Anders als Jonny hatte es keinesfalls das Gefühl, dass diese Berührungen irgendetwas realistisches an sich hatten.
Sicher, Es spürte sie durchaus, auch das Gewicht, das auf seinem Rücken lastete, aber das war nicht echt, und auch nichts, was es davon abhalten konnte, sich aufzurichten und zu erheben.
Das Gewicht fiel von ihm ab wie ein Mantel, den man abstreifte, die Berührungen verschwanden, ließen noch kurz ein unangenehmes Gefühl zurück, dort, wo sie zu spüren gewesen waren, aber auch das verblasste schnell.
Obwohl es wusste, dass es nichts würde erblicken können, was der Auslöser für Jonnys Panik und seinen Zusammenbruch gewesen war – oh, es gab einen Auslöser, aber der war nicht wirklich hier und würde es hoffentlich auch nie sein – blickte es sich in dem winzigen Raum um, inspizierte die Dusche mit dem zurückgezogenen Vorhang, das Waschbecken (wer kannte sie nicht, die Gefahren, die sich in Waschbecken versteckten) und den Spiegel, warf noch einen kurzen Blick in den Nebenraum und machte sich dann daran, sich die Jogginghose anzuziehen, die Jonny so ungeschickt auf den Boden hatte fallen lassen.
Es war lange her, dass so etwas das letzte Mal in diesem Ausmaß passiert war.
Verfolgt gefühlt hatte Jonny sich oft, und das war auch gut so, das sorgte dafür, dass er nicht leichtsinnig wurde, normalerweise zumindest.
Das, was er heute getan hatte und weswegen sie beide nun letztlich hier gelandet waren, konnte man zwar durchaus als „leichtsinnig" bezeichnen, aber...
Das war kein Grund, dass es Jonny gewünscht hätte, einen derartigen Horrortrip erneut zu durchleben. Der Junge mochte manchmal naiv sein, so sehr, dass es wirklich wütend darüber wurde, dass es wünschte, er würde merken, was das für Konsequenzen haben könnte.
Aber nicht so. Nicht durch derartige psychotische Flashbacks.
Nachdem es das Handtuch zum Trocknen über das Waschbecken gelegt hatte – nicht, dass es sich normalerweise viel aus Ordnung machte, es war mehr eine automatische Handlung – schaltete es das Licht aus, ging zurück in die spartanische Kombination aus Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche und löschte auch dort das Licht.
Bevor es sich im Dunkeln zurück zum Bett tastete, drückte es die Türklinke hinunter, rüttelte ein paar Mal daran, um sich zu vergewissern, dass wirklich abgeschlossen worden war, wandte sich dann um und ließ sich auf die Matratze fallen.
Das Bett knarrte bedenklich, was es dazu veranlasste, argwöhnisch eine Augenbraue hochzuziehen. Es, beziehungsweise Jonny, wog wirklich nicht viel, und unwillkürlich stellte es sich die Frage, was sonst schon für Leute in diesem Zimmer gewohnt hatten.
Aber eigentlich war das auch unwichtig. Nichts, womit es seine Zeit verschwenden sollte.
Ein weiteres Knarren, als es sich auf dem Bett ausstreckte und die Decke über sich zog.
Niemals, hätte es Jonny gegenüber diese Tatsache zugegeben, doch in diesem Moment, in dem es auf der weichen Matratze lag, spürte, wie sich die Wärme, die die heiße Dusche bereits auf seiner Haut erzeugte, sich nun auch in seinem Inneren ausbreitete, kam ihm die Entscheidung, das Angebot von diesem Robin anzunehmen und zu bleiben, nicht mehr wirklich falsch vor. Nicht ungefährlich, aber irgendwo in der Tat vernünftig.
Es hatte kein wirkliches Problem mit Kälte, so, wie es alle möglichen Extreme gut ertragen konnte – Hitze, Angst, Schmerz. Zumindest momentan empfand es die Temperaturen draußen noch als absolut erträglich.
Aber ihm war nicht entgangen, wie sehr das kühle Wetter Jonny schwächte.
Der Junge besaß kaum mehr Klamotten, als er am Körper trug, und nichts dafür war für den Winter geeignet, der unaufhaltsam näher rückte, abgesehen vielleicht von dem Mantel, der aber auch nicht sonderlich dick war. Fast an jedem Morgen der vergangenen Tage war Jonny mit schmerzenden Gliedmaßen aufgewacht und hatte erst einmal eine ganze Weile gebraucht, um überhaupt halbwegs zu irgendwelchen Handlungen in der Lage zu sein, und noch einmal länger, um seinen jeweiligen Schlafplatz zu verlassen und sich auf den Weg zu machen.
Er hatte mehr als Glück gehabt, dass es zu keinem dieser Zeitpunkte nötig gewesen war, sich zu verteidigen, denn dazu wäre er kaum in der Lage gewesen, selbst dann nicht, wenn es ihm dabei geholfen hätte.
Auch das hätte es ihm gegenüber nie eingestanden, aber Jonny hatte recht gehabt als er gesagt hatte, dass die Alternative, weiterhin auf der Straße zu leben, nicht unbedingt sicherer war.
Optimal war wohl keine der beiden Optionen, doch allmählich konnte es sich mit dem Gedanken anfreunden, diese Möglichkeit, etwas zur Ruhe zu kommen, zu nutzen und neue Kräfte zu sammeln. Natürlich ohne dabei unaufmerksam zu werden.
Wie es dann weiterging, würde es sich schon überlegen, selbstverständlich war es keine Perspektive, lange zu bleiben, aus verschiedenen Gründen. Allen voran der Tatsache, dass es grundsätzlich unklug wäre, sich zu lange an einem Ort aufzuhalten. Schlimm genug, dass Jonny sich bisher geweigert hatte diese Stadt zu verlassen, wo sie doch keine dreißig Meilen von dem Ort entfernt lag, von dem sie geflohen waren.
Es war frustrierend, wie sentimental er manchmal sein konnte, dass er es nicht über sich brachte, seine sogenannte Heimatstadt hinter sich zu lassen, aber es hatte keine Lust mehr, sich darüber aufzuregen.
Das Wichtigste war, dass sie sich unauffällig verhielten. Keine Spuren hinterließen.
Bloß nichts taten, was Seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte.
Und falls das doch passieren sollte... falls es sich wirklich nicht vermeiden sollte, so sehr sie auch aufpassten... dann würde es alles tun, um sich zu verteidigen und Jonny zu beschützen.
Kostete es, was es wolle.
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Besser, ihr rennt!
TerrorKaum jemand wohnt gerne in der Eastside von Red Creek, die von Armut, Kriminalität und Gewalt geprägt ist. Doch mit Beginn einer Mordserie, bei der die Opfer auf grausame Weise getötet, verstümmelt und zur Schau gestellt werden, scheint sich absolut...