Kapitel 8

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"Ich habe eine noch eine Vermutung, warum sie unsere Sprache sprechen könnte."
Nachdem Shaona mich zu Tamirat gebracht hat und ich anmerkte, dass ich jedes Wort verstanden habe, brach eine hitzige Diskussion zwischen den Beiden aus. 
Jetzt streiten sie immer noch darüber, warum ich ihre Sprache jetzt plötzlich beherrsche. 
Da war einmal die These, ich sei sprachbegabt und könne neue Sprachen innerhalb von wenigen Stunden lernen. Diese Aussage konnte eigentlich nur falsch sein. Wenn ich so sprachbegabt wäre, dann hätte ich jetzt keine Probleme mit Französisch. 
Da kam mir die Idee, der Sternenlöwe habe mich mit der Sprache gesegnet (wie auch immer er das geschafft haben mag) doch wahrscheinlicher vor. Aber ich hatte ja streng genommen keine Ahnung von den ganzen Mondseelen und den Stämmen. Das, was ich musste, hätte ich sicher auch im Internet finden können. 
"Können wir uns einfach darauf einigen, dass wir keine Ahnung haben, wie ich die Sprache gelernt habe? Streiten bringt uns doch jetzt auch nichts." , fahre ich schließlich dazwischen. Und ich hatte ja auch Recht. Was bringt es uns, wenn wir wild Thesen über dieses und jenes aufstellen, ohne auch nur eine von ihnen beweisen zu können?
Genau. Nichts.
"Sie hat Recht.", gibt Shaona nun endlich nach. Sie seufzt. "Wir sollten ihr lieber ein paar Verhaltensweisen lehren. So kann sie unter keinen Umständen unter die anderen. Jetzt hat sie nicht mehr die Entschuldigung, dass sie die Sprache nicht spricht."
Tamirat nickt zustimmend. 
"Komm, Ava." , beginnt Tamirat, "Ich bringe dich zu Sade und Pero." 
Sade und Pero schnitzen gerade an zwei Ästen herum, als Tamirat und ich sie erreichen. 
"Tamirat, was gibt es?" , fragt Pero. Jedenfalls glaube ich, dass es Pero ist, der dies fragt. Sade ist ja wohl kaum ein Jungenname. 
"Seid gegrüßt, Pero und Sade. Ich bin gekommen, um euch Ava vorzustellen." Tamirat deutet auf mich. "Sie hat unsere Sprache auf wundersame Art gelernt. Ich bitte euch, ihr unsere Bräuche und Sitten zu lehren, da sie wohl voraussichtlich noch länger unter uns weilen wird."
Sade nickt. "Klar. Aber sag, Tamirat, ist das nicht die prophezeite Verräterin?" Meine Mine verfinstert sich. War ja klar, dass ich nur nach der Prophezeiung beurteilt werde. "Ich habe definitiv nicht die Absicht auch nur einen von euch zu verraten." , ergreife ich das Wort. "Nicht mal Yuven, der meiner Meinung nach nicht der freundlichste aus dem Stamm ist." Pero lacht. Ihn scheint meine Aussage zu amüsieren. "Das kannst du laut sagen. Normalerweise ist er immer ziemlich still und sagt nicht viel. Aber du darfst es ihm nicht übel nehmen. Er ist nun mal so."
Ich nicke Pero zu. Ihn könnte ich mögen. Auch Sade lächelt mich nun herzlich an. "Ich wusste, es war kein Fehler von mir, dich vor den Krokodilen zu Retten." 
Wie? Ach ja, da war doch was. Meinte Tamirat nicht, Sade habe mich gerettet? Oder irre ich mich da? 
Die sicher schon 30-jährige Sade lächelt. "Sag bloß, das weißt du noch nicht!"
Ich schüttle den Kopf. "Doch, Tamirat hat es erwähnt. Aber ich muss es aufgrund der letzten Ereignisse vergessen haben."
Pero lacht. 
"Das kann ich mir gut vorstellen. Ist ja auch ganz schön viel passiert, in den letzten Tagen."
Tamirat legt mir seine faltige Hand auf die Schulter. "Ich lasse euch dann mal alleine." , meint er und geht. 
"Ich verstehe gar nicht, wieso Tamirat will, dass du unsere Verhaltensweisen lernst. Du verhälst dich doch schon ganz anständig.", sagt Pero, nachdem Tamirat hinter einem Felsen verschwand.



"Guten Abend. Heute haben wir aufgrund der Vorkommnisse wieder eine Versammlung einberufen."
Ich sitze neben Sade und Pero, der mich mit lauter Informationen über die anderen Stammesmitglieder die Ohren voll labert. "Das da drüben ist Thabo. Den kennst du vielleicht schon. Eigentlich ist er eher ruhiger, aber er steht voll auf Sama." Ich nicke, obwohl ich mich gerade eher auf Tamirat und Tarji konzentriere.
"Das Mädchen, welches Sade in der Nähe eines Krokodilteichs fand, war beim Sternenlöwen und wurde von ihm als würdig befunden." Ich höre aufgebrachtes Gemurmel. Denen schmeckt es wohl nicht, dass ich jetzt ihre Sprache spreche. 
"Der Löwe hat noch nie jemand Außenstehendem als würdig befunden. Warum sollte es jetzt so sein? Vielleicht hat sie ja gelogen, was sich beim Sternenstein abgespielt hat!" , rief Yuven. 
Ich schnaube. Der raubt mir noch den letzten Nerv. Immer dieses Misstrauische ... 
"Der Löwe schenkte ihr die Fähigkeit, unsere Sprache zu sprechen und gab ihr eine Katzenkralle." 
Wie? Das mit der Sprache ist mir neu. Aber eigentlich ist es ja nur logisch. Das mit der Kralle ist mir jetzt klar.
Durch den so genannten Unterricht bei Pero und Sade habe ich gelernt, dass diese Krallenkette ein Zeichen des Respekts und des Vertrauens ist, welche für Gewöhnlich nur mächtige Stammesoberhäupter oder Propheten bekommen. Ich bin aber weder das Eine, noch das Andere. Warum ich also diese Kette bekommen habe, ist sowohl mir, als auch Tamirat und Tarji schleierhaft. 
"Ava gilt von nun an als vollwertiges Mitglied des Löwenstammes." , durchbricht Tamirat die angespannte Stille, die sich nach seinen letzten Worten gebildet hatte. Ich sehe erstaunt zu ihm auf. Darf er das überhaupt? Ich dachte immer, Naledi sei das Oberhaupt des Stammes. Oder irre ich mich da? 
"Glückwunsch, Ava!" Pero legt mir anerkennend eine seiner großen Hände auf die Schulter. "Nun bist du eine Löwin." , gibt auch Sade ihren Senf dazu. Wie können sich die Beiden nicht fragen, wie es dazu zu Stande kam? Man wird doch nicht von heute auf morgen einfach zu einer Löwin! 
Ich blicke zu Naledi, in der Hoffnung auf Antworten. Er nickt mir zu. Hatte er das entschieden? Muss er ja wohl. Ich darf nicht vergessen, mich später bei ihm zu bedanken. 
Doch keines der Anderen Stammesmitglieder beglückwünscht mich zu meinem Glück. Ich werde von allen Seiten angestarrt. 
Ich werde wohl doch nicht mit offenen Armen empfangen. Nicht, dass ich das erwartet hätte, aber ein Bisschen mehr Begeisterung wäre schon angebracht. 

Dann fängt plötzlich Einer an zu klatschen. Es ist Sama. Dann setzt Thabo mit ein. Dann Akeele. 
Und dann klatschen auf einmal alle. Selbst Yuven, der aber noch etwas skeptisch wirkt. 
"Wow. So viele. Die haben sich aber ganz schön schnell damit abgefunden, dass wir jetzt ein weiteres Maul zu füttern haben, nicht Sade?" , ich gebe Pero einen Stoß zwischen die Rippen. "Hey, wag es nicht mich zu beleidigen!" Ich versuche so gut es geht, mein Kichern zu unterdrücken, doch meine Mundwinkel wollen immer wieder nach oben. "Und was wenn nicht, kleine Grinsekatze?" 
 Nun ist es vollends um mich geschehen und ich gackere los. Auch Pero und Sade fallen mit ein. 

Es ist das erste Mal, seit meine Mutter bei dem Unfall starb, dass ich wieder wirklich glücklich bin. Dass ich wieder völlig sorglos lache. Dass ich mich endlich wieder richtig zuhause fühle. 

The new LionessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt