Kapitel 5

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Als Tamirat kommt, um mich zu wecken, bin ich bereits wach. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, mitten in der Nacht durch einen Albtraum aufzuwachen. Aber für so etwas kann man ja nichts.
"Wach jetzt?" , fragt Tamirat. Ich nicke. "Ja, ich bin schon wach."
Tamirat lächelt mich freundlich an. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er sehr gerne lächelt, genauso, wie Akeele. Da fällt mir ein-
"Wo ist Akeele?"
"Du verstehen gut Akeele. Er Kampf üben. Jagen."
Ich bin ein Wenig enttäuscht. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn er mir noch mehr beigebracht hätte.
"Schade.", murmle ich.
"Aber du zu Vitani, Sama und Yuven. Sie sehr nett."
"Und wo sind Vitani, Sama und Yuven?" , will ich wissen.
"Folge. Du dort auch Essen bekommen."

Mein Magen knurrt einmal laut. Tamirat lacht leise, bevor er mich zu einem Felsüberhang ganz in der Nähe führt. Dort sehe ich Vier Stammesmitglieder. Zwei Jungen und zwei Mädchen.
Eines der Mädchen zeigt auf mich, als es mich sieht und kommt auf mich zu.
"Tamirat, is dit die nuwe Leeuwyfie?" , fragt sie.
"Wie weet, Sama. Miskien sal dit kom."

Ich sehe zwischen Beiden hin und her. Ich habe nur das Wort Löwin verstanden.
"Sama." Tamirat zeigt auf das junge Mädchen.
"Ava." , Tamirat zeigt auf mich.
Ich nehme zögernd die Hand von Sama. Sie lächelt mich warm an. Ich meine, ihr schon gestern Abend über den Weg gelaufen zu sein. Sie hatte mich gestern überschwänglich begrüßt und mit mir Chuk gekrault.
Nun sehe ich auch, wie sich die anderen Drei zu uns gesellen.
Ein ziemlich großer Junge sieht mich misstrauisch an. Wahrscheinlich vertraut er mir nicht.
"Sy is nog steeds hier!" , schimpft er.
Das andere Mädchen, obwohl, wenn ich so darüber nachdenke ist es schon eher eine Frau, sieht den Jungen tadelnd an.
"Wees 'n bietjie mooier vir haar! Jy hoef nie dadelik op haar te skree nie."
Ihre Stimme klingt angsteinflößend und gebieterisch. Wie die einer Kriegerin.

"Kalmeer almal. Dit is net menslik." , versucht schließlich der andere Typ, der gerade dazu gestoßen ist die Anderen zu beruhigen. Jedenfalls klingt er so, verstehen kann ich seine Worte ja nicht.
"Ek dink Thabo is reg. Sy doen niks. Wees 'n bietjie mooier vir haar, Yuven.", meint Sama während sie Thabo zustimmend zunickt.
Ich gebe zu, das wird mir hier langsam zu viel. Wie es aussieht, streiten sich nur wegen mir.
"Sollte ich vielleicht gehen?" , frage ich an Tamirat gewant.
Dieser schüttelt den Kopf.
"Du bleiben. Yuven nicht verstehen, dass du Hilfe brauchen."
Ich linse zu dem Jungen hinüber, der anscheinend Yuven heißt. Er sieht nicht gerade glücklich aus.
Seine Arme sind vor seiner Brust verschränkt und er schaut drein wie ein bockiges Kind, dem von seinen Eltern irgendetwas verboten wurde. Tamirat sieht ihn streng an, bevor er sich wieder beschweren kann.
Yuven schnaubt wütend und geht.
Sama sieht mich entschuldigend an. Dann zieht sie mich hinter sich her. Die anderen folgen.

Am Ende des Tages hatte ich jede Menge Spaß mit Sama, Thabo und Vitani. Ich habe gelernt, dass Vitani eine mutige und tapfere Person ist, während Sama und Thabo eher etwas ruhiger und schüchterner sind.
Akeele habe ich den ganzen Tag leider nicht gesehen, aber ich bin davon überzeugt, dass ich ihn heute Abend noch sehen werde. Tamirat hat nämlich eine Stammessitzung oder so was einberufen.
Als er es uns erzählte, sah er ziemlich besorgt und ernst aus.

Ich setze mich zu den Stammesmitgliedern, die sich vor einem großen Felsen niedergelassen haben. Sie sehen alle verdammt ernst drein. Selbst Sama, die ich bis her nur fröhlich und optimistisch erlebt habe, starrt ernst auf den Felsen. Ich halte nach Tamirat Ausschau.
Er ist der Einzige hier, der meine Sprache spricht und mir erklären kann, was hier los ist.
Plötzlich ertönt das Geräusch eines Gongs.
Ich sehe auf.
Dort kommt die Frau, die mir gestern den Schleim zu trinken gegeben hat, der übrigens eine überraschend gute Wirkung auf mein Bein hatte.
Sie trägt ein grünes Gewand und den knochigen Schädel eines Löwen auf dem Kopf.
Sie hebt einen Arm.

Ich schaue kurz nach links und rechts, um zu sehen, wie die Anderen reagieren. Sie blicken alle ehrfürchtig zu ihr auf.
Dann erhebt sie die Stimme.

"Die sterre het my gisteraand 'n boodskap gegee wat my diep geruk het. Ek het vanoggend met Tamirat gepraat om hom daarvan te vertel. As ouderling weet hy baie van die leeu in die hemel.Die sterre, die heilige leeu, sou my vertel dat ons 'n verraaier in ons geledere het wat ons binnekort aan die jagluiperdstam sal verraai."
Es ist still. Ich kann die Anspannung des Stammes förmlich spüren.
Plötzlich sehe ich, wie Yuven seinen Kopf zu mir wendet und mich anstarrt. So viel Hass und so viel Misstrauen liegt in diesem Blick.
Ein weiterer Kopf wendet sich mir zu.
Was hat Tarji, die Frau ihnen bloß erzählt?
"Ons moes hulle nooit in die kamp toegelaat het nie!" , ruft jemand. Nun merke ich, dass jedes einzelne Augenpaar auf mir liegt.
Unbehagen steigt in mir auf.
"Sy is 'n buitestaander! Wat het jy verwag?"
"Niks het nog gebeur nie! Maak haar dood!"
"Maak haar dood! Sy is 'n vloek!"
Ich mag mir gar nicht ausmahlen, was der Stamm da sagt.
Aber ich bin mir sicher, dass es gewiss keine Einladung zum Essen ist.
Auf einmal erhebt sich ein junges Mädchen.
Sie sieht mich hasserfüllt an.
"Kom ons doen dit nou. Kom ons voer dit vir die voëls!" , schreit sie.

Eine Hand legt sich auf meine linke Schulter. Erschrocken wirble ich herum.
Die dunklen Augen Tamirats blicken mich an.
"Mitkommen" , befielt er, wobei seine Stimme keinen Wiederspruch duldet.
Zittrig erhebe ich mich.
Meine Beine fühlen sich dabei an wie Wackelpudding.
Tamirat zieht mich mit sich.
Ich werde dabei von Frauen und Männern angestarrt.
"Warum sehen mich alle so an? Was habe ich falsch gemacht?", wispere ich. Doch vermutlich haben mich trotzdem alle gehört, selbst wenn ich kaum glaube, dass mich irgendwer außer Tamirat verstanden hat.

Ich fühle mich verwundbar. Verletzlich. Die blicke des Stammes durchbohren mich förmlich. Es sind feindselige Blicke, die man nur seinen Feinden zuwirft.
Tamirat führt mich zu einer dunklen Sandsteinhöhle. Tarji steht davor. Den Löwenschädel trägt sie immer noch auf ihrem Kopf. Tamirat nickt ihr ernst zu.
"Folge. Gleich du alles erfahren werden."
Ein bisschen ängstlich bin ich schon, als ich Tamirat und Tarji in die dunkle Höhle folge.

The new LionessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt