Noah
Mein Handy gibt ein Piepsen von sich und meldet somit das Eintreffen einer neuen Nachricht. Ich schnappe mir mein I-Phone und entsperre das Display.
Kannst du bitte kommen!
Diese vier Worte, die Liz mir gesimst hat, ändern schlagartig meine Laune und treiben meinen Puls in die Höhe. Noch nie hat sie mir etwas derartiges geschrieben! Ich ziehe mir einen Hoodie über und stürme die Treppe hinunter.
Meine Hand liegt schon auf der Türklinke, als meine Mutter aus der Küche kommt:"Noah wo um alles in der Welt willst du um diese Uhrzeit noch hin?"
Fuck!
"Zu Liz.", entgegne ich gehetzt und wünsche mir nichts sehnlicher, als schon vor der Haustüre zu stehen.
"Warum?", sie stemmt die Arme in die Hüfte.
Leider weiß sie ganz genau, dass Liz Vater keinen Besuch in seinem Haus duldet.
"Sie braucht mich.", murmle ich und schlüpfe hinaus.
Ich höre das empörte Schnauben meiner Mutter, sprinte aber einfach los, die Straße entlang. Es muss mindestens nach 23 Uhr sein, in den meisten Häusern unserer Straße brennt schon gar kein Licht mehr, in manchen kann man noch das Flackern des Fernsehers sehen.
Würde mein Sportlehrer mich gerade sehen, würde er vor Freude einen Luftsprung machen. Ich glaube mit dem Sprint den ich hier gerade hinlege, könnte ich einem Olympiasieger Konkurrenz machen!
Ich bin nur noch zwei Häuser von dem der Turners entfernt.
Noch eines.
Ich bin da.
Die Auffahrt ist stockdunkel und das Tor abgeschlossen. Aber ich hatte ja sowieso nicht die Absicht an der Türe zu klingeln.
Oh Hallo Mr Turner, entschuldigen sie die Störrung, aber mir ist zu Ohren gekommen, dass es ihrer Tochter nicht gut geht. Wenn sie mich doch bitte hereinlassen würden!
Huhu, Erde an Noah! Wo bin ich nur schon wieder mit meinen Gedanken? Ich schwinge mich über den Gartenzaun und schleiche vorsichtig um das Haus herum. Das kleine bisschen grün das die Turners hier haben, wird von einem breiten, gepflasterten Weg gekreuzt der bis zur Terasse führt, auf der einige Lounchmöbel stehen. Ich weiß, dass sie den Weg für Liz Mutter brauchen, trotzdem finde ich, dass man sich ruhig eine bessere Lösung einfallen lassen könnte, als die Hälfte des Rasens unter einer Betonschicht zu vergraben!
In der Mitte des Gartens, befindet sich ein großer Springbrunnen mit einem Engel aus dessen Horn das Wasser kommt. Ich weiß noch wie beeindruckt ich früher davon war, aber heute ist der, früher einmal imposante Brunnen, nicht mehr sonderlich beeindruckend. Er ist mit Moos bewachsen, dem Engel ist ein Flügel abgebrochen und Wasser plätschert hier schon lange nicht mehr. Trotzdem hat er noch etwas magisches an sich.
Ich reiße mich von dem Anblick los und erinnere mich daran, dass Liz mich braucht. Ihr Zimmer ist das einzige in dem noch Licht brennt. Ich schaue mich nach einer Möglichkeit um, in den ersten Stock zu kommen, finde aber nichts besseres als die Regenrinne. Dann mal los, Noah!
Ich halte mich mit den Beinen an der Rinne fest und ziehe mich dann immer höher, allerdings macht das extrem viel Lärm und ich fürchte schon Liz Vater jeden Moment um die Hausecke kommen zusehen. Aber irgendwie schaffe ich es dann doch noch bis nach oben, ohne von Mr Turner erwischt zu werden und ich poche gegen die Fensterscheibe meiner Besten Freundin.
Ich höre wie sich jemand vom Bett erhebt und sich dem Fenster nähert. Kurz darauf blicke ich direkt in das verheulte Gesicht von Liz. Blitzschnell klettere ich ins Zimmer, schließe das Fenster hinter mir und mustere dann Liz besorgt.
Es gibt zwei Möglichkeiten, warum es ihr so beschissen geht. Entweder der Zustand ihrer Mutter hat sich drastisch verschlechtert, oder ihr Vater hatte mal wieder einen Wutanfall.
Liz öffnet den Mund um etwas zu sagen, bekommt aber nur noch ein:"Noah!", hervor, ehe sie wieder zu weinen beginnt und mir in die Arme fällt.
Ich versuche sie so wenig wie Möglich zu berühren und sie trotzdem zu umarmen. Und ja verdammt, das ist echt schwierig!
Ich spüre ihre Tränen auf meiner Brust und sie wird nur so geschüttelt von ihrem Heulkrampf. Vorsichtig bugsiere ich sie zu ihrem Bett und setze mich dort, Liz immer noch im Arm, hin. Ich bin mir nicht 100% sicher, aber ich glaube so schlimm wie heute war es noch nie.
Mrs Turner bekam ihre Diagnose vor vier Jahren, Liz war damals 13. Zwar mussten sich die Turners erst damit abfinden, aber es machte den Anschein, als kämen sie gut damit klar. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, aber auch mit uns. Aber ein Jahr später kam dann der erste große Schub und Liz Mutter war schlagartig nicht mehr in der Lage alleine zu laufen. Ich glaube, dass sie ab da aufgehört hat zu hoffen. Es folgten weitere Schübe und irgendwann sah man sie gar nicht mehr draußen.
Kurz nach dem 14 Geburtstag von Liz, hat dann Mr Turner angefangen zu trinken. Und kurz darauf ist es das erste Mal passiert...Seither hat sich nichts geändert, außer, dass es schlimmer wird.
"Hat er es wieder getan?", flüstere ich und streiche meiner Besten Freundin die Haare aus dem Gesicht.
Sie schluckt und nickt dann leicht mit dem Kopf. Plötzlich habe ich eine so unfassbar große Wut auf Mr Turner, dass ich am Liebsten in sein Schlafzimmer marschieren würde und ihm eine reinhauen würde, aber das geht natürlich nicht!
"Ca...Cassidy war da.", bringt Liz zwischen ihren Schluchzern hervor.
"Was?", ich bin so perplex, dass ich kurzzeitig vergesse warum ich überhaupt hier bin.
"Sie stand plötzlich in meinem Zimmer.", antwortet meine Beste Freundin.
Sie scheint sich langsam wieder zu beruhigen.
"Und dein Vater hat sie reingelassen?", frage ich ungläubig.
"Offensichtlich."
Ich atme tief durch:"Okay...du solltest die Wunden versorgen."
Panik flattert in ihrem Blick auf und sie beginnt zu zittern:"Ich kann nicht."
Okay, Planänderung.
"Lizi, lässt du mich?", will ich vorsichtig von ihr wissen. Eine weile sagt sie nichts, bis sie schließlich fast unhörbar flüstert:"Okay."
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Sterben Muss Man Sowieso
Teen FictionSie sind wie Pech und Schwefel-einfach unzertrennlich. Noah und Liz gibt es nur im Doppelpack. Schon als Kind haben sie im Sandkasten zusammen Burgen gebaut und den Spielplatz unsicher gemacht. Aber sechzehn Jahre später funktioniert das, bisher bew...