thront auf einer kleinen Anhöhe. Ähnlich wie bei den Häusern, die ich zuvor schon gesehen habe, geben auch hier die Außenwände ein sanftes Schimmern von sich, sodass das Gebäude in der Dunkelheit aus sich heraus zu leuchten scheint. Der Villa strahlt eine elegante und vornehme Atmosphäre aus. Außerdem ist sie wunderschön. Ich verspüre große Lust, sie niederzubrennen. Vielleicht später noch, sobald ich Amora und Kass aus Maria Susannas manikürten Klauen gerettet habe.

Ich lande schwungvoll im weichen Gras und stampfe durch den großzügig angelegten Garten, in dem selbstverständlich gigantische Rosenbüsche mit blutroten Blüten wachsen, die den eleganten Baustil der Villa nur noch unterstreichen. In den Fenstern brennen keine Lichter. Maria Susanna ist immer noch nicht zuhause. Nur zur Sicherheit checke ich erneut ihr Online-Profil in der Kristallkugel, die ich mir von Lord Evil „ausgeliehen" habe. In der kurzen Zeit, seit ich das letzte Mal nachgeschaut habe, hat sie drei neue Bilder von der Party hochgeladen, eins lächerlicher als das andere. Um meine geistige Gesundheit nicht nachhaltig zu schädigen, scrolle ich die Bilder und dazugehörigen Texte bloß kurz durch und stecke die Kristallkugel dann weg.

Also los! Zeit, Amora und Kass zu finden.

Drei Tage, flüstern meine Selbstzweifel.

Ich beiße mir auf meine perfekt geformte Unterlippe. Es spielt keine Rolle. Amora und Kass sind hier. Lebendig. Es kann gar nicht anders sein.

Ich beschleunige meine Schritte.

Wie es sich für die Privatresidenz einer Mary Sue gehört, ist die Villa mit einem hervorragenden Sicherheitssystem ausgestattet. Es kostet mich ganze fünf Minuten, es auszuschalten und ins Innere zu gelangen.

Ich betrete eine gigantische Eingangshalle. Meine Schritte hallen von dem kalten Marmorboden wider. Sonst ist alles still. Säulen ragen vor mir auf. Geschwungene Treppen führen nach oben zu einer Galerie, die ich nur schemenhaft erkennen kann. Über meinem Kopf schaukelt ein Kronleuchter aus diamantenen Eiszapfen. Maria Susanna starrt mich streng an.

Ich zucke zusammen und ärgere mich im nächsten Moment über mich selbst, als ich erkenne, dass es sich bloß um ein Gemälde von ihr handelt, das aus dem Halbdunkeln der Galerie auf mich hinunterblickt. Ihr kalter Blick lässt mich schlucken und die Erinnerung, wie sie mich mit ihrem Schwert durchbohrt, blitzt erneut vor meinem inneren Auge auf.

Die Erinnerung an deine Niederlage.

Ich verdränge den Gedanken und wende mich demonstrativ von dem Gemälde ab, bevor ich weiter in das Haus vordringe.

Ich besitze eine Art siebenundzwanzigsten Sinn, der eine Mischung aus Instinkt, Magie und meiner kanalisierten Großartigkeit darstellt und den ich einsetzen kann, um nach Auren in meiner Nähe zu tasten. Es wäre sinnvoll, ihn auszustrecken, um nach Kass und Amora zu suchen. Aber etwas lässt mich zögern.

Du wirst sehen, dass sie nicht hier sind. Oder schlimmer, dass nur Kass hier ist. Weil du zu spät bist. Weil du dir nicht die Mühe gemacht hast, das Gift vollständig zu entfernen, als du noch die Gelegenheit dazu hattest.

Bis jetzt konnte ich mir stets einreden, dass die drei Tage keine Rolle spielen. Dass ich trotzdem rechtzeitig da sein werde. Weil ich eine Mary Sue bin. Weil ich entgegen jeglicher Wahrscheinlichkeit nicht versagen werde, schlichtweg, weil ich als Mary Sue nicht versagen kann. Aber was, wenn ich falsch liege? Sobald ich meinen siebenundzwanzigsten Sinn ausstrecke, werde ich Gewissheit haben. Keine Verdrängung mehr. Keine Entschuldigungen oder Rechtfertigungen. Einfach nur die nackte Wahrheit.

Du hast Angst.

