Kapitel 26

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Als Yi Ling die Augen öffnete, fühlte er sich erbärmlich und egal wie oft er blinzelte, der milchige Schleier vor seinen Augen wollte sich nicht recht lichten. Er stöhnte laut und frustriert, raffte sich dann aber etwas unbeholfen zum Sitzen auf.

Der harzige Geruch von Räucherwerk hing schwer in der Luft.

Nur kurz darauf vernahm er Schritte, zumindest glaubte er, dass es welche waren, klang es mehr wie das sanfte Rascheln von Stoff in einer Brise.

Er blinzelte abermals angestrengt, als er eine Figur ausmachen konnte die sich näherte.

Überwiegend in weiß gekleidet, was dieser, durch das Verschwimmen seiner Sicht, einen überirdischen Schein verlieh.

„Merkwürdig...", murmelte er immer noch etwas träge im Geist.

Die Figur war nahe genug zu ihm herangetreten und kniete sich nun neben ihn.

„Trink.", wies man ihn einsilbig an und er erkannte, dass man ihm eine Schale vorhielt, die er nach etwas zögern annahm. Er roch zunächst prüfend daran. Der würzige Geruch von Kräutern stieg ihm in die Nase und nach einem gleichgültigen Schulterzucken, leerte er das Gefäß in einem Zug.

Er hustete leicht, aber fühlte sich darauf etwas besser, worauf sich nun auch der Schleier von seinen Augen zurückzog.

Das erste was er sah, waren die weißen, seidenen Lagen, in denen er saß. Die Schale die er hielt aus feinem, scheu-grünem Material, das im Licht der Sonnenstrahlen, die behäbig über das Bett fielen, nahezu durchscheinend wirkte.

„Wie fühlst du dich?", riss ihn diese Frage aus seinem Erstaunen und er wandte sich der Person neben ihm zu.

„Ah, dann hat es mich wohl dieses Mal doch erwischt.", flüsterte er mehr zu sich selbst, über den atemberaubenden Anblick der sich ihm bot, nicht im Stande, seine Augen von der Person vor sich zu nehmen.

Sie trug Lan Zhan's nüchternen Gesichtsausdruck. Auch das markante Kinn stimmte, doch war der Glanz ihrer Augen das von warmen Kerzenschein, nicht das von dunklem Bernstein.

Ihre Konturen weicher und ihre Haut mit einem seidigen Schein versehen der sie makellos erscheinen ließ. Das lange Haar zierte ein hoher Haarknoten, der von einem aufwendig gearbeiteten, silbernen guān (Haarornament) gehalten wurde, und es ewig hatte dauern müssen, diese so penibel herzurichten.

Yi Ling fiel ebenso das Stirnmal aus drei Kristallen auf, die einem sich öffnenden Blütenkelch glichen.

Wie auch deren Kleider, die Lage für Lage, aus edel schimmernden, weißen und hellblauen Stoffen bestanden, die aus reinem Schnee und Gletschereis hätten gewebt sein können.

Es war ein Anblick der ihm das Denken wirklich schwer machte. Was ihn jedoch noch nie aufgehalten hatte, dennoch seinen Mund aufzureißen.

„Welche Ebene in dìyù (1) (chin. Hölle) ist das hier? Ist meine Strafe, dass ich anschauen kann, aber nicht anfassen? Wenn dem so ist, ist das wirklich ein unmenschliches Urteil. Wo...wo kann man hier den Chef sprechen?", quasselte er sinnfrei und konnte verfolgen, wie die Ohren seines Gegenübers etwas Farbe gewannen.

„Schamlos.", war die Antwort, deren Ton er überall wiedererkannt hätte.

Yi Ling blinzelte abermals, auch wenn er bereits wieder einwandfreie Sicht hatte.

„Lan Zhan? Du bist es tatsächlich?" Seine Augenbrauen liefen Gefahr in seinem Haaransatz zu verschwinden, über diese Erkenntnis.

Dieser streckte nun eine seiner Hände aus und legte sie ihm an die Stirn und schaute ernst.

„Deine Temperatur hat sich stabilisiert. Es ist somit nicht das Fieber, das dich diesen Nonsens reden lässt."

Er zog seine Hand wieder zurück, doch griff Yi Ling unbewusst nach dessen Handgelenk. „Du bist es wirklich.", musste er sich einfach selbst überzeugen, spürte er dessen Wärme, wie auch die immense Energie die durch dessen Körper pulsierte. Es war beinahe zu viel, um es für sich aushalten zu können.

Er war noch immer überrascht genug, dass er ihn auch nicht gleich wieder losließ. Lan Zhan indes zeigte auch keine Regung, dass es ihn stören würde.

„Weißt du, ich war immer der Meinung, dass du ein attraktiver Typ wärst. Nicht so attraktiv wie ich, aber nahe dran. Doch jetzt! Es ist als habe man ein Stück reinster Jade zur Vollendung geschliffen. Oder warte...ist...ist das ein Traum?"

Irgendwie erschien ihm das realistischer, auch wenn er sich nicht wirklich vorstellen konnte, dass sein Kopf in der Lage wäre, sich Lan Zhan in solcher Perfektion auszudenken.

„Kein Traum."

„Nicht?! Wo...wo bin ich dann hier?" Er schaute sich nun doch einmal etwas eingehender um. Es war ein eleganter, wenn auch minimalistisch eingerichteter Raum. Doch war alles was diesen ausstattete, von edler Qualität. Kein Zimmer in einem noch so schicken Gasthaus, würde damit gleichziehen können.

„Du bist in der Wolkenschlucht.", klärte man ihn auf, doch änderte dies nichts an seiner Fassungslosigkeit.

„Wolkenschlucht? Du meinst dein zu Hause. Der Ort voller himmlischer Lans? DIE Wolkenschlucht?" Was um alles in der Welt hatte sich Lan Zhan dabei gedacht, ihn hier her zu bringen?

„Mn. Es war der einzige Ort, um mich bestmöglich um deine Verletzungen und dein Seelenwohl kümmern zu können." Yi Ling nahm bis jetzt noch an, das Lan Zhan es als einen Scherz abtuen würde, doch sollte er gelernt haben, dass dieser über solche Dinge keine Witze machte.

„Aber...wie hast du uns hier her gebracht? Und..." Es kam ihm stückweise wieder in seine Erinnerung, was vorgefallen war. Ihr ungewollter Abstecher in die Unheilige Ebene. Die Suche nach einem Ausgang. Der Kampf mit dieser riesigen Wolfsbestie. Wie ihn das yuàn qì schließlich überwältigte...

Lan Zhan sprach von Verletzungen und er machte ein paar Bewegungen, um diese orten zu können. Ein leichtes Ziehen ging von seinem Rücken aus, als wäre seine Haut an manchen Stellen etwas zu straff. Es kam ihm zudem wage vor Augen, dass er diese Bestie über Lan Zhan's Schultern hinweg hatte ausholen sehen und er darauf instinktiv handelte.

Yi Ling atmete langgezogen durch.

Was danach kam, konnte er nicht mehr abrufen.

„Wie hast du es geschafft, uns rauszubringen?", hinterfragte er es nochmal und Lan Zhan setzte an es ihm zu erzählen.



(1)Wen das Thema der chin Hölle interessiert, hier ein Link;

https://de.wikipedia.org/wiki/Diyu





„Du sagst also, das uns Xiāo Míngqín, oder...wie war nochmal sein Name?"

„Nie Huaisang."

„Ah. Du willst also sagen, dass uns dieser Nie Huaisang absichtlich in die Richtung der Miene gelenkt hat, um für ihn die Arbeit zu erledigen? Oh, und das dieser Nie Huaisang zudem auch noch der Bruder von Nie Mingjue ist. DEM Nie Mingjue?" Lan Zhan nickte, als wäre das Ganze nicht einfach reichlich absurd.

Dieser hatte ihm geschildert, wie Nie Huaisang in der Höhle mit dem Portal erschienen war und sie darauf hier her in die Wolkenschlucht flüchten ließ.

„Er meinte sich noch einmal persönlich endschuldigen zu wollen, sobald es dir wieder besser ginge.", teilte ihm Lan Zhan mit, klang aber nicht sonderlich angetan von dieser Absicht.

„Ich kann ihn wissen lassen, dass diese Mühe nicht von Nöten ist, solltest du es wünschen."

Ah, Lan Zhan war sauer.

Auch wenn er versuchte es hinter seinen gesetzt erscheinenden und wohl formulierten Worten zu verstecken. Es war immer wieder faszinierend, wie gut er gelernt hatte ihn zu lesen, oder seine wenigen und minimalen Gesten zu deuten.

„Nah, schon in Ordnung. Ich würde gern die ganze Geschichte dazu hören." Lan Zhan meinte, das er selbst nur diese wenigen Fakten mitgeteilt bekam, über seine Eile ihn in seinem verletzten und angeschlagenen Zustand hierher bringen zu wollen.

„Ich werde eine Nachricht übermitteln lassen.", meinte dieser nur knapp und erhob sich in einer fließenden Bewegung wieder.

