14 - Noch mehr Geständnisse, Basketball und Flucht

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Obwohl ich erst um 13:00 Uhr zum Aufwärmen und Aufbauen an der Turnhalle unserer Schule sein muss, stehe ich ungewöhnlich früh auf für einen Samstagmorgen. Das hat damit zu tun, dass ich ohnehin kaum einschlafen konnte und dann aus einem sehr unruhigen Schlaf schon um 6 Uhr morgens wieder aufgeschreckt bin - die Versuche nochmal einzuschlafen waren bei meinen rasenden Gedanken eher fruchtlos. Denn nach meinem vorübergehenden High an Emotionen - die Erleichterung, mir selbst endlich eingestanden zu haben, was ich will und die doppelte Erleichterung darüber, dass Mama das mich mit offenen Armen auf diese Weise akzeptiert liebt und unterstützt (auch wenn das bei einem lesbischen Elternpaar wohl zu erwarten war) und nicht zuletzt die Erinnerung an einen Kuss, den ich jetzt als schön und nicht mehr nur verwirrend und schrecklich Angst einjagend betrachten kann - war die Erinnerung an meinen Ausrauster gegenüber Pierce und meinen emotionalen Ausbruch danach umso bitterer auf mich eingestürzt. 

Ein Teil von mir kann sich genau erklären, warum ich so entsetzt und verschreckt auf den Kuss reagiert habe, aber ein anderer Teil von mir findet die Reaktion gleichermaßen unpassend und total bescheuert. Der letztere ist auch der Teil, der mir die ganze Nacht eingeredet hat, ich könne mich nie wieder unter Menschen blicken lassen - erst recht nicht vor Pierce, der mich jetzt für ein total ignorantes homophobes Arschloch hält und denkt, dass ich ihn hasse. Dementsprechend hat diese Nacht und der achterbahnartige Wechsel zwischen positiven und negativen Gefühlen, Erleichterung und Selbsthass mich mit ziemlich verkrüppeltem Selbstbewusstsein, stark befeuerter Anxiety und stechenden Kopfschmerzen zurückgelassen. Ich hab immer noch keinen Schimmer, was ich wegen Pierce machen soll und ein immer größerer Teil von mir ist der Meinung, das es für mich das Beste wäre einfach gar nichts zu machen, bevor entweder was noch schlimmeres passieren kann (Pierce verprügelt mich, outet mich aus Wut vor allen Leuten die wir kennen, brüllt mich an und sagt, dass er mich hasst oder im schlimmsten Fall: er will gar nicht mit mir reden, weil ich ihm ohnehin völlig am Arsch vorbeigehe und lediglich einer seiner vielen kleinen Flirts am Rande war) oder auch in die ganz andere Richtung: Pierce verzeiht mir, es ist alles Friede Freude Eierkuchen, bis auf den Fakt, dass ich nicht im Mindesten dazu bereit bin etwas mit einem Typen anzufangen und am liebsten einfach mein altes, einfaches ungeoutetes Leben zurück haben möchte, weil ich merke, dass weder Pierce, noch ich selbst es mir wert sind mich zu öffnen und bloßzustellen mit allem was an mir so falsch gelaufen ist und immer noch läuft. 

In ähnlich langen Sätzen und Gedankenzügen wie den gerade präsentierten, geht es schon den ganzen gestrigen Abend und den heutigen Morgen in meinem Kopf wie bei einem Ping-Pong Turnier der Profiklasse hin und her. Meine Gefühle und Gedanken, die mir gestern nach dem Gespräch mit Mama noch so aufgeräumt angefühlt haben, sind ein einziges Durcheinander, welches sich zu einem fetten Kloß in meinem Hals und einem noch fetteren Klumpen in meinem Magen zusammengeballt hat. Mein ganzer Körper juckt und schmerzt von dieser unbewussten Angst vor dem Unbewussten und dem was in der Zukunft liegt. Ich kriege kaum was an Frühstück runter und bin, obwohl ich mit allen Mitteln versuche mich irgendwie abzulenken und anderweitig zu beschäftigen, zu nichts in der Lage als in meinem Bett zu liegen und zu hoffen, dass ich mich irgendwann mal wieder anders fühle als so hundeelend. Nicole war heute schon mehrfach in meinem Zimmer und hat gefragt ob es mir nicht gut geht und ob ich nicht vielleicht zuhause bleiben möchte anstatt zum Spiel zu gehen. Es ging sogar soweit, dass sie vorgeschlagen hat, dass wir alle zusammen einen Pausetag einlegen, in dem wir uns gemeinsam im Schlafanzug aufs Sofa pflanzen und Trash TV gucken. 

Sarah sieht mich währenddessen jedoch nur mit diesem mitleidvollen und wissenden Blick an, der mich mich nur noch elendiger fühlen lässt. Als ich zum fünften Mal versuche mit Nicole die Spieltaktiken für das Basketballspiel, das später stattfindet durchzugehen und mich an nichts mehr erinnern kann, und Nicole mich zum fünften Mal fragt ob auch ganz sicher alles Okay sei, streichelt Sarah mir tröstend über den Kopf und sagt mit mitleidiger Stimme. "Das wird schon wieder", und dann mit bedeutungsvollem Blick zu Nicole, "unser Basti hat seinen ersten Liebeskummer." Stöhnend lasse ich mich nach hinten in die Kissen fallen. Na das hat ja gerade noch gefehlt. Gerade jetzt kann ich dieses Gespräch nicht auch  noch mit meiner anderen Mama führen, nachdem ich dem Thema den ganzen Morgen ausgewichen bin. Nicole zieht überrascht die Augenbrauen hoch und erwartet offensichtlich, dass ich mit mehr Informationen rausrücke, aber ich stöhne lediglich genervt "Och Mama" und vergrabe mein Gesicht in den Kissen. Nicole streicht mir tröstend über den Arm und wendet sich dann mit einem absolut hörbaren und nicht heimlichen Geflüster an Sarah. "Was weißt du, was ich nicht weiß??"

Wasting My Young YearsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt