Es ist fast elf Uhr, als ich am Samstagmorgen aufwache. Ich schleppe mich in Theos Küche und mache uns beiden Kaffee und Frühstück, dann kommt der schwierigere Part des Morgens. Als ich in Theos Zimmer trete, schnarcht er immer noch wohlig in seine Kissen gekuschelt. Seine Locken stehen zerzaust vom Kopf ab und er sieht total süß aus, wie er so friedlich da liegt und sein Kissen umarmt. Ich setze mich auf die Bettkante und sehe ihm für eine Weile nur beim Schlafen zu.
Irgendwann dreht er sich zu mir und ich kann nicht anders, als vorsichtig die Hand zu heben und ihm durch die Locken zu fahren. Ein seltsames Gefühl von Sehnsucht und einer Verzweiflung, wie sie in meinen dunklen Momenten hochkommt durchfährt mich. Für einen Moment wünsche ich mir, ihm Nahe zu sein. Auf eine Art nah, die Brüder, wie wir beide es schon immer waren, sich nie sein werden.
Und irgendwie weiß ich, dass sich dieses Verlangen, diese Sehnsucht nicht wirklich auf ihn bezieht. Ich wünsche mir nur endlich jemanden, dem ich mich offen und komplett ehrlich, eben verwundbar, dem ich mich nackt zeigen kann. Jemanden der mich sieht.
Bevor die Emotionen, von denen ich gar nicht so richtig wusste, dass sie so stark sind, mich überwältigen können, rüttelte ich an Theos Schulter und wecke ihn auf.
Langsam und benommen kommt er zu sich, aber ich lasse ihm keine Zeit. Ich zerre ihn aus dem Bett in die Küche und reiche ihm unterwegs noch schnell eine Strickjacke, die er sich überstreifen kann. Er setzt sich auf einen den Barhocker und lässt den Kopf komplett geschafft von diesem kurzen Lauf in die Hände fallen. Ich stelle ihm einen Kaffee hin und er trinkt ihn schweigend, während ich ihn von der Seite wartend beobachte. Theo kennt diese Pose von mir nur zu gut, wie ich da so neben ihm mit dem Rücken an die Theke gelehnt stehe und ihn abwartend ansehe. Das heißt bei mir nie was Gutes. Meistens heißt das ich erwarte eine Erklärung, aber eigentlich nicht mal das, eigentlich nur eine Entschuldigung dafür, dass er sich so gehen lässt. Eine Entschuldigung, auf die bis jetzt noch nie eine Änderung gefolgt ist.
Aber wir beide wissen, dass es diesmal anders ist, das es diesmal nicht einfach so weitergehen wird, ich sehe in seinem Blick und an der Zeit, die er sich nimmt um den Kaffee zu trinken, dass er genauso gut weiß wie ich, dass es diesmal anders läuft und das auch in Zukunft was anders laufen muss. Er sieht zu mir und ich merke, dass die angespannte Situation ihn ein bisschen wachgerüttelt und den Kater abgeschüttelt hat.
Irgendwas in seinem Blick verändert sich schlagartig, er weiß, dass er anfangen muss mit mir zu reden, aber er sucht vergeblich nach einem Anfang. Er wendet verstört, verwirrt, verzweifelt suchend den Blick ab und spielt mit seinen Händen. Man hört nur unseren Atem, meiner ruhig obwohl ich angespannt bin vor krampfhafter Geduld und der ständigen Ermahnung ihm Zeit zu lassen. Seiner leicht zitternd, schwer und viel zu laut in meinen Ohren.
Theo zieht immer wieder mit seiner linken Hand an den Fingern seiner rechten und die Zeit scheint nicht verstreichen zu wollen. Ich drehe mich zu ihm, will ihm irgendwie zeigen, dass ich da bin und ihm zuhöre, dass er mit mir über alles reden kann. Er registriert meine Bewegung und schenkt mir einen gequälten Blick. Ohne dass wir etwas sagen und vielleicht auch gerade weil wir nichts sagen, ist da so unglaublich viel wortloser, unausgesprochener Raum zwischen uns, nur gefüllt mit Gesten und Blicken. Aber er kann nicht von mir erwarten, dass ich ihm weiterhin alles ansehe. Das geht so nicht länger.
Ich sehe ihn an und er kommt mir so zusammengesunken und klein vor, wie er da auf dem Stuhl hockt, ein Schatten seiner selbst. Irgendwann sage ich endlich was und breche das Rätseln und Denken und Schweigen. "Schließ mich bitte nicht weiter aus", sage ich simpel mit leiser, aber fester Stimme. Theo hebt immer noch nicht den Blick, nickt aber und schluckt schwer, ehe er tief einatmet wie um etwas zu sagen. Dann stößt er den Atem wieder aus und schüttelt den Kopf, ehe er sich mit den Händen durchs Gesicht reibt wie um all den Druck und die Müdigkeit wegzureiben.
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Wasting My Young Years
Teen FictionDer 17jährige Sebastian ist glücklich, zumindest meistens. Er versteht sich gut mit seinen Schulkameraden, schreibt gute Noten ohne sich Mühe zu geben. Liest gerne und hat einen mehr oder weniger gut bezahlten Job in der Bibliothek. Hat eine Familie...