Liz
Ich höre wie sich die Tür zur Mädchentoilette öffnet und kurz darauf wieder krachend ins Schloss fällt. Klackernde Absätze nähern sich der Kabine, in der ich mit hochgezogenen Beinen auf dem Klodeckel sitze. "Liz, bist du da drinnen?", Cassidy klopft gegen die Türe. Ich antworte ihr nicht, sondern bemühe mich nicht wieder in Tränen auszubrechen. Wann bin ich in eine Heulsuse mutiert?
"Liz, jetzt mach die Tür auf!", Cassidy trommelt ein weiteres mal dagegen. Aber ich mache keine Anstalten ihrer Bitte Folge zu leisten. Zu sehr bin ich mit mir selbst beschäftigt. "Gut dann eben anders.", tönt es von draußen:"Verdeck was ich nicht sehen soll!"
Kurz darauf beginnt die Kabine gefährlich zu wackeln und ich höre Cassidy fluchen:"So eine verdammte Scheiße! Ich mach das nur für dich Turner!" Plötzlich erscheint Cassidys Lockenmähne über der Kabinentür und dann auch ein Bein. Als sie schließlich mit den Füßen baumelnd da sitzt und kritisch den Boden beäugt, kommt das erste mal Bewegung in mich. Naja, eigentlich ist es nur ein verwirrtes Kopfschütteln.
"Da, fang!", ruft sie und wirft mir ihre Stiefeletten entgegen. Ich fange die Schuhe reflexartig auf und sehe meiner Freundin dann zu wie sie springt und neben mir auf den braunen Fliesen landet:"Puh, definitiv zu viel Sport für heute."
Ich starre sie perplex durch meinen Tränenschleier an und würde gerne irgendwas sagen, aber ich drohe, mich schon wieder in einen Zimmerspringbrunnen zu verwandeln. "Holy Shit, du siehst echt scheiße aus.", bemerkt Cassidy, reißt ein paar Lagen Klopapier runter und reicht es mir.
"Danke für das Kompliment.", bringe ich unter einem Schluchzen hervor und zwinge mich zu einem Lächeln das wahrscheinlich eher einer Grimasse ähnelt.
"Gern geschehen. Aber jetzt mal ehrlich, was ist los?", will Cassy wissen, während sie mich prüfend beäugt.
Ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen:"Ich...Noah war noch nie so sauer."
Vor ein paar Tagen noch, als ich mit Noah von der Party heim gefahren bin, dachte ich er wäre so richtig wütend, aber das ist kein Vergleich zu dem jetzt. Ich weiß, dass ich selber Schuld bin, aber er versteht einfach nicht, dass es immer noch um meinen Vater geht. So sehr ich ihn die Meiste Zeit über hasse, irgendwo tief in mir drinnen liebe ich ihn doch noch. Ich weiß, dass ich mir das eigentlich nicht länger gefallen lassen dürfte, aber wenn meine Mutter tot ist, und das wird ziemlich bald der Fall sein, ist er der einzige den ich noch habe. Ich glaube, dass ich insgeheim hoffe, dass es mit dem Tod meiner Mutter besser wird. Dass er wieder der Vater ist, den ich in den ersten Jahren meiner Kindheit kennen gelernt habe. Der Vater, der mit mir an den See gefahren ist.
"Warum ist er denn sauer?", Cassidy reißt mich aus meinen Gedanken.
Ich kann es ihr nicht sagen:"Ich habe ihn rausgeworfen."
Meine Freundin scheint ein bisschen verärgert darüber zu sein, dass sie mir alles aus der Nase ziehen muss:"Okay und warum hast du ihn vor die Tür gesetzt?"
Ihre Ungeduld löst bei mir irgendwie Wut aus. Ich weiß selbst nicht warum, aber plötzlich ist Cassidy an allem Schuld. Sie ist es, wegen der es überhaupt soweit kam, dass mein Vater ausgetickt ist. Wegen ihr ist Noah gekommen und unser Streit ist entstanden. An all dem ist sie schuld!
"Ja, das stellst du dir schön einfach vor, was? Erst das ganze Chaos veranstalten und dann eine auf gute Freundin machen. Aber nicht mit mir, Cassidy!", ich springe auf, sperre die Türe auf und stürme aus der Kabine.
Als ich allerdings am Spiegel vorbei komme, wird mein geplanter, würdevoller Abgang zerstörrt. Ich kann auf keinen Fall in diesem Zustand hier raus! Also mache ich mich daran mein mit Tränen überzogenes Gesicht abzuwaschen.
"Wovon redest du?", Cassy stellt sich neben mich.
"Du bist an allem Schuld! Ohne dir wäre es erst gar nicht so weit gekommen!", zische ich und gebe mir größte Mühe die Wimperntusche Spuren auf meinen Wangen zu beseitigen.
"Jetzt mach aber mal Halblang! Nur weil du gerade Stress mit Noah hast, musst du deine Wut nicht gleich an mir auslassen.", beschwert sich meine Freun...meine Mitschülerin.
"Du kommst hier her, drängst dich zwischen Noah und mich und meinst du kannst überall dabei sein. Aber soll ich dir mal was sagen, Wilson? Das hier ist nicht dein ach so tolles Amerika! Wir sind hier in England. Hier gibt es keine gut aussehende Badboys, keine Cheerleader in pinken Kostümen und keine wilden Partys. Das hier ist das echte Leben und das ist nunmal kein American dream!", meine laute Stimme hallt an den Wänden wieder.
Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel und stelle zufrieden fest, dass mein Gesicht wieder einigermaßen okay aussieht. Dann gehe ich an Cassidy vorbei und verlasse die Toilette.
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Sterben Muss Man Sowieso
Teen FictionSie sind wie Pech und Schwefel-einfach unzertrennlich. Noah und Liz gibt es nur im Doppelpack. Schon als Kind haben sie im Sandkasten zusammen Burgen gebaut und den Spielplatz unsicher gemacht. Aber sechzehn Jahre später funktioniert das, bisher bew...