Kapitel 10

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Nils schreckte mit einem leisen Schrei aus seinem Schlaf hoch und schaute sich verwirrt um. Sie waren immer noch unterwegs und Ed musterte ihn überrascht.

»Schlecht geträumt? Aber gut, dass du wach bist, ich hätte dich sowieso gleich wecken müssen.«

Nils versuchte, sich an den Details des Traumes zu erinnern, doch die Erinnerung daran verblasste bereits. Nur das Bild des Anzugträgers stand vor seinem geistigen Auge.

Sie hatten die Autobahn verlassen und fuhren durch ländliches Gebiet.

»Wo sind wir?«

»In irgendeiner Klitsche im Umland von Berlin. Ich schaue schon nach unserem heutigen Quartier. In einer Stunde ist Sonnenaufgang.«

Etwas außerhalb der Ortschaft verlangsamte Ed den Wagen plötzlich.

»Hm, das könnte was sein. Du bleibst im Auto und wartest.«

Er parkte vor einer schicken Villa und stieg aus. Mit Vampirgeschwindigkeit raste er davon. Eine Minute später wurde die Haustür von innen geöffnet und Ed winkte ihn herein.

»Wie findest du ständig diese leerstehenden Häuser?«, wunderte sich Nils.

»Übung. Erstes Zeichen war das fehlende Auto. Leute, die sich so eine Hütte leisten, haben immer ein Auto. Ich habe in die Fenster geschaut, habe nichts gehört oder gerochen und bin durch den Kellereingang rein. Et voilà, hier sind wir.«

»Und wenn doch jemand da gewesen wäre?«

»Dann hätte ich jetzt eine gesunde Gesichtsfarbe«, grinste Ed.

Sie absolvierten einen kurzen Rundgang durchs Haus und Nils plünderte den Kühlschrank. Ed schüttelte den Kopf, als er sah, wie sich der Junge Toastbrote mit verschiedenen Wurstsorten und Käse belegte und einen Joghurt aus dem Kühlschrank fischte.

»Was denn? Ich mag nun mal Abwechslung beim Essen! Du kennst ja nur Blut. Ist das nicht ätzend, jeden Tag dasselbe? Da müsste ich irgendwann kotzen.«

Ed sah ihn entsetzt an.

»Banause! Jedes Blut schmeckt anders, je nach Alter, Blutgruppe, Herkunft und so weiter. Du hast keine Ahnung! Und Blut kotzen musste ich nur einmal!«, echauffierte sich Ed und sah Nils anklagend an.

»Hey! Ich kann auch nichts dafür, dass dir meins nicht schmeckt.«

»Das werden wir sehen.«

Sie setzten ihren Rundgang fort. Eine Entdeckung im Badezimmer begeisterte Nils.

»Ein Whirlpool! Geil, den werde ich nachher direkt mal ausprobieren. Ich muss ja irgendwie den Tag rumbringen.«

»Was? Ja, mach mal.«, murmelte Ed abwesend. Er bewegte sich langsamer und schwerfälliger als bisher. Nils betrachtete ihn skeptisch.

»Was hast du denn? Du wirkst auf einmal wie betäubt.«

»Das ist die Sonne. Sie geht in ein paar Minuten auf. Ich muss zu meinem Ruheplatz.«

»Hast du schon einen gefunden?«

»Ja, im Keller ist eine Dunkelkammer eingerichtet. Ideal für meine Zwecke.«

Ohne ein weiteres Wort verschwand Ed nach unten.

Nils vertrieb sich die Zeit mit Schlafen, Essen, Fernsehen und schließlich dem geplanten Bad in dem großzügigen Whirlpool. Das warme Wasser, die leichte Massage und das Geblubber tausender Luftbläschen machten ihn angenehm schläfrig und ließen ihn die Zeit vergessen.

»Na, lässt du deine Schlange zu Wasser?«

Überrascht schreckte Nils hoch und versuchte, seine edelsten Teile hinter den Händen zu verstecken.

»Musst du mich immer so erschrecken? Und sind eigentlich alle Vampire Spanner oder nur du?«, fragte er aufgebracht.

Ed lachte.

»Das ist immer so niedlich, wenn du rot wirst.« Er schlüpfte aus seinen Schuhen und begann sein Hemd aufzuknöpfen.

»Was wird das, wenn es fertig ist?«, fragte Nils misstrauisch, als Ed sich an seiner Hose zu schaffen machte.

»Rate mal.«, antwortete Ed und zog auch das letzte verbliebene Kleidungsstück mit einem energischen Ruck nach unten.

»Mach mal Platz. In das Ding passen wir beide rein.«

»Was? Aber ... das ... das geht doch nicht! Du kannst nicht einfach ...«

Während er weiter nach Worten suchte, hatte sich Ed mit einem genießerischen Seufzer im Whirlpool niedergelassen.

Trotz aller Peinlichkeit hatte Nils einen Blick riskiert, und musste neidlos anerkennen, dass der Vampir gut gebaut war. Sogar sehr gut gebaut. Ed lag entspannt in der Wanne und hatte die Augen geschlossen. Der Junge wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte, da stupste ihn Ed mit dem Fuß am Schienbein an und versetzte ihn erneut in Panik.

»Sag mal, bist du eigentlich schwul oder bi?«

»Was? Wieso ... Wie kommst du immer auf sowas?«, fragte Nils mit hochrotem Kopf.

»Ach, dann hätten wir uns noch etwas besser entspannen können. Ich mag deine Schlange.« Ed schlug die Augen auf und grinste. »Und diesmal meine ich nicht dein Tattoo.«

Hektisch wusch sich Nils die Haare und stieg aus dem Whirlpool.

»Freut mich, dass du keine Probleme mehr hast, nackt vor mir herumzulaufen.«

»Besser als mit dir in einer Wanne zu liegen!«, schnappte Nils zurück und griff schnell nach einem Handtuch, um sich abzutrocknen. Eds herzhaftes Lachen verfolgte ihn, als er aus dem Bad rauschte.

Im Laufe des Tages hatte Nils im Zimmer des Sohns der Hausbesitzer ein paar Klamotten aufgetan, die ihm leidlich passten. Die Beine der Jeans waren etwas zu lang, daher musste er sie umkrempeln. Er mopste einige Teile aus dem Kleiderschrank und stopfte sie zu seinen alten Kleidern in eine gefundene Sporttasche. Er hatte zwar zuerst Bedenken, Unterwäsche und Socken anderer Leute zu benutzen, aber erstens war alles frisch gewaschen und zweitens hatte er keine Alternative. Als er wieder die Küche betrat, traf ihn fast der Schlag. Alles Mögliche lag auf dem Boden. Scheinbar hatte Edward die Küchenschränke mit einem Arm abgeräumt, dazwischen lagen Scherben von zerstörten Flaschen und ein penetranter Rotweingeruch hing in der Luft. Auf den Hängeschränken stand in Rot »Bonzen in die Produktion!« und Ed war gerade dabei, mit Sprühfarbe das Anarchiesymbol daneben zu malen.

»Wie sieht es denn hier aus? Sollten wir nicht besser keine Spuren hinterlassen?«

»Das geht nicht. Ich musste leider die Alarmanlage demolieren, als wir hier eingestiegen sind und bevor jemand uns mit dem Einbruch in Verbindung bringt, lasse ich es lieber aussehen, als wären hier ein paar linke Chaoten eingebrochen.«

»Wo hast du denn die Farbe her?«

»Stand im Keller. Hast du alles? Können wir endlich los?«

Nils nickte, griff sich die Sporttasche und folgte Ed zum Wagen.

Gejagt!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt