Kapitel 10

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Sie hatten über ihre Reise, von der auch Yi Ling ihm nicht sagen konnte, wohin sie führte, eine größere Stadt erreicht, und dieser gemeint, das ihm das Geld knapp geworden sei und es Zeit wäre, sich etwas dazuzuverdienen. Wangji selbst war nicht unbedingt darauf angewiesen, störte er sich nicht daran unter freiem Himmel zu schlafen und sich sein Essen, wenn es ihn danach verlangte, selbst zu fangen oder zu suchen. Doch konnte auch er nicht abstreiten, dass es ohne seine himmlischen Kräfte, ab und an schon angenehm war, sich erholen zu können, ohne stets darauf Acht geben zu müssen, was um einen herum passierte.

Doch in so einem Fall, wollte er auch selbst für die Kosten aufkommen können.

Er hatte sich Yi Ling schließlich aus eigenem Ermessen angeschlossen.

Er überlegte was er tun könnte, dass man ihn dafür bezahlen würde wollen, dass er Yi Ling schlicht die Straßen entlang folgte, welche um diese Zeit von leuchtenden Laternen gesäumt waren, war der Abend bereits angebrochen.

Im Nachhinein hätte es ihm ein Zeichen sein sollen, dass es so ungewohnt still von dessen Seite her war, konnte dieser doch sonst seinen Mund kaum halten.

Erst als eine Dame mit einem zu tief gesetztem Ausschnitt ihres Gewandes in seine Sicht trat, wurde er sich seiner Umgebung wieder deutlicher bewusst.

Yi Ling war jedoch nirgendwo zu sehen.

Besagte Dame schenkte ihm ein kokettes Lächeln und rückte ihre Reize noch etwas deutlicher zurecht, dass er einen irritierten Blick auf das Viertel warf, welches sie betreten hatten.

Die roten Laternen und die Anzahl anderer, provokativ gekleideter Frauen, mit dem typischen Lärm von Trinkfreudigen ließ ihn zur Erkenntnis kommen.

Ein Amüsierviertel.

Er wusste von ihrer Existenz, war er über seine Wanderschaft auch in anderen Städten schon an ihnen vorbei gekommen. Doch betreten hatte er bis jetzt nie eines, bestand nicht ein triftiger Grund für solch eine Frivolität.

Und da er wohl etwas zu überfordert wirkte, nutzte die Dame ihre Chance und schlang sich um einen Arm von ihm, mit dem Versprechen ihm eine gute Zeit bereiten zu können, wenn er ihr folgen würde.

In ihrem Taumel rempelten ihn zwei Trunkenbolde an, das ihm sein dǒulì (spitzkegeliger Strohhut) vom Kopf rutschte und zu Boden ging, sie aber noch den Anstand besaßen sich zu entschuldigen bevor sie weiterschwankten.

Dann wurde er auch wieder daran erinnert, warum er sich diesen Hut in erster Linie zugelegt hatte, fand er nun nicht nur einen interessierten Blick auf sich ruhen.

Er vernahm die verzückten Laute der anderen Damen und sah sich darauf mit einem kleinen Schwarm von ihnen konfrontiert, und jede versuchte ihm davon zu überzeugen, dass er mit ihr den besten Fang für die Nacht machen würde.

Es ließ ihn eine unangenehme Wärme in sich aufkommen spüren, wie auch eine Unbeholfenheit mit der er nicht umzugehen wusste.

Doch da es unziemlich war, sich mit groben Gesten von diesen Offerten zu distanzieren, konnte er nur versuchen sich so uninteressiert wie möglich zu geben.

Ein Plan der nicht wirklich Erfolg zeigte.

Hatte ihn Yi Ling absichtlich hier her geführt, weil er genau wusste, dass er ihn hier würde abschütteln können?

Womöglich um seine eigenen Gelüste befriedigen zu lassen?

War das die Rache dafür, dass er diese anzügliche Literatur, wenn es diesen Namen überhaupt verdiente, ruiniert hatte?

Der Geruch von zu süßem Parfum und Puder ließen ihn sich nur noch unwohler fühlen, dass er nur noch nach seinem Hut greifen wollte, um dieses Viertel so schnell wie möglich wieder zu verlassen.

„Ladies, Ladies...", drang Yi Lings heitere Stimme zu ihm heran und er seinen Kopf ruckartig in dessen Richtung drehte. Dieser schob sich an den Damen vorbei, bis er an seiner Seite auftauchte und zu seiner weiteren Verwirrung sich um seinen anderen Arm klammerte.

„Tut mir leid, aber er hier gehört zu mir.", säuselte er und streifte ihm dann sogar mit einer Hand über die Brust, auf das Yi Ling ihn mit einem lasziven Ausdruck ansah.

„Stimmt doch, oder Lan Zhan?" Dieser schmiegte sich noch etwas inniger an ihn.

Lan Zhan verspürte ein leichtes Zwicken in seiner Seite.

„Oder?" Yi Ling schaute ihn nun mit großen, schmachtenden, nachdrücklichen Augen an.

Wangji mochte verstehen, was dieser gedachte mit seinem Akt zu erreichen, doch fühlte er sich wahrlich nicht besser darunter darin mitzuspielen.

Er seufzte innerlich und hoffte seine Ahnen mögen ihm ihren Zorn ersparen.

„Mn, ich versprach dir auf allen Wegen zu folgen.", erwiderte er, Yi Ling's Blick versucht überzeugend zu imitieren. Da es eh schon ein Desaster war, strich er Yi Ling eine seiner langen Haarsträhnen sachte hinter das Ohr.

Dieser strahlte zugetan, gefolgt von dem enttäuschten Raunen der Damen, die sich nun wieder von ihnen zurückzogen.

Wangji war schon dabei sich dessen Halt rasch wieder entziehen zu wollen, als Yi Ling diesen verstärkte.

„Ertrage es noch einen Moment.", wisperte dieser ohne sein falsches Lächeln zu unterbrechen, während er ihn mit sich weiter die Straße entlangführte, bis sie in einer dunkleren Gasse haltmachten.

Erst dann ließ er ihn wieder frei. Das folgende Grinsen jedoch voll mit Schamlosigkeit.

„Wer hätte gedacht, dass der große Lan xiān shī (immortal Master), doch nicht so ein Prinzipienreiter ist. Ich gebe zu, es war erfrischend in seiner Ungewohntheit." Wangji ignorierte dessen Amüsement auf seine Kosten und schaute sich um.

„Wo sind wir hier?", erkundigte er sich, wirkte diese Ecke doch schon recht zwielichtig, mit dem schwachen Licht und den lungernden Gestalten, die nichts Gutes erahnen ließen.

„Ich musste mich erst etwas umhören, aber man sagte mir, dass es hier ein wenig Geld zu machen gibt."

Wangji hob skeptisch eine Augenbraue.

Sein Argwohn zu dieser Aussage sollte auch nicht lange unbegründet bleiben.

Yi Ling gab zu, das es vielleicht nicht seine beste Idee gewesen war, jemanden wie Lan Zhan zum Glücksspiel mitzuziehen.

Zwischen geschäftigen tiān jiǔ (1) Spielen und dem Dunst aus Schweiß, Tabak und Alkohol, hatte er ihnen einen Platz an einem der niǔ tiān jiǔ (2) Tische gesucht. Lan Zhan eine missbilligende Präsens an seiner Seite.

Nun, da dieser ihm ja unbedingt folgen wollte, musste er sich eben damit abfinden, dass solche Abstecher mit inbegriffen waren, hatte er sich ebenso geweigert draußen zu warten, als dieser ihm seinen Unmut über seine Art Geld zu beschaffen mitgeteilt hatte.

Vielleicht hätte er ihn doch den eifrig werbenden Damen überlassen sollen. Dessen Gesicht, als er ihn vorhin von ihnen umringt gesehen hatte, war doch recht belustigend gewesen.

Das dieser mit fleischlichen Gelüsten nichts anzufangen wusste, ließ ihn beinahe Mitleid empfinden, schien es generell nicht viel zu geben, was dieser als Spaß bezeichnen würde.

Man setzte nun die rechteckigen Steine in gleichen Stapeln in die Mitte des Tisches und das Spiel begann, indem er den ersten davon mit der Punktseite nach oben legte.

Es war die dritte Runde die er verlor, als er Lan Zhan dabei beobachten konnte, wie dessen Gesicht einen Ausdruck annahm, dem etwas zu Rechtschaffendes anhing, das er dessen Handgelenk ergriff und sich zu ihm lehnte.

„Immer mit der Ruhe.", wies er ihn an.

„Dieses Spiel geht nicht mit rechten Dingen zu.", ließ dieser in einem etwas zu lauten Murren und mit einem herausfordernden Blick auf Yi Ling's Gegenüber wissen. Yi Ling tätschelte ihm die Hand, bevor er sich wieder dem Spiel zuwandte.

„Ich hab nur kein rechtes Glück, das ist alles. Nicht wahr?" Er grinste seinen Spielgegner unbedarft an.

„Sieht so aus.", grunzte dieser knapp und abtuend, dass man Schummelei bei ihm gewittert haben könnte und begann die nächste Runde.



(1)tiān jiǔ - Überbegriff für bestimmte Art von Glücksspielen (wörtlich übersetzt; Himmel und Neun)

(2)niǔ tiān jiǔ - wird mit Steinen, ähnlich des Domino, gespielt (wörtlich übersetzt; Umwenden von Himmel und Neun)





Es war stets eine Genugtuung, dachte Yi Ling für sich, als er die Münzen mit einer Hand von der Tischplatte in seinen Geldbeutel schob und diesen mit einem zufriedenen Lächeln wieder verschnürte.

„Wer hätte gedacht, dass es doch noch so gut laufen würde.", meinte er darauf an Lan Zhan gerichtet. Das missmutige Starren des Verlierers ignorierte er absichtlich. Jemanden mit seinen eigenen Waffen zu schlagen brachte einen ganz eigenen Kitzel mit sich und das Gute in dieser Situation war, das man ihnen nicht einmal etwas vorwerfen konnte, würde man nur selbst auffliegen lassen, dass das Spiel von vornherein gezinkt gewesen war.

Mit einer verabschiedenden Geste in die Runde erhob er sich, und Lan Zhan folgte wortlos.

Es war ebenso nicht ungewöhnlich, dass man bei einem größeren Verlust versuchte das Geld auf anderem Wege wieder zurückzuholen.

Die vier Gestalten die ihnen folgten, nachdem sie die Gasse verließen, waren wenig subtil in ihrer Absicht, doch tat Yi Ling weiterhin ahnungslos und schwatzte auf Lan Zhan ein, als dieser plötzlich stehen blieb und sich in einer fließenden Bewegung umdrehte, um die vier Kerle mit einem kalten Blick zu fixieren.

Yi Ling seufzte ergeben, hatte er gehofft Lan Zhan mit seinem Gerede soweit abzulenken, das ihm ihre Verfolger entgehen würden.

Doch wem machte er da was vor? Selbst ohne volle Kräfte, war dieser immer noch auf einem anderen Level angesiedelt als der einfache Straßenschläger.

Diese zeigten sich jedoch wenig beeindruckt über dessen Mut.

Was Yi Ling nun allerdings nicht riskieren wollte war, dass dieser etwas tat das unnötige Aufmerksamkeit auf sie ziehen würde. Es waren genug Leute um sie herum unterwegs, das jegliche Auseinandersetzung Blicke darauf ziehen würde.

Er hatte wenigstens gehofft sich in einer der dunklen Seitengassen um sie kümmern zu können, wo es niemanden gleich auffallen würde.

„Ihr hab da was, was dem Boss gehört.", meinte der am kräftigsten Gebaute des Trupps. Eine auffällige Narbe zog sich längs über seine Stirn, dass Yi Ling schon der Kommentar entweichen wollte, ob man versucht habe ihm mal ein Gehirn zu verpassen. Aber das wäre nur Öl fürs Feuer.

Ein anderer, etwas untersetzter Kerl ohne Haare legte eine Hand an den Griff des Messers an seinem Ledergürtel, gefolgt von einem widerlichen Spucken zur Seite.

Er war sicherlich nicht der Einzige mit einer Waffe, aber so lenkte man die Aufmerksamkeit eines ungeschickten Opfers vorerst auf diese eine, sichtbare Warnung.

Yi Ling war dabei den Kopf zu schütteln, als Lan Zhan ohne weiteres Zögern auf die Kerle zuging, und ihm damit ein etwas überrumpeltes Japsen entlockte.

„Und was ist es das eurem Meister gehört?", fragte dieser herausfordernd und selbstsicher, dass es die Kerle sofort aufstachelte und sie ihn einzukreisen versuchten.

Versuchten deswegen, weil sie sich im nächsten Moment schon vor Schmerzen krümmend am Boden wiederfanden, ohne dass einer von ihnen auch nur mehr als ein perplexes Keuchen hatte von sich geben können über diese Wendung. Lan Zhan hatte sie innerhalb eines Fingerschnippens mit einer gezielten, und äußerst effizienten Schlagtechnik handlungsunfähig gemacht.

Selbst Yi Ling blinzelte kurz etwas verblüfft.

Das war in der Tat beeindruckend.

Es war gut zu wissen, dass dieser sich auch auf die Kampfkünste ohne Schwert verstand, was Yi Ling innerlich eine Notiz machen ließ, Lan Zhan in Zukunft vielleicht doch nicht gar so penetrant zu necken oder zu nerven.

„Ich denke die Rechnung ist damit beglichen.", hörte er diesen in einem kühlen, warnenden Ton sagen, bevor er sich abwandte und darauf auch an Yi Ling vorbeizog, der ihm mit einem breiten Grinsen nachfolgte.

„Das war so männlich, das ich ganz weiche Knie bekommen habe.", meinte er als er sich dann auch bei diesem einhenkelte, und seinen Kopf an dessen Schulter legte.

„Unterlasse diesen Unsinn.", knirschte Lan Zhan mit den Zähnen, und unternahm einen nachdrücklichen Versuch ihn wieder loszuwerden.

„Oh, dann möchtest du also doch die Nacht mit ein paar der Damen hier zubringen?", erinnerte er ihn daran, wo sie sich noch immer befanden und verfolgte mit Vergnügen, wie dieser sich zu besinnen schien.

„Muss es dennoch derart schamlos sein?", hinterfragte er sein Verhalten zurechtweisend und gab zumindest für den Moment auf, ihn wie ein lästiges Insekt abschütteln zu wollen.

„Lan Zhan, Lan Zhan. Du hast ja keine Ahnung, wie schamlos ich wirklich sein kann." Und ah, er würde nie müde werden diesem hübschen, störrisch anmutenden, Gesicht dabei zuzusehen, wie es doch zu so etwas wie Emotionen fähig war.

In diesem Fall; unheilschwanende Verlegenheit.

Yi Ling sagte nichts weiter, zwinkerte ihm nur verstohlen zu und zog ihn zum nächsten Lokal, um sich einen verdienten Krug Wein und etwas Gutes zu Essen zu gönnen.



Als er sich über das warme und kindlich überschwängliche Gefühl, das der Alkohol in ihm ausgelöst hatte, dachte, das Lan Zhan wirklich etwas lockerer werden könnte, während er seine Weinschale mit dessen Schale Wasser tauschte, hatte er nicht gedacht, dass es damit enden würde, das er dessen unkooperativen Körper durch die Nacht schleppen würde dürfen.

Eine halbe Schale Wein!

Eine halbe Schale Wein und es hatte den großen Lan xiān shī komplett ausgezählt.

Womöglich lag es aber auch an dessen geschwächten goldenen Kern, dass er so anfällig darauf reagiert hatte?

Wie dem auch sein mochte...

Er war wirklich müde, hatte er die letzten Nächte kaum geschlafen.

Zwei Nächte lang, war es der Regen gewesen, der ihm das Übernachten unter freiem Himmel ungemütlich gemacht hatte. Zum anderen war Lan Zhan jemand der das Schlafen derart militärisch vollzog, dass dieser immer schon aktiv war, wenn er sich noch im Schlaf drehte. In letzter Zeit war es ihm auch stets so, als würde dieser ihn im Schlaf beobachten. Er dessen eindringliche Blicke auf sich ruhen spürte, wie etwas Physisches.

Es machte ihn wahnsinnig!

Doch sobald er seine Augen aufschlug, war nichts mehr davon zu merken. Lan Zhan kümmerte sich entweder um das Feuer, oder las ein Buch, welches er sich in einer der letzten Ortschaften zugelegt hatte. Oder er meditierte.

Seiner aufziehende Frage, ob er nicht genug von seinem attraktiven Gesicht bekommen könnte, sich aber nur traute ihn anzuschauen wenn er schliefe, wurde mit einem abwertenden Blick, begegnet.

Und nun auch noch das hier...

Yi Ling raunte unglücklich über sein Los und seine, nach hinten losgegangene, Albernheit.

Warum war dieser Kerl auch so schwer?

Man könnte meinen er wäre aus purer Jade!

Sein eigener, leichter Alkohol-Dusel ließ ihn einen Blick auf Lan Zhan werfen, empfand er diese Möglichkeit in Bezug auf dessen Abstammung und der immer noch unwirklich anmutenden Ansehnlichkeit, gerade gar nicht so abwegig.

Lan Zhan's dǒulì hing komisch schief auf dessen Kopf und Yi Ling lachte angeheitert. Zog ihm diesen dann aber herunter und setzte ihn sich selbst auf.

Dann festigte er den Halt um dessen Arm, der über seine Schultern gelegt war und an der Hüfte des anderen und rückte ihn sich etwas zurecht.

Es war ebenso dumm gewesen, sich nicht schon ein Zimmer für die Nacht gesucht zu haben, stand außer Frage, dass er ihn zurück zu einer der Herbergen außerhalb des Viertels buckeln würde müssen.

„Ich hatte wirklich nicht vor auf der Straße zu schlafen.", murrte er und fragte sich, warum er es nun wieder war, der auf den anderen aufpasste.

So war das definitiv nicht gedacht gewesen!

Naja, dass er nicht ganz unschuldig an dieser Situation war, konnte er nicht abstreiten und es entlockte ihm ein erneutes, langgezogenes Raunen.

Wer konnte auch ahnen, dass der himmlische Herr so sensibel auf etwas menschgemachten Wein reagieren würde.

„Uhm, entschuldigen sie xiàng gong (junger Gentleman), ich kam nicht umhin ihr Problem mitzuhören."

Yi Ling schaute auf die unsicher wirkende Frau, die ihn gerade angesprochen hatte und er erkannte sie von vorhin wieder.

Während er sich nach einem Ort für Glücksspiele ungehört hatte, hatte er erleben müssen, wie einer dieser überheblichen, besserbetuchten Schnösel, sie sich grob aus dem Weg stieß und auf ihr zu Boden stürzen nichts weiter als abfällige Worte von sich gab. Niemand machte sich die Mühe ihr wieder aufzuhelfen, bis er zu ihr herangetreten war.

Yi Ling hasste solch ein Verhalten zutiefst, waren diese Frauen trotz ihres Gewerbes, Menschen wie sie alle auch, und nicht nur Objekte um sexuelle Triebe zu befriedigen.

Gut das der Kerl schon in der Menge verschwunden war, sonst hätte er ihm noch ein paar Worte zu sagen gehabt. Oder auch einen kleine Fluch an ihn geheftet.

Er lächelte ihr zu, wenn auch etwas müde.

„Ja, mein Freund hier verträgt nicht viel, wenn es um das Weintrinken geht." Sie schaute mitfühlend auf den Mann in seinem Halt, als sich ihre Augen etwas weiteten und sich ein Rotschimmer auf ihren Wangen zeigte.

„Oh, die Mädchen haben wirklich nicht übertrieben.", meinte sie mit einem gebannten Blick auf Lan Zhan und für ihn etwas zusammenhangslos, worauf sie sich wieder an ihn wandte und noch etwas verlegener erschien auf seinen fragenden Blick.

„Uhm, ich hörte wie die anderen Mädchen über einen unglaublich attraktiven Herren sprachen, der ein Stirnband trug, und welcher heute Abend hier aufgetaucht wäre. Auch wie enttäuscht sie waren, dass dieser leider den männlichen Reizen zugetan sei." Sie schien sich zu besinnen, worüber sie gerade gesprochen hatte und haspelte folglich mit Worten der Entschuldigung, sollte sie ihnen zu nahe getreten sein, dem Yi Ling mit einem kurzen Lachen begegnete.

„Schon in Ordnung. Wir zwei, sind in der Tat, ein ungewöhnliches Paar." Er hätte sie berichtigen können in ihrer Annahme, doch wenn ihr Ruf eh schon die Runde gemacht hatte, war es ihm die Mühe nicht wert. Sie würden eh schon morgen wieder weiterziehen. Von daher.

„Wenn...wenn es sie nicht stört, könnte ich versuchen ihnen ein Zimmer in unserem Haus zu besorgen. Als Dank für vorhin.", bot sie ihm an und Yi Ling brauchte nicht lange zu überlegen, wollte er wirklich nur noch in ein Bett und darin schlafen.

„Weißen sie den Weg gū niang (junge Dame).", meinte er und entlockte ihr damit ein leichtes Lachen. „Entweder sie sind wirklich ein ungewöhnlich höfflicher Herr oder zu unbedarft was den Umgang in solch einem Viertel anbelangt.", gab sie amüsiert wieder. „Diese Art von junger Dame werden sie hier nicht finden.", zwinkerte sie ihm folglich noch zu, und führte ihn zu dem Gebäude gegenüber das sich „Gelbe Kamelie" (im.jap. Symbol für Sehnsucht) nannte.

Sie entschuldigte sich kurz, um die Chefin des Hauses zu informieren, das Yi Ling den Moment nutzte Lan Zhan vorerst gegen einen der Pfeiler des Eingangsbereiches zu lehnen, dass er seine verspannten Muskeln wieder etwas dehnen konnte.

Eine Frau mittleren Alters, mit attraktiv geformten, rot-gefärbten Lippen, in einem ebenso Rot gehaltenen Gewand, das ihre fraulichen Kurven unterstrich, erschien aus dem hinteren Raum und beäugte sie deutlich abmessend.