„Du solltest dich weiter ausruhen." Yi Ling hatte fast angenommen, dass Lan Zhan seinen Unmut, über sein Einverständnis zu einem Treffen mit Nie Huaisang, wenigstens ein stückweit durchblicken lassen würde, doch klang dessen Aufforderung deutlich wie eine Bitte, was der offene Blick recht effektiv zu unterstreichen wusste. Es warf Yi Ling einen Moment etwas aus seinem Skript, ihm sagen zu wollen, das er in Ordnung wäre, und er folglich schlicht gefügig nickte.

„Sollte etwas sein oder du etwas benötigen, lass es Bichen und WangJi wissen." Nun musste Yi Ling doch etwas entgeistert raunen.

„Dein Schwert und deine Guqin?" Was folgte war so etwas, wie ein winziges nach oben Zucken, von Lan Zhan's Mundwinkeln.

„Du bist nicht der einzige, der einer spirituellen Waffe Form zu geben vermag.", klärte dieser ihn schon etwas selbstzufrieden auf.

Ebenso etwas, das ungewohnt war.

Lag es daran, dass er sich wieder zu Hause befand, dass er sich etwas ungezwungener verhielt? Yi Ling konnte nicht abstreiten, das er gern etwas mehr von dieser Seite an ihm würde kennenlernen wollen.

Lan Zhan trat folglich aus dem Raum, nur um kurz darauf mit zwei jungen Männern, wenn man sie so sehen wollte, wieder bei ihm zu erscheinen.

„Ah, ich dachte mir schon, dass sie ihrem Meister optisch in nichts nachstehen würden." Beide waren ebenso elegant gekleidet, mit feinen, kühlen Gesichtern, die keine Emotionen verrieten, als sie sich kurz und wortlos vor ihm verbeugten.

Ok, lass mich raten wer, wer ist.", fuhr Yi Ling Lan Zhan dazwischen, der gerade seinen Mund wieder öffnete, sicherlich, um sie ihm angebracht vorzustellen, auf das dieser innehielt, was seine Vermutung bestätigte.

„Bichen." Er deutete auf den jungen Mann in dem weißen Gewand und den mondlicht-farbenen Haaren. Seine Augen in einem lebhaften Aquamarin, die etwas Temperament beherbergten. Sein Gesicht zeigte attraktive, scharfe Züge, wo seine Haltung etwas von einer Raubkatze wiedergab.

„WangJi." Im Gegenzug, war dieser von großer, erhabener Gestalt. Sein Haar in tiefen, warmen Braun, mit weichem Glanz, wie sorgfältig lackiertes Palisanderholz. In seinen dunklen Augen lag Ruhe, wie in einer sanften Melodie. Seine Gewandung schimmerte silbrig, erinnerte an die Seiden-Saiten die Lan Zhan so gekonnt zu spielen verstand.

Beide trugen ein Stirnmal, wie ihr Meister.

„Bichen und WangJi neigten ihre Köpfe zustimmend und Yi Ling gab ein freudiges Auflachen von sich, auch wenn es wirklich nicht schwer gewesen war, die beiden zuzuordnen.

„Gut. Richte dich an sie, solange ich nicht hier bin." Lan Zhan wandte sich von ihm ab, Bichen und WangJi taten es ihm gleich, doch verharrten sie nicht, wie ihr Meister, der noch einmal einen Blick über seine Schulter warf.

„Halte dich von Dummheiten fern.", ermahnte man ihn, das Yi Ling eine trotzige Schnute zog und ihn fortwinkte.

„Dann lass mich nicht zu lange hier alleine sitzen.", murmelte er darauf etwas in sich gekehrt , nicht in der Absicht das man ihn hören sollte, doch hatte man es dennoch getan, folgte dem ein warmes, „Ich versuche es.", bevor er dann tatsächlich für sich war.

Mit einem erschöpften Seufzen legte er sich wieder hin und schloss die Augen.

Die Dummheiten mussten wohl wirklich bis später warten.



*



Die folgenden Tage brachte Yi Ling damit zu, sich von Lan Zhan weiter aufpäppeln zu lassen. Nun wo dieser seinen goldenen Kern wieder entsiegelt hatte, war dessen líng qì unerschöpflich und dieser teilte es großzügig, wenn er ihn nicht zum Meditieren anhielt.

Dieser spielte zudem jeden Morgen und jeden Abend für ihn auf seiner Guqin.

Es erinnerte ihn an die Zeit im Dorf der Wens.

Über den Tag war er allerdings oft genug allein.

Was auch immer der zweite Jade-Prinz nachzukommen hatte, ließ ihn oft erst spät wieder zurückkommen.

Yi Ling gab zu, das er sich die erste Zeit hier recht unbeholfen fühlte, was den Umgang mit Lan Zhan betraf, nun wo er sich in dessen zu Hause befand und es nicht zu ignorieren war, was diesem hier für ein Status zugehörte.

Ein anderer Sachverhalt, den er bis jetzt gar nicht wirklich in Betracht gezogen hatte war, das Lan Zhan's Linie die direkten Nachkommen von Lan An waren, dem Gründer des mächtigen Lan Clans. Was bedeutete, dass die direkten Nachfahren, ebenso einen Teil Drachenblut in sich tragen mussten.

Zuerst war er schlicht Lan Zhan der Hase, mit dem er losgezogen war. Darauf dann Lan Zhan, sein nobler, wie auch grummeliger Gefährte. Das driften in freundschaftliche Gefilde hatte auch ihn etwas überrascht, doch dann wollte er ihn als seinen Begleiter auch nicht mehr wirklich missen wollen.

Den Gedanken, einen der Jadedrachen-Prinzen an seiner Seite zu haben, blendete er darüber komplett aus.

Doch gab es hier genug Details die ihn umgaben, die einen diese Tatsache nicht vergessen ließen.

Elegant gestaltete Raumteiler mit beeindruckenden Malereien verziert. Imposante Drachen, die durch Wolken pflügten oder um schneebedeckte Berggipfel tanzten.

Oder all die Bücher in aufwendiger Drachenschuppen-Bindung (2). Jedes für sich ein kleines Meisterwerk, das von handwerklichen, wie auch kunstreichem Geschick zeugte, die den Leser, in detailliert kreativen Zeichnungen, durch Abenteuer und Legenden zu führen wussten. Nicht zuletzt, die dezenten aber gekonnt gesetzten, dekorativen Schnitzereien, die hier und da an Möbeln oder am und im Haus zu finden waren.

Es brachte die Frage in Yi Ling auf, wie Lan Zhan in seiner Drachenform aussehen mochte.

Allerdings erreichte man dieses Stadium der Kultivierung nur durch eiserne Disziplin und Können.

Etwas das am Ende dennoch Jahrhunderte dauern konnte.

Außer Frage stand für Yi Ling, das Lan Zhan sicherlich überwältigend sein musste in dieser Gestalt.

Jedenfalls war Lan Zhan's ständige Abwesenheit etwas, das nun die Langeweile in ihm aufkommen ließ.

Zuerst störte es ihn nicht weiter, schlief er meist, während dieser außer Haus war, doch nun wo er sich immer besser zu fühlen begann, machte es ihn ruhelos.

Er hatte schon versucht WangJi und Bichen etwas aus ihrer Reserve zu locken, indem er sie nach peinlichen Anekdoten zu ihrem Meister befragte. Doch waren die beiden in dieser Hinsicht, genauso störrisch verschlossen wie Lan Zhan.

Heute allerdings, überraschte man ihn damit, dass man ihm einen Schreibtisch zurechtgemacht hatte.

Handgeschöpftes Papier, ausgesuchte Tuschestäbe und eine Auswahl eleganter Kaligraphiepinsel. Zudem feine, Seidenstreifen, die sich leicht wie Morgentau zwischen seinen Fingern anfühlten und von denen er eingewebte Magie wahrnehmen konnte.

„Das ist alles für mich?" Bichen nickte leicht auf seine Frage. „Zhǔ zi (Meister) wusste um euren unruhigen Geist und wollte euch etwas Beschäftigung ermöglichen." Yi Ling war meist noch zu müde, wenn Lan Zhan früh für ihn spielte und dieser auch schon nicht mehr hier, wenn er schließlich aufwachte.

„Wie dem auch sei...", setzte Bichen fort. „...Zhǔ zi, wies ausdrücklich darauf hin, das ihr euch nicht überanstrengend sollt. Sollte dieser Fall dennoch eintreten, werden wir uns herausnehmen, dies zu unterbinden."

Ja, das klang durchaus nach einer Anweisung, die Lan Zhan ausgesprochen hatte.

„Ich werde versuchen, mich zu zügeln." Er zwinkerte Bichen verschmitzt zu, der diese Geste mit Teilnahmslosigkeit abtat und sich darauf mit einem „Wenn nichts weiter benötigt wird.", wieder zurückzog.

Mit einem Lächeln, setzte Yi Ling sich an den Tisch.

Hiermit würde er in der Tat seine Zeit vertun können.



(2)Drachenschuppen-Buchbindung; eine wirklich beeindruckende Kunst, wie ich finde. Hier ein Link, für die, die es sich mal ansehen wollen.

In another life the sea is in the sky - Searching for the smile of the moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt