20 - Rasen, Dr. Roth und mal wieder ein Anruf

43 5 0
                                    

Wider besseren Wissens verbringe ich den Sonntag allein. Ich weiß genau, dass das einzige was wirklich hilft Gesellschaft ist, wenn ich in solche Episoden verfalle. Ich denke zu viel - so viel, dass ich mich in mir selbst verdenke, bis plötzlich nichts mehr von mir übrig ist. Das hat Sarah einmal liebevoll zu mir gesagt, als ich ähnlich am Boden zerstört war wie jetzt. Als diese ganze Sache angefangen hat, als ich meinen Müttern noch nichts verheimlich musste.

Ich liege allein im Schrebergarten meiner Großeltern, Musik schallt durch meinen Kopf. Wie immer löst der Text von 'Same Love' ein starkes Ziehen in meiner Brust aus. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, Macklemore hat so Recht mit allem was er da sagt. Warum nur kann ich das nicht genauso fühlen. Dass es keinen Unterschied macht, wen man liebt? Dass es egaler nicht sein könnte?  
Ich muss an Pierce denken und falle immer weiter nach unten in diese Abwärtsspirale negativer Gedanken. Ich kann ihm unmöglich erzählen was passiert ist. Weder ihm, noch Ed, noch Theo, noch sonst irgendwem. Ich denke an die Tritte, all die Beleidigungen, die Schläge und das gehässige Gelächter von damals und es fühlt sich so an, als würde ich das alles direkt noch einmal durchleben. Jetzt wo ich schon hier unten, in diesem dunklen Fleck in meinem Kopf angelangt bin, kann mich nichts mehr davon abhalten, dass meine Gedanken zögerlich, ängstlich zu Christopher schweifen. So lange hab ich mir nicht erlaubt an ihn zu denken und mir fällt auch wieder ein warum. Das Gefühl von Verrat und Schmerz, dass mich plötzlich erfasst ist so übermächtig, dass ich bereit bin alles zu tun um irgendwie die Kontrolle zurück zu erlangen. Meine Fingernägel graben sich schmerzvoll in meine Handinnenfläche, so feste habe ich meine Hände zu Fäusten geballt.

Der graue, düstere Himmel über mir unterstreicht meinen Seelenschmerz nahezu in Perfektion. So angefüllt wie der Himmel mit dunklen Wolken ist, so leer fühle ich mich von diesen ganzen dunklen Gedanken. Für den Bruchteil einer Sekunde huschen meine Gedanken an einen noch dunkleren Ort und ich bin erschrocken von mir selbst, als mir klar wird, dass ich ernsthaft darüber nachdenke mich selbst zu verletzen. Ich pitsche mich so feste in den Handrücken, dass Blut aus einer kleinen Kerbe hervortritt, in der Hoffnung mich dadurch wieder zur Besinnung zu bringen.
Früher hatte ich öfter solche Gedanken - viel öfter - aber habe letztendlich nie danach gehandelt. Dass diese Gedanken jetzt zu mir zurückkehren erschreckt mich mehr als ich mir eingestehen möchte. Ich dachte nach zwei Jahren hätte ich wenigstens mit diesem Teil meiner selbst abgeschlossen, aber wie so oft in den letzten Wochen muss ich feststellen, dass ich mich schrecklich geirrt habe. Anscheinend ist mit etwas abzuschließen und etwas zu verdrängen wirklich nicht dasselbe. Mein Handy vibriert neben mir auf dem Gras und widerwillig sehe ich aufs Display - Pierce. Ich warte bis das Klingeln aufhört und seufze. Ich kann jetzt nicht mit ihm reden. Jetzt nicht und vielleicht nie wieder. Das ganze macht mich so fertig, dass mir schon wieder Tränen in die Augen schießen. Eine kühle Brise streicht über meinen Körper und ich zittere - scheint so, als würde der Sommer langsam wirklich ein Ende finden.

Noch eine gefühlte Ewigkeit bleib ich da so auf dem Rasen liegen und starre in den grauen Himmel über mir, der genauso wenig den Regen herunterlässt, wie ich zulasse, dass mir wieder einmal die Tränen kommen. Nach einer Weile bin ich so gefangen in meinen düsteren Gedanken und Sorgen: Was wenn ich nie wieder normal werde? Was soll ich nur wegen Pierce machen? Was wenn ich gar nicht wirklich mit ihm zusammen sein will oder kann? Was wenn er mich jetzt fallen lässt? Was würde passieren, wenn alle davon wüssten? Und noch viel öfter: Was wenn ich das damals verdient habe? Was wenn ich wirklich so klein und dreckig und ekelerregend bin, wie sie mir das Gefühl gegeben haben? Ich kann kaum noch atmen und der Entschluss, den ich fasse, bricht mir das Herz. Besser sich jetzt zurückziehen, bevor es zu spät ist. Bevor Pierce sieht, wer ich wirklich bin - wie verletzt und damaged. Bevor er mich auch noch verletzen kann. Und bevor irgendjemand von uns erfahren kann.

Wasting My Young YearsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt