Tamirat führt mich durch die Finsternis. Er findet sicher den Weg durch die Dunkelheit, sodass ich nur ein oder zwei mal gegen eine raue Wand laufe. Plötzlich biegen wir um eine Ecke. Ich muss meine Augen aufgrund des hellen Lichts schließen, dass von der Mitte des Raumes ausgeht. Tamirat lässt meine Hand los und entfernt sich von mir.
Er wartet, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, bevor er seine Stimme erhebt.
Nach einigen Sekunden kann ich meine Augen wieder mehr öffnen. Ich muss meinen Mund vor erstaunen aufreißen.
Ein riesiger weißer Kristall befindet sich in der Mitte des kreisrunden Raumes. Er wird von gleißend hellem Mondlicht angestrahlt und verteilt das Licht in der Höhle.
"Die Sterklip" , bemerkt Tamirat, "Sternenstein"Ich betrachte den Sternenstein interessiert. Doch dann sehe ich Tamirat fragend an. Warum er mich wohl hier her geführt hat? Hat es vielleicht etwas mit der Ratssitzung zu tun? Die Stammesmitglieder haben mich ja ziemlich seltsam angeschaut. "Du wollen wissen?" , fragt der alte Mann.
Ich nicke. Ich brauche Antworten. In den letzten paar Tagen war so viel passiert, sodass ich schon begonnen habe, an meinem Verstand zu zweifeln.
"Hinlegen. Zum Stein. Dann werden du erfahren, was sein, was war, was sein werden."
Ich gehe zum Stein und lehne mich gegen ihn. Dann lasse ich mich auf dem Boden nieder.
Erschöpft sitze ich da. Tarji kommt auf mich zu, legt eine Hand auf den Kristall und beginnt zu murmeln. Sie verfällt in eine merkwürdige Art Singsang. Der Kristall scheint heller zu leuchten, als zuvor. Ich werde müde.Mein Kopf sinkt auf meine Brust.
Ich werde von Müdigkeit ergriffen. Die Sorgen lassen von mir ab. Ich falle. Falle in die Dunkelheit.
"Ava Green. Ava Green Ava Green." Ich höre eine Stimme. Sie klingt tief und rau. Sie ruft mich. "Ava Green."
Ich stehe auf einer Flachlandfläche. Der volle Mond und die funkelnden Sterne leuchten hell über mir.
Eine kühle Brise weht mir um die Beine und ich muss leicht frösteln.
Ein sternenheller Schemen hebt sich vom Nachthimmel ab und kommt auf mich zu. Er wird immer größer, sodass ich nach einer Zeit die Umrisse eines riesigen Löwen ausmachen kann. Seine Sternenmähne weht sanft um seinen Kopf herum.
Ich weiche ein Stückchen zurück. Dieser Löwe ist mir eindeutig nicht geheuer. Chuk mag ja ganz niedlich sein, aber dieser Löwe ist da schon ein anderes Kaliber."Fürchte dich nicht vor mir." , grollt seine Stimme. "Du musst noch einige sehr wichtige Dinge erfahren."
Sprachlos starre ich das Sternentier an. Mein Mund ist weit geöffnet und ich zwinge mich, ihn wieder zu schließen.
Das ist mir gerade echt zu viel. Wenn ich doch jetzt nur aufwachen könnte, in meinem Bett zuhause. Oder besser noch, in Afrika bei meiner Tante.
Wenn dieses verdammte doofe Flugzeug doch bloß nicht abgestürzt worden wäre.
"Dein Flugzeug stürzte ab." , beginnt der Löwe immer näher auf mich zukommend.
"Ja, durch unerwartete Turbulenzen." , erkläre ich. Nun habe ich doch geschafft, ein paar Worte zu sagen. Doch meine Stimme klingt schwach und zittrig.
"Diese Turbulenzen waren nicht ohne Grund unerwartet. Durch einen Wink des graziösen Geparden und der getupften Hyäne kam ein Sturm auf, der dein Flugzeug zum abstürzen brachte."