Ich atme tief ein und rufe mich streng zur Ordnung. Das bringt doch alles nichts! Ich muss es tun. Es führt kein Weg daran vorbei und ich brauche Gewissheit. Es aufzuschieben, ist sinnlos, also wieso stelle ich mich so an? Ich schließe die Augen und konzentriere mich aufs Atmen. Mein siebenundzwanzigster Sinn erwacht zögerlich in meinem Inneren. Ich strecke ihn vorsichtig aus. Ich kann den kalten Marmor um mich herum spüren. Die Diamanten im Kronleuchter kreischen schrill, als ich sie streife. Ich taste weiter. Maria Susannas Gemälde strahlt Unnahbarkeit und Ablehnung aus und lässt mich davor zurückschrecken. Ich ignoriere es, atme langsam aus und erweitere den Radius meiner Suche. Irgendwo in der Nähe versucht eine Biene vergeblich durch das geschlossene Fenster zu entfliehen. Ich nehme Holz wahr. Möbel? Und Papier. Verschiedene magische Auren, die wahrscheinlich von irgendwelchen Artefakten stammen, steifen die meine. Und da, ganz am Rande meiner Wahrnehmung, etwas, das sich vertraut anfühlt. Etwas Lebendiges!

Ich richte meinen Fokus auf dieses Fitzelchen Vertrautheit. Eine einzelne Schweißperle bildet sich auf meiner perfekten Stirn. Ein quirliges Grün mit einer Prise Unsicherheit und dem Geschmack nach süßen Äpfeln schlägt mir entgegen. Ich reiße die Augen auf. Das ist Kass! Kass ist hier!

Meine Schritte tragen mich fast ohne mein Zutun auf die Aura zu. Ich beiße mir auf die Unterlippe und verdopple meine Konzentration. Strecke meinen Sinn so weit es mir möglich ist in Kassandras Richtung aus. Und da! Amoras Aura ist in einem reservierten Braunton gehalten. Sie ist zurückhaltender als Kassandras und nicht so leicht zu erhaschen. Und sie ist definitiv lebendig. Lebendig! Erleichterung durchflutet mich und treibt mir Tränen in die Augen. Lebendig! Ich bin nicht zu spät. Ich kann meine Freundin noch retten. Ein Knoten in meiner Brust, von dessen Existenz ich bis gerade eben nichts gewusst habe, löst sich und es fühlt sich an, als hätte man mir ein panzerschweres Gewicht von den Schultern genommen.

Zielstrebig durchquere ich Gänge und Hallen von Maria Susannas Villa, wobei ich mich von den Auren leiten lasse. Meine Zweifel und Ängste von vorhin kommen mir plötzlich lächerlich und kindisch vor. Natürlich sind Kass und Amora hier. Hatte ich nicht selbst messerscharf geschlussfolgert, dass sie hier sein müssen? Und ich habe schließlich immer Recht, nicht wahr? Und selbstverständlich bin ich nicht zu spät dran. Allein der Gedanke, dass eine Mary Sue zu spät sein könnte, um jemanden noch rechtzeitig zu retten, ist absurd. Trotzdem beeile ich mich, nur für den Fall, dass es sich hierbei um eine typische „Rettung in letzter Sekunde" handelt.

Ich passiere Räume vollgestopft mit Trophäen, Liebesbriefen und Schwertern. Natürlich ist nichts davon auch nur ansatzweise so cool wie die Trophäen, Liebesbriefe und Schwerter, die ich in meiner Welt habe, aber das hätte ich von Maria Susanna auch nicht erwartet. Selbstzufrieden stelle ich fest, dass der Weg, den Kassandras und Amoras Auren mir vorgeben, mehrere Treppen nach unten führt. Habe ich es nicht gesagt? Der Keller, der perfekte Ort, um Gefangene zu halten. Oder unerwünschte Verehrer. Oder feuerspeiende Hamster. Ich spreche da aus Erfahrung.

Ich springe mehrere Treppenstufen auf einmal herab. Die Luft wird immer kühler, während die Gemäuer immer älter und verwitterter werden. Schließlich gelange ich an eine dicke Eisentür. Mein großartiger siebenundzwanzigster Sinn verrät mir, dass Kass und Amora sich auf der anderen Seite befinden. Ich atme tief ein und lächle. Ich habe es geschafft. Ich meine, natürlich habe ich es geschafft. Mary Sues versagen schließlich nicht. Die Tür ist abgesperrt, aber das hält mich nicht auf. Mit einem festen Fußtritt sprenge ich sie auf und trete ins Innere.

„Na, habt ihr mich vermisst?", frage ich fröhlich.

Etwas hartes, metallenes trifft mich mit einem lauten Dong mitten im Gesicht.

Die Chroniken der durchgeknallten WeltenreisendenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt