Kapitel 1

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Ich dränge mich durch die Menge aus schwitzenden Leibern und versuche, nicht zu viele Passagiere anzurempeln.
Das gelingt mir mehr oder weniger gut, bis mich eine rosa Taschenratte anspringt und wie verrückt anfängt zu kläffen.

Na toll. Warum muss sowas immer immer mir passieren? Der Schoßhund springt an mir hoch und zerfetzt meinen nagelneuen Schal, den ich als Abschiedsgeschenk von meinem Bruder Micky bekommen habe. Da fragt man sich auch, wie viele Gehirnzellen der Typ hat. Ich meine, einen Schal in Afrika? Im Sommer?
Aber wie sagt man so schön: Nur der gute Wille zählt.
Die alte Dame hatte das anscheinend nicht bedacht, als ich ihrem süßen kleinen Schnuffi-Wuffi einen gezielten Tritt verpasse und weiterlaufe.
"Bleib stehen, du freche Göre! Was fällt dir ein, meinen Hund zu treten! Ich rufe gleich die Polizei!", keift, augenscheinlich, das Frauchen des Hundes.

Kurz muss ich nachdenken, was denn mein guter Wille bei dem ganzen war. Wenn es zählt, dass ich mich retten wollte und meinen armen Schal davor bewahren wollte, von dem pinken Beast zerfetzt zu werden, dann sollte die Polizei mir nichts anhaben können.
"Ruf ruhig die Polizei, gleich bin ich sowieso schon längst in Afrika!", rufe ich ihr noch zu, bevor ich mich auf die Suche nach meinem Terminal mache.

Eine große Schlange steht am Eingang zum Flugzeug und wartet darauf, endlich in das Flugzeug zu gelangen und nach Afrika geflogen zu werden. Ich stelle mich hinten an und beginne zu warten.
"Papiere bitte.", bittet mich eine äußerst gelangweilt aussehende Dame in Uniform um meinen Ausweis und meinen Reisepass. Obwohl bitten definitiv das falsche Wort dafür ist.
Eigentlich weiß ich, dass meine kleine Bemerkung sicher nicht gut ankommen wird, aber ich kann sie mir einfach nicht verkneifen.
"Das Zauberwort?", frage ich mit zuckersüßer Stimme. Dafür ernte ich auch gleich einen Wenn-Blicke-Töten-Könnten-Blick von der Uniformierten.
"Bitte." , meint sie darauf kühl. Ich lege ihr Personalausweis und den anderen Schnick-Schnack auf den Tisch und lächle.
"Und, wie ist es so, hier zu arbeiten? Sicher total nervig. Ich meine, wenn einen ständig irgendwelche Passagiere anquatschen. Ich würde da total genervt sein. Echt super, wie Sie das machen!", versuche ich ein Wenig Smalltalk zu halten, während die Frau meine Papiere prüft.
Sie wirft mir wieder einen ihrer überaus tödlichen Blicke zu, schweigt aber.
"Sie sind nicht besonders gesprächig, oder? Kann ich auch verstehen. Würden Sie sich vielleicht ein Stück nach links lehnen, damit ich Ihr Namensschild erkennen kann? Dann können wir uns endlich richtig mit Namen ansprechen! Ich meine - "

Ein kleiner Junge, so um die neun Jahre alt, beginnt zu kichern.

"Ich meine, dass ist doch so umständlich. Meinen Namen kennen Sie ja schon, er steht auf meinem Ausweis. Aber falls sie grad Ihre Lesebrille nicht aufhaben, ich bin Ava Green."
Die Frau, deren Name ich komischerweise immer noch nicht kenne, gibt mir mein Zeug zurück.
"Gute Einreise, Miss Green.", ihre Stimme bleibt weiterhin kühl und gelangweilt. Aber immerhin.
"Schönes Zuhause bleiben, Miss ... Äh"
"Gehen Sie weiter, ich habe noch viel zu tun. Etwas überrumpelt gehe ich an der Frau vorbei. Nun, ich fand sie nicht wirklich höflich.
An Bord werde ich von einer netten Stewardess empfangen, die mir den Weg zu meinem Platz weist. Sie ist im Vergleich zu der genervten Dame, wirklich nett.

Ich hocke mich an meinen Fensterplatz und beobachte zwei Geschwister dabei, wie sie sich um einen Fensterplatz streiten. Gut, dass ich alleine zu meiner Tante fliege, ohne Micky. Der hat den heiß begehrten Fensterplatz zwar nur selten bekommen, einfach, weil ich den Vorteil des jüngeren Geschwisterkindes habe und daher ganz selten mal bevorzugt werde. Aber auch wirklich nur ganz selten, eigentlich schon fast nie.

"Mama! Jack will mich nicht da sitzen lassen! Sag ihm, ich will dahin!" , empört sich das kleine Mädchen bei ihrer Mutter.
Plötzlich fühle ich mich in meine Vergangenheit zurück versetzt.

"Mama! Micky ist so gemein! Schau, er blockiert MEINEN Platz! Dabei sitze ich doch immer am Fenster!"
"Mama, Ava darf immer alles! Wieso darf ich nicht mal am Fenster sitzen? Das ist doch nicht Fair!"

Ich beginne meinen Bruder zu vermissen und eine Träne stielt sich aus meinem Auge heraus.
Ich werde ihn sehr lange nicht sehen. Seit unsere Mutter bei dem Unfall starb, ist er nicht mehr der Selbe. Er ist nicht mehr so glücklich, wie früher. Er ist viel ruhiger geworden. Während ich versuche, meine Trauer zu verstecken, lässt er ihr freien Lauf. Aber für mich ist das Unterdrücken und das Verdrängen der beste Weg, das Geschehene zu verarbeiten.
Ich wische mir die Träne mit meinem Ärmel weg und versuche mich auf etwas Anderes zu konzentrieren.

Das Flugzeug setzt sich in Bewegung, während der Pilot die Sicherheitsanweisungen durchgibt. Das Übliche. Nicht rauchen, Schwimmweste unterm Sitz, bla bla bla.
Als sich das Flugzeug in die Lüfte erhebt, bin ich schon halbwegs auf andere Gedanken gekommen. Ich versuche mich irgendwie auf das Leben bei meiner Tante zu freuen. Ich versuche mich auf die Tiere dort zu freuen. Auf das Reservat. Auf die Löwen, Hyänen und die Elefanten.
Ich lehne meinen Kopf gegen das Fenster und schließe meine Augen. Ich habe einen langen Flug vor mir. Wenn ich jetzt nicht schlafe, werde ich bei meiner Ankunft um 13:00 verdammt müde sein.
Doch mir will das Einschlafen nicht gelingen. Immer wieder ruckelt es, und nach einer Zeit bitten die Stewardess darum, dass sich doch bitte alle hinsetzen, da wir unerwartet Turbulenzen bekommen haben.
Ich muss echt sagen, das ist sicher der allerbeste Tag meines Lebens. Ich meine, erst von einem kleinem Köter angefallen werden und dann auch noch Turbulenzen.
Besser geht es doch gar nicht.



Hey! Freut mich, wenn ihr meine Geschichte angeklickt habt! Wie findet ihr den Anfang? Ja, es ist noch nicht viel passiert, was sich aber noch ändern wird. Ich habe vor, jede Woche am Freitag oder Samstag ein Kapitel hochzuladen.

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