Yi Ling war klar, dass diese Establishments nicht dazu dienten ihre Zimmer an Leute zu vergeben, die nicht vor hatten ihr Geld bei einem ihrer Mädchen zu lassen.

Er verbeugte sich dennoch höflich, was sie ein kurzes, ungläubiges Schnaufen von sich geben ließ.

„Ich bin mir nicht sicher, ob dies eine Geste aus Spot gewesen sein soll, oder ob A-Jí tatsächlich Recht hat und sie schlicht zu unbedarft. Allerdings glaube ich nicht das unbedarft für sie das richtige Wort wäre." Sie schaute abwertend, erst zu ihm, dann auf Lan Zhan, um dessen Hüfte er noch einen Arm gelegt hielt, damit dieser ihm nicht umkippen würde.

Yi Lings folgendes Lächeln war weder ehrlich noch freundlich.

Wer sich als duàn xiù zhī pǐ (cut sleeve) preisgab, hatte es nicht einfach. Aber auch wenn es für sie nur einen Deckmantel dargestellt hatte, so war er niemand der jemanden für den Weg Liebe finden zu wollen, verurteilen würde. Dieses Stück Menschlichkeit konnte er getrost noch sein Eigen nennen.

Und wer wusste es schon?, gab ihm sein etwas taumeliger Geist vor.

Vielleicht würden er und Lan Zhan auf einer anderen Ebene der Zeit, in einem anderen Fragment der allmächtigen Schöpfung, sogar als Liebende zusammenfinden!

Er verzog innerlich nun doch zweifelnd das Gesicht.

Es müssten wohl extrem willige und schicksalhafte Umstände sein.

Er glaubte nicht, das es eine Realität geben würde, wo dieser ihm nicht am liebsten wie ein Bündel Reisstroh verschnüren und in den höchsten Baum hängen würde wollen, sobald er auch nur den Mund aufmachte.

„Nun gut, wenn dies alles ist, werden wir uns eine andere Bleibe suchen müssen." Er verbeugte sich erneut.

Es würde ihnen nichts als Ärger bringen sich angefeindet zu zeigen.

„Na, komm xiǎo tù zi (kleiner Hase)." Er zog Lan Zhan wieder an sich. Es war purer Trotz der ihn den Moment ebenso ausnutzen ließ, um sich offen zutraulich mit seinem angeblichen Geliebten zu geben, um zu zeigen das er über solchen Feindseligkeiten stand. Lan Zhan nutzte genau diesen Augenblick, um seinen Kopf auf Yi Lings Schulter zu rollen und sich mit dem Gesicht in dessen Halsbeuge zu schmiegen und ein leises, versonnenes Raunen von sich zu geben. Es war derart unerwartet und so gar nicht Lan Zhan typisch das Yi Ling, anstatt sich peinlich berührt über diese trunkene Marotte des anderen zu fühlen, schlicht etwas auflachte und ihm die etwas in Unordnung geratenen Haare wieder zurechtstrich.

Yi Ling war schon im Begriff, sie wieder nach draußen zu bringen, als eine weitere Frau, in einem zart türkisfarbenen Gewand, hinter der Herrin des Hauses auftauchte.

Jünger und mit intensiven Augen in einem makellosen, zarten Gesicht, dessen heller Teint nicht von Puder zu kommen schien. Eine elegante yān dài (schlanke chin.Tabakpfeife), an welcher ein silberner Anhänger in Form eines Fuchses schaukelte, zwischen ihren vollen Lippen deren Rot satt und doch natürlich anmutete.

Sie setzte der Herrin darauf einen Kuss in den Nacken, während sie sie von hinten umarmte.

Es war ein Akt der liebevoll und ehrlich erschien.

Dann lächelte man über deren Schulter ihnen zu. „Nun lass sie nicht so zappeln, qīn ài de nǐ (mein Liebling).", meinte diese zu der Frau ihn ihren Armen, die darauf ergeben durchatmete und sich etwas nach hinten lehnte, kurz die Augen schloss.

„Sie sind deine Verantwortung.", meinte diese dann und straffte sich wieder. Mit einem letzten Blick zu ihr, der einen Austausch unausgesprochener Worte darstellte, verschwand sie wieder nach hinten.

Die zweite Dame schlenderte mit einem grazilen Hüftschwung auf sie zu.

„Mein Name ist Báiwù ", stellte sie sich vor und Yi Ling kam nicht umhin etwas Ungewöhnliches an ihr auszumachen.

Doch wurde er von diesem Gedanken abgelenkt, als sich Lan Zhan zu regen begann und es so aussah als wolle er endlich wieder auf seinen eigenen zwei Füßen stehen wollen. Jedoch schaute er noch immer recht benommen, was annehmen ließ, das er fern von nüchtern war.

„Uhm, mein Name ist Yi Ling." Er deutete auf sich. „Und dieser charmante Herr hier, ist Lan Zhan.", erwiderte er die Etikette und man schenkte ihnen ein kurzes Schmunzeln.

„Hier entlang.", gab Báiwù ihnen vor, doch hatte Yi Ling kaum einen Schritt getan, da packte ihn eine Hand an der Schulter, auf das er fragend hinter sich blickte. Lan Zhan rückte so nahe zu ihm auf, das er dessen Körpergewicht merklich in seinem Rücken spürte und es ihn etwas überrascht nach vorn schob.

„Trag mich.", hörte er darauf Lan Zhan in einem trotzigen Ton verlangen, der eher zu einem kleinen Kind gehörte.

„Sicher nicht. Hast du eine Ahnung wie schwer du bist?" Dieser ließ sich nicht beirren. Stattdessen zupfte er ungeduldig an Yi Ling's Robe herum, immer noch den verbohrt wirkenden Ausdruck des nicht Kleinbeigebens auf seinen sonst so geschulten Zügen.

„Trag mich.", meinte er abermals, doch nun etwas bestimmter, das Yi Ling nicht wusste, ob er über diese Situation lachen oder fluchen sollte.

„Lan Zhan! Du wirst diese wenigen Schritte schon selbst schaffen, ich..." Er kam nicht weiter in seiner Rede, legte ihm Lan Zhan nun beide Arme über die Schultern, und verschränkte diese vor seiner Brust.

„Trag mich... du hast mich immer getragen...", nuschelte dieser viel zu nahe an seinem Ohr und mit vehementer Kraft in seinen Armen die, da war sich Yi Ling sicher, sich nicht so einfach wieder lösen würden.

„Ja, aber da warst du noch...klein und flauschig", konnte er sich noch verkneifen, schaute und hörte ihnen Báiwù mit einem fragenden Blick zu, während sie wartete.

Lan Zhan gab ein widerwilliges Murren von sich, als sich Yi Ling noch immer nicht in Gang gesetzt hatte ihn aufzuhucken, das er letztendlich resigniert mit den Augen rollte und sich soweit vorbeugte das er dessen Kniekehlen zu fassen bekam.

Mit einem Stöhnen richtete er sich wieder halbwegs auf und folgte Báiwù schließlich nach.

Natürlich machte man es ihm nicht einfacher, indem er folglich noch eine schmale Treppe hinauf ächzen durfte, während der große Lan xiān shī doch tatsächlich wieder eingeschlafen zu sein schien.

Wenn Yi Ling von sich selbst nicht wüsste, dass er ein permanenter Langschläfer war, würde er noch diese Nacht den Plan in die Tat umsetzen, sich klangheimlich aus dem Staub zu machen.

Sie erreichten schließlich das Zimmer, das man ihnen überlassen wollte.

Das Bett war groß genug für zwei und er definitiv zu geschafft, um sich noch um etwas anderes zu kümmern.

Etwas unzeremoniell ging er daneben in die Knie damit er seine Fracht darauf ablegen konnte.

Vorausgesetzt besagte Fracht würde endlich wieder von ihm ablassen.

Stattdessen kippte er unter einem überforderten Quieken mit ihm nach hinten, als dieser ihn einfach mit sich zog und dabei fast noch erwürgte.

„Lan Zhan...", japste er wirklich fast am Ende mit seinen Nerven für diesen Abend, und wand sich mit etwas Anstrengung und einer reichlich zerzausten Frisur aus dessen Fängen.

„Das machst du doch mit Absicht.", murrte er und erhob sich.

Báiwù hatte dem ganzen Schauspiel offensichtlich zugesehen, stand sie noch immer in der Tür als er sich wieder umdrehte. Jedoch hatte ihr Ausdruck nun etwas Kühles und in ihren Augen lag etwas Stechendes.

Er war dabei sich zu erkundigen, ob noch etwas sei, als diese auf ihn zu trat, einen langen Zug von ihrer Pfeife nahm, nur um völlig unerwartet ihre Lippen auf den Seinen zu spüren, den merkwürdig süßlich schmeckenden Dunst ihres Rauchkrautes auf seiner Zunge, als sie ihm diesen einflößte.

Dann trat sie schließlich wieder von ihm zurück und lächelte in einer Art der Zufriedenheit.

„Eine kleine Aufmerksamkeit des Hauses.", hörte er sie sagen, doch klang es wie aus der Ferne, auf das ihn ebenso ein Schwindelgefühl erfasste.

Ah...verdammt, dachte er für sich, als ihm bewusst wurde, dass er in seiner Müdigkeit doch zu unvorsichtig gewesen war, und er hin zum Bett stolperte, wo Lan Zhan weiterhin schlief.

Ein Blick zu Báiwù, deren Augen nun denen eines Raubtieres glichen, in ihrer lehmigen Farbe und mit den länglich schwarzen Pupillen, ließ gefahrverheißendes erahnen.

Er wandte sich von ihr ab, und rüttelte stattdessen kräftig an Lan Zhan's Schulter, um ihn wach zu bekommen, doch fühlte er sich mehr und mehr benommen, das er schließlich nur neben dem Bett zusammensinken konnte. Das leichte, zynische Auflachen von Báiwù, das letzte was er für sich wahrnahm.



Als Yi Ling wieder zu sich kam, war es Dunkel um ihn herum und die Luft angefüllt mit diesem süßlichen Rauch, mit dem man ihn auch ausgezählt hatte.

Er stöhnte leidlich.

Sein Kopf schmerzte, wie auch seine Schultern, hatte man ihm die Arme nach hinten gezogen, stand er mit dem Rücken gegen einen Pfeiler, wo man auch seine Hände dahinter gefesselt hatte.

Es gab keine Lichtquelle, dass er nicht sagen konnte, wo genau man ihn hingebracht hatte.

Er fühlte sich träge durch den Rauch, der sicherlich auch genau das bezwecken sollte und für den Moment machte er sich auch nicht die Mühe etwas versuchen zu wollen.

Er gab ein ergebenes Raunen von sich.

Wer hätte auch erahnen können, gerade hier auf eine hú jīng (yāoguài in Gestalt einer Fuchs-Frau) zu treffen?

Warum sie ihn allerdings hier her verschleppt hatte, war ihm nicht ganz ersichtlich.

Es gäbe nichts an ihm was dieser von Nutzen sein könnte, besaß er weder Geld noch Einfluss der dieses einbringen würde. Es machte auch nicht gerade den Anschein, dass sie sexuelles Interesse an ihm gefunden zu haben schien, es sei denn sie hatte eine recht eigenwillige Art dies zu zeigen.

Dennoch war sie vorsichtig genug, ihn mit ihrer geistvernebelnden Kunst handlungsunfähig halten zu wollen. Ein Leichtes, wenn er nicht gerade der wäre der er war.

Er zog einmal prüfend an seinen Fesseln, die straff genug gebunden waren, dass es kaum möglich erschien.

Dennoch wären sie kein wirkliches Hindernis, wenn er denn entkommen würde wollen.

Wenn!

Es mochte vermessen sein, aber vielleicht war dies eine Gelegenheit schon einmal die erste Hälfte einer Wiedergutmachung aufzulösen.

Dass es Lan Zhan soweit gut ging war erleichternd zu spüren, hatte man es wohl wirklich nur auf ihn abgesehen.

Wenn dieser die Zeichen richtig zu deuten vermochte, und tatsächlich an seinem Eid festhielt, sollte es nicht mehr bedürfen als hier abzuwarten.

Vorausgesetzt man nahm sich seiner nicht vorher noch einmal an. Aber soweit es ihm möglich war, hörte er nur das leichte Ächzen von hölzernen Dielen und den Gesang einiger Vögel.

Hatte man ihn womöglich aus der Stadt herausgebracht? Allerdings konnte er nicht mehr als 2 lǐ (etwas über 1km) weit weg von Lan Zhan sein, war der dünne Faden spiritueller Energie, welchen er zwischen ihnen befestigt hatte, bevor er ohnmächtig wurde, noch intakt, und dies die exakte Reichweite die er damit überbrücken konnte.

Das regelmäßige aber etwas schläfrige Pulsieren das er von Lan Zhan's Qi darüber empfing, ließ annehmen, dass dieser noch nicht wieder aufgewacht war.

Dessen Gesicht, wenn er mitbekommen sollte, wo er die Nacht verbracht hatte, hätte er schon zu gern gesehen, brachte ihn allein der Gedanke daran zum Grinsen.

In another life the sea is in the sky - Searching for the smile of the moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt