Liebesdreieck: Unter einem Liebesdreieck versteht man eine Beziehungskonstellation mit drei Beteiligten, wobei für gewöhnlich zwei der Akteure um die Zuneigung des dritten konkurrieren.
Meine Zielperson ist ein Mädchen von ungefähr sechzehn Jahren. Schlank, brünett und mit großen, blauen Augen, in denen in etwa so viel Intelligenz liegt wie in denen eines Goldfischs. Ich liege verborgen hinter einem Busch und beobachte sie dabei, wie sie sich langsam mit einer vergoldeten Bürste durchs seidenglatte Haar fährt und dabei leise vor sich hin summt. Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu. Wer bitteschön setzt sich auf die Veranda seines Hauses, um sich die Haare zu bürsten? Ernsthaft! Es juckt mir in den Fingern aufzustehen, hinüberzugehen und dem Allen ein Ende zu bereiten, bevor es überhaupt richtig begonnen hat, aber ich reiße mich zusammen. Zwinge mich zur Geduld. Es kann schrecklich nach hinten losgehen, wenn man es überstürzt. Das habe ich in den wenigen Monaten, die ich nun schon durch die Welten reise und meine Arbeit tue, bereits schmerzhaft gelernt. Ich muss den richtigen Moment abwarten. Also warte ich.
Es dauert nicht lange bis er auftaucht. Seine Haare sind ordentlich gestutzt. Seine Gesichtszüge freundlich, seine Augen unruhig. Ein netter Kerl. Sicher allseits beliebt. Ich mustere ihn nachdenklich, bevor ich mein Urteil fälle. Ich tippe auf bester Freund. Vermutlich schon seit Kindheitstagen. Und – ich werfe dem Mädchen, das sich noch immer mit einem dämlichen Lächeln die Haare bürstet, einen sauren Blick zu – wahrscheinlich ihre erste große Liebe. Ich bemitleide ihn ein wenig.
Der Junge fährt sich nervös durchs Haar, als er näher an das Haus herantritt. Es ist ihm deutlich anzusehen, wie unwohl er sich fühlt. Wahrscheinlich ist das das erste Mal in seinem Leben, dass er etwas Verbotenes tut. Aber sobald er das Mädchen erblickt, verschwindet die Unsicherheit in seinen Augen und er lächelt selig. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht aufzuspringen und ihm zuzurufen, so schnell zu fliehen, wie seine Beine ihn tragen. Mahne mich zur Geduld.
Das Mädchen unterbricht ihr Gesumme und reißt betont überrascht die großen, blauen Augen auf, als sie ihn bemerkt. Ich schnaube abfällig über dieses heuchlerische Gehabe. Also bitte. Als hätte sie nicht genau gewusst, dass jemand hier aufkreuzen würde. Warum sonst hätte sie sich zum Haare-Kämmen auf die Veranda setzten sollen?
„Du solltest nicht hier sein", ihre Stimme klingt erschrocken, aber auch glücklich. „Meine Eltern haben mir Hausarrest erteilt. Das weißt du doch."
Sie lässt den Blick nervös über die umliegenden Bäume und Sträucher wandern, als würde sie erwarten, dass ihre Eltern gleich dahinter hervorspringen. Mich entdeckt sie nicht. Ich lächle. Mich verborgen zu halten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist, war eine der ersten Fähigkeiten, die ich mir angeeignet habe, nachdem ich angefangen habe, Liebesdreiecke zu zerstören.
„Ich weiß", der Junge betritt nach einem kurzen Zögern die Veranda und greift nach ihren Händen, „aber ich musste dich einfach sehen."
Er küsst sie vorsichtig auf die Wange und sie errötet mädchenhaft und kichert.
Ich verdrehe die Augen. Mal sehen, wie lange dieses „Glück" anhält.
Wie aufs Stichwort ertönt eine weitere Stimme. Frech. Selbstbewusst. Provokant. Der Besitzer dieser Stimme lässt sich von niemandem etwas vorschreiben.
„Sie hat gesagt, du sollst nicht hier sein."
Ein zweiter Junge tritt zwischen den Bäumen hervor. Seine schwarz gefärbten Haare fallen ihm wild ins Gesicht; der Mund ist zu einem breiten Grinsen verzogen; die Hände hält er lässig in den Hosentaschen verborgen und an seinem Oberarm schlängelt sich ein Tattoo. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Ein Badboy also. Nicht wirklich überraschend. Die bester-Freund/Badboy-Konstellation ist eine der häufigsten bei Liebesdreiecken und das Mädchen, das sich nun mit einem strahlenden Lächeln dem Neuankömmling zuwendet, wirkt weder kreativ noch intelligent genug, um dieses Schema zu durchbrechen.
DU LIEST GERADE
Die Chroniken der durchgeknallten Weltenreisenden
HumorWas passiert, wenn man eine Mary Sue, die lieber Serien schaut, als die Welt zu retten; eine Weltenwandelnde, die Liebesdreiecke vernichtet; und ein ganz normales Mädchen, das von einem (dir vielleicht nicht ganz) Unbekannten gestalkt wird, gemeinsa...