Der graziöse Gepard? Die getupfte Hyäne? Ich bin echt noch verrückter, als ich gedacht hatte.
Der Löwe scheint meine Gedanken gelesen zu haben. "Du hältst dich für verrückt." , stellt er fest.
"Du träumst nicht, soviel kann ich sagen. Jedenfalls nicht richtig."Es dauert eine Weile, bis ich meine Stimme wiederfinde.
"Warum haben die das gemacht?" , frage ich.
"Wegen dir. Sie sahen eine Bedrohung in dir. Sie sahen, dass du dazu fähig bist, ihren Angriff zu überleben."
Ich? Eine Bedrohung? Was für einen Angriff? Hää?"Gepard und Hyäne haben ein Bündnis geschlossen. Sie wollen den Löwenstamm von seinem Thron reißen. Sie wollen die stärksten Stämme in der Savanne sein."
Heißt das, es gibt noch weitere Stämme?
"Ja. Gibt es."
Ungläubig starre ich den großen Löwen an. Ich hatte diese Frage nicht laut ausgesprochen. Ich hatte sie nur gedacht. Der Löwe verzieht sein Gesicht zu einem Lächeln, wobei er einen Großteil seiner scharfen Zähne zeigt.
"Ja, dass kann ich. Aber nun lass uns zu unserem Thema zurück kehren. Ja, es gibt noch weitere Stämme. Und noch weitere Mondseelen.
Mondseelen sind so was wie ich. Tiere, außergewöhnlich groß Sternengleich. Wir werden auch die Hüter der Sterne genannt. Für gewöhnlich arbeiten wir zusammen, oder bleiben für uns. Doch ein Stamm darf niemals einen anderen Angreifen. Das gilt als Verrat und wird hart bestraft. Jedoch haben nicht nur die Beiden Stämme Verrat begannen, sondern auch die dazugehörigen Mondseelen, indem sie dein Flugzeug haben abstürzen lassen, in der Hoffnung du würdest dabei sterben."Ich brauche eine Weile, um das gesagte zu verdauen. Verrat also.
"Was ist jetzt meine Aufgabe?" , frage ich. Der Löwe sieht mich nachdenklich an. "Das musst du selbst herausfinden."
Darauf habe ich echt den ganzen Abend lang gewartet! Eigentlich hatte ich gehofft, dass nur die Prophezeier in irgendwelchen Geschichten in Rätseln sprechen. Aber dieser Löwe muss sich dem natürlich anschließen!
Ich seufze.
"Kannst du mir dann wenigsten sagen, warum mich alle so komisch angeschaut haben? Ist es wegen der Prophezeiung?"
Der Löwe lächelt. "Nun, sie dachten anscheinend, dass du dieser Verräter bist. Aber das kannst du ihnen ja morgen selber sagen."
Und wie soll ich das bitteschön machen, du dämlicher Fellball? Wenn sie mich nicht gleich umbringen, können sie mich ohnehin nicht verstehen!
"Na na, nicht gleich so beleidigend!"
Mist. Das mit dem Gedankenlesen hatte ich ja ganz vergessen. "Also, ich wünsche dir noch viel Glück!"
Der Sternenlöwe dreht sich um und steigt wieder in den Himmel auf. "Warte! Wie soll ich es ihnen den sagen, was du mir gesagt hast, wenn ich nicht afrikanisch spreche? Soll ich es Tamirat sagen?"
Ich bekomme keine Antwort. Ich weiß nicht, ob die Mondseele mich gehört hat, oder es einfach nicht für richtig hält, mir zu antworten. Wenn letzteres der Fall sein sollte, weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
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The new Lioness
AdventureAva Green landet bei einem Flugzeugabsturz mitten in der Wildnis Afrikas. Schwer verletzt wird sie vom Löwen-Stamm, eine Gruppe aus einheimischen Afrikanern gefunden und gesund gepflegt. Sie wird quasi ein Mitglied des Stammes. Doch nicht jeder ist...