21| Erinnern und vergessen

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Noah

Entsetzt sehe ich dabei zu, wie meine Beste Freundin aus dem Cafe stürmt. Wie in Trance rufe ich ihr hinter her, dass sie warten solle, aber sie ignoriert mich. Ich spüre, dass meine Hände zu zittern beginnen, vermutlich weil ich weiß, dass Liz und mich gerade sehr viel mehr als eine Tür trennt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das alles hier nicht mehr so schnell wieder gerade biegen kann!

Dabei habe ich eigentlich überhaupt nichts falsch gemacht. Cassidy wollte sich mit mir treffen, ich bin gekommen. Eigentlich war unsere Verabredung bis gerade eben, echt gut. Sie hat mir gestanden, dass sie ursprünglich eigentlich nur, dieses Jahr in Brighton, so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Aber dann hat sie uns kennen gelernt und uns wirklich ins Herz geschlossen. Allerdings hat Cassidy das Gefühl, dass es Liz überhaupt nicht passt, dass sie mit uns abhängt. Die, zugegeben wirklich hübsche, Amerikanerin glaubt, dass meine Freundin Angst hat, dass die Dreier Freundschaft einen Keil zwischen ihr und mir treiben wird.

Cassidy hat mir angeboten, dass sie ab sofort versucht Lizi und mir aus dem Weg zu gehen. Natürlich habe ich versucht ihr das auszureden. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dies Liz'Problem mit Cassidy sein soll, aber sicher sagen kann ich es nicht.

Wie auch immer, zurück ins jetzt wo ich aufgesprungen bin und Anstalten mache meiner Besten Freundin hinterherzurennen. Aber ein fester Griff der mich am Oberarm packt, hält mich davon ab. 

Es ist Cassy, die mich eindringlich anschaut:" Du kannst ihr jetzt nicht hinterherlaufen, Noah. Warte bis sie sich wieder beruhigt hat und versuche dann ihr das alles zu erklären. Okay?"

Alles in mir schreit danach, nicht auf sie zuhören, aber sie ist ein Mädchen und weiß vermutlich besser als ich, was gerade im Kopf von Liz vorgeht. Wahrscheinlich ist es wirklich schlauer, erstmal ein bisschen abzuwarten  und dann in Ruhe mit meiner Freundin zu sprechen. 

Also bleibe ich Mitten in dem Gastraum stehen und starre nur aus dem Schaufenster auf die verlassene Straße, wo eben noch Liz entlanggelaufen ist. Mittlerweile hat es zu regnen angefangen und dicke Tropfen bilden Pfützen auf dem Kopfsteinpflaster. Mir fällt ein, dass ich gar keinen Regenschirm dabei habe, was heißt, dass ich wohl klatschnass nach Hause kommen werde. 

"Noah, geht es dir gut?", will meine Begleitung wissen und mustert mich besorgt.

Was ist das denn bitte für eine saublöde Frage? Meine Beste Freundin hat gerade eine Scheiß Wut auf mich und ich kann noch nicht einmal was daran ändern? Natürlich geht es mir ausgezeichnet! Aber es wäre nicht fair, meine Laune an Cassidy auszulassen. Sie kann schließlich nichts für all das. Oder? 

Nein, tut sie nicht!

Deshalb hole ich tief Luft, ehe ich mich zu einem schmalen Lächeln zwinge:" Passt schon."

Okay, zugegeben, es gibt durchaus überzeugendere Antworten. Passt schon, verwendet man doch immer dann, wenn es einem scheiße geht und man es nicht sagen will. Zumindest sagt Liz das immer, in solchen Momenten. Und zack, denke ich wieder an sie. Ob sie wohl schon wieder zuhause ist? Ich könnte mich selbst dafür schlagen, dass sie gerade vermutlich schon wieder wegen mir weint. Hatte ich mir nicht geschworen, dass das nie wieder vorkommen wird? Habe ich ja super geschafft, wirklich!

"Wir sollten jetzt besser gehen, die schauen schon alle so.", meint Cassy und zieht mich hinter sich her nach draußen. 

Wie erwartet, prasselt mir der Regen ins Gesicht und ich ziehe meine Jacke enger, auch wenn das kein bisschen gegen den kalten Wind hilft. Das Wetter spiegelt eins zu eins meine Stimmung wieder. Als ich neben meiner Klassenkameradin geduckt die Straße hinauflaufe, vibriert mein Smartphone in der Hosentasche. Rasch ziehe ich es hervor, in der Hoffnung es wäre eine Nachricht von Liz. Und tatsächlich werden meine Gebete erhört. Beim Lesen des Textes vergeht mir die Freude aber noch schneller wieder, als sie gekommen ist. 

Es muss eine der längsten Messages sein, die meine Beste Freundin je getippt hat und ich brauche lange, bis ich sie vollständig gelesen habe. Dann lese ich sie noch einmal und nochmal. Ich kann, oder besser will nicht glauben, was mir da von meinem Handy-Display entgegen leuchtet. Es klingt wie ein Abschiedsbrief, und gewissermaßen ist es das ja auch. Ein digitaler Abschiedsbrief, der mich zum weinen bringt. Einer, den ich so gerne zerreißen würde, so gerne einrahmen würde. Einer der mich zum heulen und dann wieder zum lachen bringt. Einer der meine Hände im einen Augenblick, vor Wut auf mich selbst zittern lässt, im anderen, weil sich ein seltsames Kribbeln in meinem Bauch ausbreitet. Einer der mich erinnern und vergessen lässt, nachdenken und verstehen. 

Hey Noah,
ich weiß nicht ob man so am Besten so eine Nachricht beginnt, Vielleicht wäre Geliebter Noah angemessener? Wie auch immer, daran soll es nicht scheitern. Du sollst gleich wissen, dass ich dir keine Vorwürfe mache, ehrlich nicht! Im Gegenteil, ich wünsche dir und Cassidy alles Glück der Welt. Ich hasse mich nur dafür, dass du mir nicht sagen konntest, dass du sie magst. Ich weiß nicht warum du nicht in der Lage gewesen bist, mir davon zu erzählen, aber was auch immer der Grund war: Es tut mir Leid! Mir tut so schrecklich viel Leid, dass ich niemals alles in eine Message packen könnte. Es tut mir Leid, dass ich dich immerzu vollgeheult habe und nie gefragt habe, wie es dir geht. Es tut mir Leid, dass ich in letzter Zeit so zickig war, es tut mir Leid, dass ich dir als wir Klein waren immer deinen Lolli geklaut habe. Aber was mir am aller meisten Leid tut ist, dass ich Schuld bin, dass du wegen mir kein normales Leben führen konntest. Du hast auf so viele Partys verzichtet, nur weil ich nicht hinwollte, du hast in all den Jahren keine richtige Beziehung geführt, aus Angst ich käme zu kurz. Du hast so viele Sachen wegen mir hinten angestellt und das werde ich mir nie verzeihen können! 

Du fragst dich jetzt sicher warum ich all das hier schreibe, anstatt es dir selber zu sagen. Aber ich habe beschlossen ab sofort auf eigenen Beinen zu stehen. Ich muss verdammt nochmal lernen, allein mit meinen Problemen klar zukommen! Ich werde nicht länger mit dir, Cassidy und den anderen abhängen. Auch wenn du es jetzt vielleicht noch nicht verstehst, es ist besser so, wirklich! Mir fällt das selber auch nicht leicht, so viel kannst du dir sicher sein. Ich will dir nicht das Herz brechen, Noah. Ich will nur, dass du lebst und ich selbstständig werde. Und das geht nur alleine.

Du bist wahrscheinlich gerade gar nicht in der Stimmung, mir einen Wunsch zu erfüllen, aber ich hätte sogar drei:

1) Ruf mich nicht an, schick mir keine Nachrichten, tauch nicht vor meiner Tür auf.

2) Sprich mit niemandem über meinen Vater, auch wenn wir jetzt nicht mehr als Klassenkameraden sind. Bitte! Behalte es für dich.

3) Lebe endlich dein Leben!

Ich liebe dich,
Liz.

Sterben Muss Man SowiesoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt