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Ich spüre, wie aus verschiedenen Richtungen an mir gezerrt wird. Galle steigt in meinen Mund hoch (was echt unfair ist, da mein Körper sich für den Übergang zwischen den Welten aufgelöst hat und deswegen strenggenommen weder Mund noch Galle in physischer Form existieren). Die zerrende Kraft wird stärker. Mein Wesen droht zu zerreißen. Unangenehm fühle mich an das eine Mal zurückerinnert, als ein gigantisches Vogelmonster mir beide Arme ausgerissen hat, um sie an seine Jungen zu verfüttern. Ich ignoriere die Schmerzen, die mich durchfluten wie flüssiges Feuer und konzentriere mich stattdessen auf glückliche Erinnerungen. Das Gefühl, wie ich zum ersten Mal die Welt gerettet habe – damals als es noch neu und interessant war. Wie ich das Vogelmonster getötet und mitsamt seiner Jungen gekocht und verspeist habe. Die rote Hochzeit in Game of Thrones. Sofort fühle ich mich besser.

Noch einmal überrollt mich eine brennende Schmerzenswelle, begleitet von dem Gefühl, einmal kräftig zermantscht zu werden. Dann werden wir in eine neuen Welt ausgespuckt.

Neben mir erklingt ein würgendes Geräusch. Kass übergibt sich auf das Gras zu unseren Füßen. Ich runzle die Stirn. Amora hätte uns wirklich mal vorwarnen können, dass eine tödliche Vergiftung Auswirkungen auf ihre Fähigkeiten hat. Das ist ja unzumutbar.

Die neue Welt fühlt sich zugleich fremd und vertraut an – wie ein altes Kleidungsstück, das einem nicht mehr so richtig passt. Wir befinden uns irgendwo im Freien auf einer großen, matschigen Wiese, fern von jeglicher Zivilisation. Ich registriere einige Pflanzenarten, die in meiner Welt nicht existieren und schnaube verärgert. Wir sind also nicht in meiner Heimat. Bleibt bloß zu hoffen, dass hier bereits der DVD-Player erfunden worden ist, andererseits werde ich richtig sauer.

„So sieht also das ultimative Böse aus", erklingt hinter mir eine schneidende, weibliche Stimme. Ich spüre, wie sich mehrere Augenpaare auf mich richten. Waffen werden gezogen.

Eine flammende Klinge legt sich von hinten an meinen Hals. Das Feuer kann mir zwar nichts anhaben, fühlt sich aber trotzdem unangenehm heiß auf meiner nackten Haut an.

Ich verdrehe die Augen. Da reißt man ein einziges Mal die Weltherrschaft an sich und schon wird man gleich als „das ultimative Böse" abgestempelt. Das ist so unfair.

„Ich werde meine Bestimmung erfüllen und dich vernichten, reines Böses", zischt mir die weibliche Stimme von hinten ins Ohr.

Ich schnaube entnervt. Natürlich. Wir konnten nicht einfach in einer normalen Welt mit sprechenden Gummibärchen und tanzenden Staubsaugern landen. Es musste stattdessen unbedingt eine Welt sein, in der einer meiner tausenden selbsternannten Erzfeinde lauert. Als hätte ich nichts Besseres zu tun, als mich um so einen solchen Blödsinn zu kümmern. Amora liegt nur einige Meter von mir entfernt im Gras und rührt sich nicht. Kass beugt sich bereits besorgt über sie und versucht sie wachzurütteln. Ohne Erfolg.

Und ein flammendes Schwert? Ich verdrehe die Augen. Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Wer benutzt denn heutzutage noch flammende Schwerter? Ich würde mich schämen.

„Hör mal, ich weiß nicht welchem Videospiel du entstiegen bist, aber – ", ich drehe mich um und verstumme verblüfft.

Das Mädchen, das mir die Klinge an den Hals hält, sieht so gut aus, dass es schon wieder lächerlich ist. Sie ist ungefähr in meinem Alter, hat dunkles, seidenes Haar, schneeweiße, vollkommene Haut und Augen, die einen an intensiv grün schimmernde Smaragde denken lassen. Sie erinnert mich an irgendjemanden, aber ich komm beim besten Willen nicht darauf an wen. Hinter dem Mädchen stehen noch kampfbereit ein kräftig gebauter Bogenschütze und ein muskulöser Axtkämpfer, aber im Vergleich zu dem Mädchen wirken die beiden bleich und farblos. Definitiv nicht wichtig genug, um ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken.

Ich zucke mit den Schultern. Die blendende Schönheit des Mädchens hat mich einen Moment aus dem Konzept gebracht, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich gerade wirklich keine Zeit und/oder Lust habe, mich mit ihr auseinanderzusetzen.

Also greife ich beherzt an die brennende Klinge und schiebe das Schwert unter Einsatz meiner Superstärke zur Seite. Ich höre das Mädchen noch überrascht keuchen, dann bin ich schon mit ein paar raschen Schritten bei Amora.

„Ich verstehe das nicht", sagt Kass. In ihren großen Augen stehen Tränen. „Vorhin ging es ihr doch noch gut und jetzt ..." Sie hält die schlaffe Hand von Amora fest umklammert.

Ich runzle mit der Stirn. Das Schlangengift muss sich schneller und aggressiver in Amoras Körper ausgebreitet haben als gedacht. Nun, ich wäre keine Mary Sue, wenn zu meinem unglaublichen Arsenal an Fähigkeiten und Talenten nicht zumindest die ein oder andere Heilkraft gehören würde.

„Wie kannst du es wagen, mich zu ignorieren?", zischt das gutaussehende Mädchen im Hintergrund und fuchtelt mit ihrem dämlichen flammenden Schwert herum.

Ich ignoriere sie und lege Amora eine Hand auf die Stirn, die sich unter meinen Fingern fiebrig heiß anfühlt. Dann schließe ich die Augen und spüre in ihren Körper hinein. Das Gift hat sich tatsächlich bereits in ihrer Blutbahn ausgebreitet und ist gerade dabei, ihre Organe anzugreifen. Gegen meinen Willen bin ich beeindruckt. Vielleicht sollte ich mir eine dieser Sandschlangen als Haustier zulegen. Ich könnte sie darauf abrichten, nervige Möchtegern-Erzfeinde zu bekämpfen, während ich die neusten Serien schaue.

Ich atme tief ein. Eins nach dem anderen. Als Erstes einmal sollte ich verhindern, dass Amora stirbt, sonst sitze ich noch bis in alle Ewigkeit in der Welt von Miss-Ich-benutze-ein-Feuerschwert-und-es-ist-mir-noch-nicht-einmal-peinlich fest. Ich konzentriere mich auf meine Heilkraft. Zunächst repariere ich den Schaden, den das Gift bereits in Amoras Körper angerichtet hat. Ich stelle beschädigte Organe wieder her und reinige verseuchte Blutgefäße. Dann konzentriere ich mich darauf, das Gift in ihrem Körper systematisch zu zerstören. Doch gerade als ich den letzten kleinen Rest vernichten will, unterbricht plötzlich ein kreischender Schmerz in meinem Rücken meine Konzentration.

Ich fahre wütend herum. Irgendwo im Hintergrund höre ich Kass entsetzt aufkreischen. Hinter mir steht das dunkelhaarige Mädchen, das mir schon seit meiner Ankunft hier auf die Nerven geht. Ihre Hand ist leer. Etwas läuft warm meinen Rücken hinab. Es stinkt nach Blut – meinem Blut. Fassungslos betaste ich meinen Rücken. Meine Hände berühren Metall zwischen meinen Schulterblättern, das meine Fingerkuppen verbrennt. Ich kann es nicht fassen! Das Mädchen hat mir allen Ernstes ihre flammende Klinge in den Rücken gerammt!

Die Chroniken der durchgeknallten WeltenreisendenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt