Kapitel 9

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Zwei Wochen sind vergangen, seitdem ich zur Löwin wurde. Ich habe in der Zeit viel gelernt. Ich hatte auch nur noch jede dritte Nacht Albträume gehabt, was im Vergleich zu vorher schon ein großer Fortschritt ist. Was mir auch gut gefällt, ist, dass ich jetzt mir jetzt mit Sama und Sylva, einem anderen Mädchen den Schlafplatz teile. Wir drei schlafen in einer der zahlreichen Schlafhöhlen, die mit Büffel und Antilopenfellen ausgelegt sind. Eigentlich finde ich es ja gemein, wenn man den Tieren ihre Felle stielt, aber wenn man keine Matratzen oder Decken hat, muss man eben auf Felle zurückgreifen. Mit Sama bin ich jetzt richtig gut befreundet und wir verstehen uns mittlerweile prächtig. Nur mit Sylva und ein paar anderen Stammesmitgliedern, die mir wohl noch nicht wirklich vertrauen, verstehe ich mich noch nicht wirklich gut. 

Ich stehe vor dem großen Felsen, wo ich mit Akeele, Zula, Pero und Vitani verabredet bin. Ich nehme seit einem Beitritt des Stammes immer wieder an diesen Treffen teil, um mehr zu lernen.  Es ist quasi eine Schule, nur, dass hier eben nicht Mathe und Geschichte unterrichtet wird, sondern Schleichen, Jagen und Flechten. Im Jagen, das muss ich offen zugeben, bin ich eine absolute Niete. Einmal haben Vitani und Zula eine junge Antilope auf mich zugetrieben, damit ich sie dann ganz einfach erledigen kann und ich bin der auf mich zu rennenden Antilope aus dem Weg gesprungen, sodass sie entkommen konnte. Also einfach war das nicht. 
Dafür bin ich mittlerweile schon echt gut im Körbe und Kleidung flechten. Naja, das ist ja auch nicht wirklich schwer. 
Was das Schleichen betrifft ... Naja. Vitani sagte einmal, ich schleiche wie ein dreibeiniges betrunkenes Flusspferd. Also auch nicht wirklich beneidenswert. 
Aber ich koche manchmal für den Stamm und dafür habe ich schon das ein oder andere Lob für bekommen. 

Ich sehe Zula und Akeele, wie sie auf den Stein zusteuern. Zula wirft mir, wie immer, einen ihrer zickigen Blicke zu und wirft ihr Haar zurück. 
Kommt mir das nur so vor, oder mag sie mich auch nicht? Wenn ja, dann beruht das definitiv auf Gegenseitigkeit. Naja, für manche mag es so aussehen, als beneide ich sie nur um ihre tollen - ich meine natürlich gewöhnlichen - Fähigkeiten bei der Jagt, was aber nicht  stimmt. Ich finde sie nur oberflächlich und einfach nur zickig. Und sie mag mich nicht. 
Wie Akeele mit so einer Schwester klar kommt ist mir echt ein Rätsel. 
"Hallo Ava."
Ich schrecke zusammen. Langsam drehe ich mich um und sehe in ein paar brauner Augen. "Musst du dich immer an mich anschleichen? Soll ich das auch mal bei dir machen?"
Pero lacht. "Das will ich sehen. Du schleichst ja wie ein betrunkenes Flusspferd mit drei Beinen."
Auch ich muss grinsen. Pero ist einfach unmöglich. 
"So, ihr Vier!" Wieder erschrecke ich mich. Das ist echt nervig. "Euer Unterricht beginnt gleich." Vitani lächelt. "Heute teilt ihr euch auf.  Ihr werdet zwei Gruppen bilden. Die eine Gruppe muss etwas Schilf vom Fluss holen und die andere muss sie aufhalten, ohne sie zu verletzen."
Na toll. Da kann ich nur hoffen, dass ich nicht zu der Gruppe gehöre, die die Andere aufhalten soll. 
"Akeele, du wirst mit Ava in einer Gruppe sein. Zula, du wirst mit Pero in eine Gruppe gehen."
"Aber das ist doch nicht fair." , wirft Akeele ein. Ich finde das auch nicht ganz gerecht. Pero und Zula sind die Erfahrensten von uns, also müssten die Gruppen doch eigentlich besser gemischt sein.
"Auch im richtigen Leben ist es nicht immer fair. Ava, Akeele. Ihr werdet euch jetzt auf den Weg zum Fluss machen. Ihr bekommt die Aufgabe, das Schilf zu beschaffen." Vitani wendet sich an Pero und Zula. "Ihr verhindert, dass sie den Schilf ins Lager kriegen. Am besten bleibt der Schilf dabei heil." Wir nicken. Es wird zwar nicht ganz einfach werden, aber ich habe schon eine Idee für eine Taktik. "Komm Akeele. Machen wir uns auf den Weg."

Ich trenne mit einem Stein etwas Schilf ab und stehe auf. Akeele hat schon den Arm voll. Er nickt mir zu. Jetzt kann es losgehen. Wir beeilen uns, in das kleine Wäldchen zu kommen. Dort haben wir abgemacht, Pero und Zula zu überlisten. Ich schlage mich ins Gebüsch, sobald wir ein Stück im Wald drin sind. Akeele läuft weiter. Absichtlich tritt er auf Äste und lässt Fußspuren im Schlamm zurück. Das war meine Idee gewesen. Akeele sollte so viel Lärm, wie möglich machen, damit das gegnerische Team ihm folgt. Dann sollte er anfangen zu schleichen und sich auf den Weg zum Lager machen. Ich sollte  währenddessen  auch versuchen, den Schilf nach Hause zu bekommen. Natürlich erst, wenn Pero und Zula Akeeles Fährte aufgenommen haben und außer Hörweite sind. 

"Dummes Straußenhirn! Du hörst doch das Mädchen! Die atmet ja schon allein viel zu laut."
Ich sehe durch ein paar Äste hindurch und entdecke Zula, die Pero wütend anfährt. "Ich meine ja nur, dass wir uns vielleicht einen Plan überlegen sollten, wie wir die Beiden bekommen."
"Wir brauchen keinen Plan! Hast du etwa vergessen, dass wir viel erfahrener und älter sind?"
O mein Gott. Der arme Pero. "So viel erfahrener nun auch wieder nicht. Du bist doch nur zwei Jahre älter, als Akeele."
"Pero! Du gehorchst mir jetzt!"
Wow, die hat aber ein Temperament. 
"Ist ja gut. Dann machen wir es eben auf deine Weise. Aber sag nachher nicht, es sei alles meine Schuld, dass wir sie nicht bekommen haben!"
Ich grinse. Ich wette, das wird sie sagen.
"Komm, Zicklein. Ich habe da drüben Fußspuren gesehen. Vielleicht stammen sie von Ava."

Ich warte noch zehn Minuten, bis ich mich aus meinem Versteck traue. Die sollen mich ja nicht hören. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht mache ich mich auf den Weg zurück ins Lager. 

"Sehr gut."Vitani tätschelt mir die Schulter. Pero steht daneben und wirft Zula böse Blicke zu. Die wiederum versucht mich mit ihren Blicken zu töten. Akeele grinst. "Das war eine gute Idee von dir, Ava. Dein fehlendes Können machst du durch Klugheit wett. Ich bin beindruckt."
Sollte das eben ein Kompliment sein? 
"Es ist alles deine Schuld, Pero! Wie kamst du auf die blöde Idee, dem Lärm zu folgen? Ich wusste doch, dass es ein Trick war!"
Das war Zula. Die ist echt eine kleine Diva. Aber ich habe ja erwartet, dass sie mal wieder ihrem Teammitglied die Schuld zuschiebt. 
"Hey! Ich hab doch protestiert!" , empört sich auch sofort Pero. "Aber du, kleine Ziege, wolltest ja nicht auf mich hören!"
Ich schüttle den Kopf. Es bringt nie etwas, mit Zula zu streiten.
"Wie hast du mich gerade genannt?" Zula kommt Pero ganz nah und sieht ihn bedrohlich an. Sie zieht ein Messer hervor. 
Nein, nein, nein! Pero, in was für eine Scheiße  hast du dich da wieder reingeritten? Wenn du jetzt mit ihr kämpfst, dann must du wieder zu Naledi. Du hast doch schon viel zu viel angestellt! Gut, dass waren nur Streiche, aber so wie ich Zula kenne, wird sie wieder sagen, dass du an Allem Schuld seist! Bitte Pero! Du wirst mächtig Ärger kriegen!

"Ich fordere dich heraus! Du hast mich beleidigt, mich gekränkt! Dafür wirst du büßen!"
Pero tritt einen Schritt zurück. "Du willst einen Kampf, kleines Zicklein? Gut, dann bekommst du den! Aber heul dich später nicht bei Naledi aus, so wie du es sonst immer tust!"
"Pero, bitte tu das nicht!" , flehe ich. Pero zieht sein Messer und stellt sich Zula gegenüber. Sie faucht kampflustig. Die beiden Kontrahenten umkreisen sich wie wilde Tiere. Ich will dazwischen gehen, doch Vitani hält mich zurück. Ich hatte ganz vergessen, dass sie auch noch da ist. "Lass sie. Sie müssen das unter sich klären."
"Aber Pero ist im Recht! Er hat wirklich versucht, Zula von ihrem Plan abzuhalten!"
Vitani nickt. "Ich weiß. Ich habe euch beobachtet."
Das hätte ich mir ja denken können. "Warum unternimmst du dann nichts? Diese kleine Beleidigung kann doch kein Grund für einen Kampf sein!"
"Sie fühlen sich beide verletzt und beleidigt. Sie müssen das klären. Ich bin doch nicht deren Babysitter!" 
Ich sehe Vitani entgeistert an. Ist es ihr wirklich egal? Ist es ihr wirklich egal, dass einer der Beiden bei diesem Kampf verletzt werden könnte?

"Außerdem ist es eine gute Lektion. Sie müssen lernen, zu kämpfen. Jetzt besonders, da die Bedrohung durch die Hyänen und die Geparden immer größer wird."
Ich kann immer noch nicht locker lassen. "Aber Verletzte können wir doch auch nicht gebrauchen!"
Plötzlich, bevor Vitani etwas erwidern kann, stürzt sich Zula auf Pero. Sie springt ihn an, versucht ihn mit ihrem Messer zu treffen. Doch dieser wehrt ihren Angriff gekonnt ab. Er ist schon länger Schüler, als sie. Trotzdem habe ich Angst um ihn. Er ist mir in letzter Zeit echt ans Herz gewachsen. Er ist einer meiner einzigen und wahrhaftigen Freunde. Um genau zu sein, ist er mein bester Freund.  

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