Ich sitze auf einem Stein und flechte. Die Sonnenstrahlen spiegeln sich im Fluss neben mir. Es war eine lange Nacht. Immer wieder holten mich in meinen Träumen die Erinnerungen an meinen Bruder ein. Immer wieder sah ich ihn sterben. Aber das war nur ein Traum. Ich versuche mich zu beruhigen. Ich atme tief ein. Ich beende den Korb, den ich soeben geflochten habe. Gleich würde ich am besten mit einem Kleidungsstück anfangen. Die sind schwieriger und brauchen länger, da sie aus einzelnen Schilffasern bestehen. Ich stelle den Korb neben mir ab. Bevor ich mit dem nächsten Projekt beginne, möchte ich noch kurz etwas trinken. Meine Kehle ist schon ganz trocken.
Die Sonne steht hoch, als sich mir ein Stammesmitglied nähert. Es ist Nishan, der älteste Sohn Vitanis. "Hast du Akeele gesehen?" Er wirkt besorgt. Ich schüttle den Kopf. "Nein. Aber er wollte heute mit Zula jagen gehen."
Nishan nickt. "Ja, aber Zula kam gerade zurück und meinte, Akeele sei schon vorgegangen." Akeele habe ich nur heute Morgen gesehen, als er sich mit Zula auf Jagt begab. Hoffentlich ist ihm nichts passiert. "Was, wenn er sich verspätet hat? Das kann doch auch sein?"
Nishan verneint. "Du kennst ihn doch." Das stimmt. Eigentlich ist er immer sehr zuverlässig. Ich stehe auf, lasse meine Arbeit liegen. "Was machen wir jetzt?"
"Yuven und Thabo sind losgegangen, um ihn zu suchen. Du musst auch helfen. Geh mit Sade. Sie steht dort drüben." Nishan dreht sich um und läuft zu Sama. Sie hebt überrascht den Kopf, als er sie anspricht. Ich wende mich ab und eile zu Sade. Sie steht schon bereit da mit einem Speer in der Hand. "Nur zur Sicherheit." versichert sie mir.Alle stehen am Felsen. Keiner hatte Akeele gefunden. Die Sorge ist wie ein tiefes schwarzes Loch, das alle Hoffnungen aus meinem Gehirn zu verschlingen droht.
Tamirats Blick wandert über die Anwesenden. Er mustert die besorgten Gesichter mit ernster Miene.Wird er den Sternenlöwen um Rat fragen? Hat er es bereits getan?
"Hört mich an!" Seine Stimme durchbricht die angespannte Stille der Nacht. "Akeele ist weiterhin vermisst. Wir haben ihn nicht gefunden. Doch wir dürfen nicht aufgeben! Wir werden diese Nacht wieder einen Suchtrupp losschicken, der Akeele weiter suchen wird. Doch ich erhoffe mir nicht viel von dem Ergebnis. Jeder von euch kennt Akeele!"
Ich höre zustimmendes Gemurmel und muss nicken. Die anderen Mitglieder des Löwenstammes kannten Akeele sogar noch viel besser, als ich.
"Er ist einer der Zuverlässigsten unter uns! Irgendetwas ist passiert und wir müssen herausfinden, was. Für den Stamm!"
Die Versammlung ist beendet. Ein paar Meter weiter suchen Naledi und Tamirat nach Freiwilligen für den Suchtrupp. "Ich komme auch mit. Akeele ist mein Freund." , sage ich, als ich die kleine Gruppe erreiche.
Naledi nickt mir zu. "Gut. Geh mit Yuven. Er kann deine mangelnden Fähigkeiten ausgleichen."
Ich weiß, das war nicht als Beleidigung gemeint. Es ist einfach eine Tatsache.
Ich folge Yuven, dem grimmigen Löwen, bis ans Ende des Lagers. Er scheint zu wissen, wo wir suchen sollten. "Du bist dumm, dass du dich freiwillig zum Suchen gemeldet hast." Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. "Wieso das denn? Ich will Akeele doch genauso finden, wie ihr auch. Und Hilfe kann man doch immer gebrauchen."
Yuven schüttelt den Kopf. "Du bist viel zu unerfahren. Ich wette, du wirst bei dem kleinsten Geräusch an einen Baum springen und dir vor Angst in die Hosen machen."
Empört werfe ich Yuven einen Blick zu. Er hat zwar wahrscheinlich Recht, da ich mich seit dem Vorfall mit den Polizisten und meinem Bruder nicht mehr ganz so wohl in der Dunkelheit fühle, aber das ist einfach unverschähmt!
"Pah! Wenn du denkst!"Schweigend gehen wir durch die in Finsternis getauchte Savanne. Yuven ist einigen von Akeeles Spuren gefolgt, die leider abrupt an einem breiten Fluss endeten. Jetzt wandern wir auf der anderen Seite des Flusses weiter, nass. Ich hatte zwar Angst, dass ich plötzlich von einem Krokodil in die Tiefe gezogen werde, aber Yuven konnte mich beruhigen, dass Krokodile in diesem Fluss selten waren.
Plötzlich höre ich ein Geräusch. Wie ein Rasseln. Ich erstarre. Oft habe ich in Filmen schon so ein Geräusch gehört. Meist in Westernfilmen. Ich blicke zu meinem Begleiter. Ich hoffe inständig, dass er die Situation lösen kann. Ich habe nämlich keine Lust, von einer Schlange gebissen zu werden.
Ich kann Yuvens Gesicht kaum in der Dunkelheit erkennen.
Seine schokoladenfarbene Haut macht es mir auch nicht leichter, seine Gesichtszüge zu deuten. "Bleib da. Dort, im Gebüsch ist eine Klapperschlange. Siehst du ihr sandfarbenes Schuppenkleid?"
Nein. Das tue ich nicht. "Wie kannst du die Schlange sehen? Es ist doch Nacht."
"Und deshalb soll ich nichts sehen können? Du bist echt noch viel komischer, als ich gedacht hatte. Und jetzt sei leise und folge mir."
Wir umrunden die Schlange mit weitem Bogen. Yuven führt uns weiter durch die Savanne.
Es herrscht wieder Schweigen zwischen uns. Bedacht auf jedes Geräusch, das eine Schlange oder irgendein anderes gefährliches Tier verraten könnte, versuche ich möglichst leise aufzutreten.
Meine Gedanken huschen wieder zu Akeele.
Er sitzt ordentlich in der Klemme, das spüre ich. Vielleicht wurde er von einer Raubkatze angefallen?
Oder von einer Schlange gebissen?
Vielleicht hat ihn auch ein Krokodil gefressen? Ich schüttle den Kopf.
Nein. Das ist alles unmöglich. Akeele ist doch nicht so unerfahren, wie ich. Er ist schon viel länger ein Schüler von Vitani.
Plötzlich bleibt Yuven stehen.
"Bleib wo du bist!" , zischt er. "Und sei gefälligst leise!"
Ich bleibe an Ort und Stelle, während Yuven angestrengt lauscht.
Hat er etwas gehört? Ist es wieder eine Schlange?Da tritt Jemand hinter einem Baum hervor. Ihre Haut ist dunkel, wie die von Yuven. Ihre hellen Augen jagen mir dabei etwas Angst ein.
Solche Augen . . . Gruselig."Leg deine Waffe nieder, Löwe!" Yuven fixiert das Mädchen argwöhnisch, doch als sie drohend mit ihrer Peitsche fuchtelt, lässt er seine zwei Messer auf den Boden fallen. Ich habe unbemerkt einige Schritte zurück gemacht und stolpere nun über eine Wurzel.
Mist!
"Was willst du, Mädchen vom Stamm des Sternengepards?"
Scharfe Dornen bohren sich in meinen Rücken, meine Beine und meine Hände."Nun, ich möchte euch mitteilen, dass euer kleiner Freund, der nervige kleine Junge, ein Gefangener meines Stammes ist. Er verriet den Standpunkt eures Lagers."
"Er ist also der Verräter, vor dem der Sternenlöwe uns warnen wollte."
Er spricht die Worte kalt aus. Gleichgültig.
Ich starre Yuven an. "Er hat es bestimmt nicht freiwillig getan!" , verteidige ich meinen Freund. "Er wurde bestimmt unter Druck gesetzt! Akeele würde uns niemals verraten!"
Ich hole einmal tief Luft und rapple mich auf.
"Selbst wenn. Mitglied eines Stammes zu sein, bedeutet, ihn über sein eigenes Wohl zu stellen. Ihn bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen. Der Junge ist schwach."
Wut macht sich in mir breit. Ich schnaube.
Da werde ich von dem Mädchen aus dem Geparden-Stamm unterbrochen.
"Sag mir, Löwe. Wer ist die Fremde, die Bleiche, die unsere Sprache spricht?"
Meine Augen mustern sie erneut.
Wieso hat sie uns noch nicht angegriffen?
"Das tut nichts zur Sache. und jetzt, Gepard, würde ich an deiner Stelle schnell abhauen. Denn jetzt, wo du alles ausgeplaudert hast, wird dich der Zorn der Löwen treffen!"
Yuven hebt in einer blitzschnellen Bewegung seine Messer auf und greift die Fremde an. Diese duckt sich, springt anschließend hoch, auf den Ast eines breiten Baumes und verschwindet dann in der Nacht.
"Verdammt!" Yuven flucht lautstark. Er dreht sich zu mir um. Seine Augen blitzen. Wie ein Dämon steht er mit seinen langen dunklen Klingen vor dem Mond. Seine vor Wut verzerrte Fratze macht den Anblick nicht gerade besser.
Dies ist einer der Momente, in denen ich wirklich riesige Angst vor dem Krieger des Löwen-Stammes habe.
"Wir gehen zurück zum Lager. Wir müssen den Stamm warnen, alles vorbereiten, bevor der Feind angreift."
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The new Lioness
AventuraAva Green landet bei einem Flugzeugabsturz mitten in der Wildnis Afrikas. Schwer verletzt wird sie vom Löwen-Stamm, eine Gruppe aus einheimischen Afrikanern gefunden und gesund gepflegt. Sie wird quasi ein Mitglied des Stammes. Doch nicht jeder ist...