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Er hatte vollkommen vergessen, wie gut es sich anfühlte, heiß zu duschen.
Bestimmt eine halbe Stunde lang stand Jonny nun bereits unter der Dusche, hatte seinen Gedanken nachgehangen und den heutigen Tag und insbesondere die letzten paar Stunden Revue passieren lassen, und allmählich merkte er, wie die hohe Temperatur des Wassers, die er, seit er hier stand, immer und immer weiter erhöht hatte, auf seinen Kreislauf schlug.
Er fühlte sich benebelt, sein Herz pochte laut – zu laut vielleicht – und sein Körper fühlte sich irgendwie taub an, was den angenehmen Nebeneffekte, dass das heiße Wasser auf seiner Haut nicht schmerzte.
Es wäre besser, langsam zum Ende zu kommen, das war ihm klar, das Wasser abzudrehen, und wieder nach draußen in das in der Tat sehr winzige Bad zu treten, von dem die Dusche allein beinah die Hälfte einnahm und das sich, trotz der Tatsache, dass er die Tür offengelassen hatte, damit die Feuchtigkeit sich nicht zu sehr in dem Raum sammelte, mit Sicherheit gut genug aufgeheizt hatte, dass ihn kein allzu großer Temperaturunterschied erwarten dürfte.
Und trotzdem konnte er sich nicht wirklich dazu durchringen. Noch nicht. Noch zwei Minuten, vielleicht drei...
Die Berührung war so plötzlich da, dass er erschrocken aufschrie. Sie war kaum mehr gewesen als ein Lufthauch, als wäre es bloß der Duschvorhang gewesen, der über Jonnys Hüfte gestrichen hatte, doch das konnte nicht sein, denn dort, wo er die Berührung gespürt hatte, befand sich neben ihm lediglich die Wand.
Die Empfindung, für die es keinerlei erkennbare Ursache zu geben schien, war genau so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetreten war, jedoch nur, um gleich darauf um einiges intensiver zurückzukehren.
Es fühlte sich an, als würde jemand über seinen Rücken streichen, dann wieder über seine Hüfte, und obwohl er sah, dass dort nichts oder niemand war, änderte das nichts daran dass es sich absolut real anfühlte.
Hektisch tastete Jonny nach dem Regler und stellte das Wasser auf einen Schlag aus.
Zog den Vorhang zur Seite und tastete nach dem Handtuch, das er vorhin auf das Waschbecken gelegt hatte, und trat aus der Dusche, wobei das Gefühl der Berührung erneut kurzzeitig verschwand.
Mit hastigen Bewegungen begann Jonny, sich abzutrocknen, wobei er so sehr zitterte, dass er einige Male beinahe das Handtuch fallengelassen hätte.
„Bleib ruhig, da ist nichts. Niemand", murmelte er, griff nach dem Haufen Klamotten, den er sich aus dem Beutel herausgezogen hatte und zog eine Shorts heraus. Ja, das stimmte, niemand war hier, doch änderte das nichts daran, dass diese Berührungen real gewirkt hatten, als hätte wirklich jemand hinter ihm gestanden und ihn angefasst...
Jemand... Er...
Beinahe wütend schüttelte Jonny den Kopf und nahm sich das nächste Kleidungsstück, das er in die Finger bekam.
Das war jetzt erst mal das Wichtigste: Sich etwas anziehen. Sich weniger verwundbar fühlen. Weniger ausgeliefert. Weniger...
„Oh, wegen mir musst du dich aber nicht extra anziehen!"
Es war nicht das Ding in seinem Kopf, das nun mit ihm sprach. Das Ding konnte gehässig sein, abfällig, manchmal grausam.
Aber seine Anwesenheit hatte Jonny niemals so viel Angst gemacht, ihn sich auf der Stelle dermaßen schlecht fühlen lassen, wie der Klang dieser Stimme, die er jetzt hörte. Am liebsten wäre er losgerannt, einfach weg, raus aus dem Bad, aus der Wohnung, aus dem Gebäude, irgendwohin, ganz egal wo... Hauptsache weg.
Doch das tat er nicht. Zwang sich, ruhig zu bleiben, regelmäßig zu atmen, das Shirt, das er sich gegriffen hatte, über den Kopf zu ziehen, wobei der kurze Moment dabei, in dem er nichts sehen konnte, sich grauenhaft anfühlte.
Wieder eine Berührung, dieses Mal deutlicher. Als würde jemand über seine Schulter streichen, über seinen Arm, über seinen Nacken. Ganz leicht bloß, und doch fühlte es sich an, als drücke man ihm heißes Metall auf die Haut.
„Jonny, rede mit mir", flüsterte die Stimme. Sie klang nun ganz nah, ließ ihn erschaudern und das Bedürfnis, zu rennen, noch einmal größer werden.
Ohne es wirklich zu wollen erwiderte Jonny: „Lass mich. Du bist nicht wirklich hier..."
Das mochte stimmen, doch die Tatsache, dass er selbst antwortete, ließ ihn nicht gerade überzeugend wirken.
