Kapitel 6

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„Meine Eltern haben mich ausgesetzt.“ „Was?“ „Ja. Es hat eigentlich schon in meiner Kindheit angefangen... Meine Eltern waren schon immer auf Erfolg aus und so haben sie auch meine Geschwister und mich erzogen. Wir mussten in der Schule die besten Noten haben, mehrere Fremdsprachen lernen, Instrumente spielen und was weiß ich nicht alles. Und an sich mag ich es auch zu lernen, aber trotzdem war ich nie der Sohn, den sie haben wollten. Ich habe mich ihnen widersetzt, weil ich den Druck nicht aushielt. Dafür habe ich auch regelmäßig Prügel kassiert und als ich dann gesagt habe, dass ich kein Anwalt oder Arzt werden wollte, haben sie komplett den Glauben an mich verloren. Da haben sich auch meine Ängste entwickelt und um mich zu demütigen und zu bestrafen, haben sie mich immer in die Öffentlichkeit geschickt... In der Schule musste ich auch mal bei einem Talentwettbewerb mitmachen, was ich wegen meiner Angst nicht wollte...“ Langsam wurde ich traurig. „Davor haben sie dafür gesorgt, dass ich viel trinke und zur Toilette durfte ich dann auch nicht mehr... Du kannst dir sicherlich denken, was dann passiert ist.“ „Ja... Das tut mir wirklich Leid.“ „Das muss es nicht... Jedenfalls wurde ich von allen ausgelacht, auch von meiner Familie, und da hat sich meine Angst wohl zur Phobie entwickelt. Logischer Weise wurde ich auch weiterhin quasi ignoriert, von Schülern gemobbt und als Geschenk zum Abitur wurde ich dann in einer völlig fremden Stadt ausgesetzt. Dabei wussten sie natürlich genau, dass ich wegen meiner Phobie keine Hilfe suchen würde.“ Nun fing ich an zu weinen und klammerte mich an die Decke. „Sie haben gesagt, dass ich auf der Straße verrecken soll und dass mich niemals jemand mögen wird, so wie ich bin.“ Kurz sah ich Taddl an und er sah ziemlich geschockt aus. „Ich hab' ja schon viel gehört, aber das... Ich weiß nicht, was ich sagen soll...“ Als wir an einer Ampel hielten, sah er mich mit einem aufmunternden Lächeln an. „Eins kann ich dir aber sagen... Ich mag dich...“ Meine Augen weiteten sich. „Wirklich?“ „Ja natürlich. Ich sehe an deinen Augen, dass du eine wundervolle Persönlichkeit hast. Und die möchte ich kennen lernen.“ „Ich danke dir.“ „Kein Problem. Und ich werde dafür sorgen, dass du die drei verpassten Jahre nachholen kannst.“ „Es waren fünf.“ Er sah verwirrt aus. „Hast du nicht eben gesagt, dass du Abitur hast?“ „Ja, ich hatte mit 16 schon mein Abitur, weil ich zweimal eine Klasse übersprungen habe.“ „Nicht schlecht. Dann kann aus dir auf jeden Fall noch was werden.“ „Das hoffe ich. Mein Traum war es ja schon immer, irgendwas mit Management zu machen. Bestenfalls mit Finanzen, zumal ich auch Mathe sehr mag.“ „Management sagst du.“ „Ja. Aber wenn ich jedes Mal eine halbe Panikattacke bekomme, fremde Leute zu sehen und vor ihnen zu reden, bringt mir das natürlich nichts.“ Taddl lächelte. „Ardian, ich glaube, ich habe mit dir einen Glücksgriff gemacht.“ „Wie meinst du das?“ „Naja, ich hätte gerne einen Assistenten und zufälligerweise habe ich auch mit Finanzen zu tun. Vielleicht wäre das was für dich.“ „Das wäre ja traumhaft. Und ich würde natürlich alles tun, um dieser Position gerecht zu werden.“ „Das ist schön zu wissen.“ Ich war glücklich. Ab heute hätte ich ein Dach über dem Kopf, müsste nicht mehr hungern und frieren und habe die Möglichkeit zu arbeiten und meine Ängste loszuwerden. Besser ging es einfach nicht.

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