Ein Arm legte sich von hinten um seine Schulter. Er war nicht zu sehen, war körperlos, genau wie die Stimme, und dennoch da, ebenso wie das leise Kichern, das nun erklang, und Jonny ein weiteres Mal zusammenzucken ließ.
Dieses Kichern.
Sein Kichern.
Dieses ganz spezielle Kichern, das darauf hindeutete, dass er wütend war, dass ihm etwas nicht gefallen hatte, dass er der Meinung war, etwas klarstellen zu müssen.
Aber er ist nicht hier!, versuchte Jonny, sich klarzumachen, während er versuchte, sich die Jogginghose, die Sapphire ihm zum Schlafen rausgesucht hatte, anzuziehen, aber seine Hände zitterten so stark, dass er sie fallen ließ.
Reflexartig kniete er sich hin, um sie aufzuheben, wollte sich gerade wieder aufrichten, als er einen Stoß in den Rücken bekam, der dafür sorgte, dass er nach vorne stürzte und um ein Haar mit dem Kopf gegen die Toilettenschüssel geprallt wäre.
Einen Augenblick lang lag er vollkommen erstarrt da, unfähig, auch nur einen Muskel zu bewegen, und im nächsten Moment spürte er ein Gewicht auf seinem Rücken, das es ihm vollkommen unmöglich machte, sich aufzurichten.
Erschrocken schnappte er nach Luft, merkte, wie Panik im Begriff war, in ihm aufzusteigen, während er gleichzeitig versuchte, eben diese zurückzudrängen...
Ruhig, ganz ruhig, das passiert nicht wirklich, das ist nur in deinem Kopf, er ist nicht wirklich hier...
Wie zum Beweis des Gegenteils antwortete die Stimme – Seine Stimme – in einem zugleich amüsierten und verärgerten Tonfall: „Red dir das ruhig ein, wenn es das für dich leichter macht, Jonny-Boy! Du hättest doch wissen müssen, dass du nicht vor mir weglaufen kannst! Ich hab es dir gesagt!"
Oh ja, das hatte er getan. Und er hatte Jonny auch unmissverständlich klargemacht, wie ernst es ihm mit dieser Aussage gewesen war...
„Du hättest das nicht tun sollen. Du hättest bei mir bleiben sollen."
Das Gefühl von Händen, die über seine Schulterblätter strichen, während das unsichtbare Gewicht auf ihm ihm das Atmen schwer machte.
„Du hättest nicht weglaufen sollen!"
Jonny spürte, wie jemand in seine Haare griff und sich darin festkrallte. Sein Kopf wurde zurückgerissen und er schrie vor Schreck und Angst auf, schloss die Augen, bloß um sie gleich darauf wieder zu öffnen, weil die Schwärze noch grauenhafter war als der Anblick der vergilbten Badezimmerwand...
Eine der nicht wirklich existenten, sich dafür aber verdammt echt anfühlenden Hände strich über seinen Hals, während die andere ihn weiter an den Haaren fest hielt und ihn bei jedem der folgenden Worte leicht schüttelte, als wäre er eine Katze,, die man im Genick gepackt hatte: „Du gehörst mir! Hast du das etwa vergessen? Ich dulde nicht, dass mein Eigentum mich so behandelt! Mich einfach so stehenlässt und wegrennt! Sich vor mir versteckt! Nach allem, was ich für dich getan habe!"
Er sollte aufhören. Sollte ihn in Ruhe lassen, einfach verschwinden, aus diesem Bad, aus seinem Kopf, aus seinem Leben!
Jonny keuchte vor Schmerz, als er wieder nach unten gestoßen wurde und mit der Schläfe auf dem Boden aufschlug, während das Gewicht auf ihm sich plötzlich zu verdoppeln schien, sämtliche Luft aus seinen Lungen presste, es ihm vollkommen unmöglich machte, zu atmen...
Das ist nicht echt!, versuchte er noch einmal, sich ins Gedächtnis zu rufen, während die Hand, die nun über seine Wange strich, diese Behauptung unglaubwürdig erscheinen ließ.
Er ist nicht wirklich hier, er hat keine Ahnung, wo ich bin, er wird mich nicht finden, er...
An diesem Punkt endeten seine Gedanken, als wären sie ein altes Tonband, das plötzlich und unerwartet gerissen war. Da war nur noch Stille, und das Gefühl, dass sein Körper, auf dem immer noch dieses unglaubliche Gewicht lastete, nicht mehr ihm zu gehören schien, irgendwie weit entfernt war, als wäre er von ihm abgetrennt worden...
Fühlte es sich so an, wenn man starb?
War das möglich? Konnte man durch etwas sterben, das eigentlich gar nicht wirklich da war?
Allerdings fragte Jonny sich in diesem Augenblick ebenso, ob es sich überhaupt lohnte, über diese Frage nachzudenken.
Oder ob er den Tod, falls es wirklich das war, was diese seltsame Abspaltung von seinem eigenen Körper verursachte, nicht einfach dankbar hinnehmen sollte.

Besser, ihr rennt!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt