Es waren einige verstörende Informationen, die ihnen durch Lìn Pòsuǒ zugetragen wurden, dass Yi Ling einem etwas gestressten Raunen freien Lauf und er sich auf das Bett in ihrem Zimmer fallen ließ.
Es war angebracht nicht zu fragwürdig zu erscheinen, indem er zu offensichtlich herumschnüffelte. Somit würden sie sich erst später am Abend wieder unter die anderen Besucher mischen und sich abermals mit der Heilerin treffen.
Er konnte nicht abstreiten, das er diesen Vorkommnissen, ein paar primitiven Yāoguài vorziehen würde. Es war immer ein Tappen im Dunkeln, mit Kreaturen die ein gewisses Maß an Verstand besaßen.
Ihr Streben konnte von einem simplen Verlangen über eine fanatische Besessenheit reichen. Dies herauszufinden war oft genug zeitaufwendig und das Beheben konnte ebenso frustrierend werden, wenn man darüber hinaus das nötige Geschick besaß am Leben zu bleiben.
Wie in ihrem Fall hier.
Es gab mehrere Faktoren, die man mit einbeziehen musste, und am Ende dennoch nur hoffen konnte, das nicht noch größeres Unheil daraus resultierte.
Dass sie es mit einer äußerst intelligenten und starken Macht zu tun hatten, wurde mit jedem weiteren Detail, das sie erfuhren, nur noch offensichtlicher.
Er hatte eigentlich gedacht, dass es mehr Abenteuer als Verantwortung sein würde, dass sie hier erwartete, als er sich dazu entschloss dieser kleinen Stadt auf den Zahn fühlen zu wollen.
Sie könnten es auch abwarten.
Laut Lìn Pòsuǒ war die Zeit des Festivals der einzige Abschnitt in welchen auch Außenstehende in die Vorkommnisse hier verwickelt wurden.
Es gab zwei Raster, nach denen man auswählte.
Aufrechterhaltung der Population.
Opfergaben für das jährliche Ritual.
Ein Ritual, das nach außen hin schlicht einem Selbsterhaltungsprinzip zu folgen schien.
Zumindest von dem was ihnen erzählt wurde.
Soweit wussten sie, dass es sich wohl um einen guǐ (Geist) handeln solle, der zu einer Frau gehörte, welcher man zu Lebzeiten nachgesagt habe, dass sie sich mit widernatürlichen Künsten befasste. Sie hätte Pflanzen nach ihrem Willen erblühen und wachsen lassen können.
Als dem Ort einst eine Hungersnot bevorstand, da der Winter in einem Jahr zu lang und kalt und der folgende Sommer zu heiß und trocken ausgefallen war, habe ihre Magie die welken Felder wieder gedeihen lassen.
Man habe sie daraufhin als eine Heilbringerin gewürdigt und ihr diesen Tempel errichtet.
Es hieß, dass sie darauf ihr Glück bei einem jungen Mann gefunden habe. Jedoch verschwand dieser eines Jahres und man sah sie nur noch selten, wenn sie nicht unter dem Granatapfelbaum auf ihn zu warten schien.
Irgendwann hörte dieser auf zu blühen oder Laub zu tragen und man sagte sich das der Baum mit ihr trauerte.
Es war wohl 10 Jahre darauf, dass Leute aus dem Ort, immer wieder spurlos verschwanden, und zur selben Zeit der totgeglaubte Baum plötzlich wieder zu treiben begann und die folgenden Jahre sogar prächtiger den je erblühte.
Es ließ die Bewohner irgendwann unruhig und misstrauisch werden.
Man beschloss den Tempel zu überprüfen, wo man schließlich Gebeine und die Leichname der kürzlich Verschwundenen unter dem alten Baum verscharrt fand. Man schrieb, dass sie wie verdorrt erschienen, mit ihren eingefallenen Leibern, denen weder Blut noch Wasser mehr inne wohnte.
Man schlussfolgerte darauf, dass die Heilbringerin womöglich vor Liebeskummer verrückt geworden sei, nachdem ihr Geliebter nicht wiedergekehrt war und der Schmerz darüber, sie schließlich zu diesem Irrsinn getrieben habe.
Der Mob versuchte die Heilbringerin zur Rechenschaft zu ziehen, doch war sie nirgendwo mehr zu finden, auf das man den Tempel niederbrennen wollte, um wenigstens diese ungerechtfertigte, blasphemische Huldigung zu beseitigen.
Es war daraufhin, dass sie sich wie aus dem Nichts zeigte und in ihrer Rage jeden angriff, der ihr zu nahe war.
Im Nachhinein kam die angsterfüllte Spekulation auf, dass sie sich womöglich ihres gebrochenen Herzens wegen, selbst das Leben genommen hatte und einzig ihr von immenser Verzweiflung getriebener Geist zu jener Zeit noch den Tempel bewohnt habe.
Man habe ihr mit einfachen Mitteln nicht beikommen können und darauf schien das Schicksal dieses Ortes für die kommenden Jahrzehnte besiegelt.
Féitián Jué war wie ein eigens angelegter Bienenstock, den man unter einer eisernen Glocke hielt.
Und selbst die Glocke war ein makabres Symbol dafür, dass die Bienenkönigin keinen ihrer Arbeiter so einfach ziehen lassen würde.
„Die Granatapfelplantagen die sich um diese Stadt ziehen; keiner von diesen Bäumen ist natürlichen Ursprungs. Jeder der versucht hat zu fliehen, fand sein Schicksal darin sich in solch einer Form wiederzufinden.", hatte ihnen Lìn Pòsuǒ erzählt und nach dem Umfang den diese Plantagen zeigten, hatte es schon zu viele Opfer gefordert.
Ihre Seelen waren in diese Bäume verwachsen, dass es für sie wahrlich kein Entkommen gegeben hatte, außer von ihrer menschlichen Hülle.
Diese Seelen waren es auch, die dieses immense Barriere-Siegel speisten und ironischer Weiße, damit ebenso dazu beitrugen, das sich niemand unbemerkt davonstehlen konnte.
Ein gigantisches Wurzelsystem zog sich unter der Stadt entlang, gleich einem feingewobenen Spinnennetz.
Und das Zentrum all dieses Wahnsinns, war, nicht wirklich überraschend, der alte Granatapfelbaum auf dem Tempelgelände.
Ihr Geist war zudem clever genug dazuzulernen, hatte er wohl über das letzte Jahrhundert verstanden, dass er seinen Bestand nur sichern konnte, wenn er dafür sorgte das seine Bienen, wenn sie zwar nicht flüchteten, ihm ebenso wenig einfach wegstarben.
Um eine Stadt lebendig zu halten, brauchte es genug Bewohner. Brauchte es Nachwuchs.
Worauf dieses Festival in jedem Jahr abgehalten worden war.
Nicht zu vergessen die Kinder.
Yi Ling schauderte es vor Abscheu und Ärger, je länger er sich das ganze abermals durch den Kopf gehen ließ.
Es war ein perfides Geflecht, von welchem er nicht glauben wollte, dass es nicht noch einen tieferen Sinn besaß.
Solch ein enormer und komplex gestalteter Aufwand, sprach für ihn deutlich vom Gegenteil.
Letztendlich hatte ihr Geist alles recht gut auskalkuliert und sie konnten von ihrer Seite her, bei einigen Dingen nur mutmaßen. Was es ziemlich kompliziert machte, wenn man nicht wusste, was einen tatsächlich noch alles erwarten würde, sollten sie versuchen dem Ganzen ein Ende setzen zu wollen.
Das Problem war, das sich die Geisterfrau nur für die letzten shíchen (ca. 2 Stunden) des Festivals zeigte, danach wieder für ein ganzes Jahr verschwunden blieb und nur ihre eisernen Zügel über den Ort noch deutlich machten, dass sie noch immer präsent war.
Lìn Pòsuǒ war auch nicht einverstanden ihre eigenen Leute in ein womöglich blutiges Ende zu schicken, gegen welches sie sich nicht einmal richtig erwehren konnten, standen sie schließlich unter einem fremden Einfluss.
Er erinnerte sich noch recht lebhaft an dieses Gespinst, das er sich am ersten Abend aus seinem Körper gezogen hatte und so wie es aussah, war dies eine gängige Methode die Leute hier kontrollierbar zu halten.
Es bedeutete also, dass sie unbemerkt zu besagter Geisterfrau vordringen müssten, um diese dann auch schnell und effizient zur Strecke zu bringen.
Etwas, das leichter gesagt als getan wäre.
Weswegen Yi Ling auch ein weiteres, unschlüssiges Raunen von sich gab, über die Aufstellung eines handfesten Plans.
„Lan Zhan. Wie wäre es mit etwas Unterhaltung, hm? Ich hab den Kopf so voll und komm nicht weiter. Gibt es nicht ein Lied von euch, das du mir singen könntest? Irgendwas Nettes? Irgendwas mit hübschen Mädchen und nie versiegenden Weinquellen?" Yi Ling stippte den Beutel, in den sich Lan Zhan meist zurückzog, mit dem Zeigefinger an, doch zeigte sich der andere wie immer unzugänglich über seine Offerten.
„LAN ZHAAAAN...", Er piekte diesen wiederholt und unnachgiebig, bis er ihm ein grantiges „Genug damit!", entgegen brachte, dass es ihn breit grinsen ließ, er aber mit seinem Gestichel dennoch nicht innehielt, hatte man ihm noch immer nicht auf seine Bitte geantwortet und er fühlte sich momentan wirklich etwas gestresst und ruhelos.
„Sing mir was. Sing. Mir. Was. Komm schon! Als Dank, dass ich mich um dich kümmere, hm? Es ist doch nicht viel verlangt, oder? So undankbar kannst du doch nicht sein, oh großer Rammler und Finder des Chaos. Herr über Schnee und Wuschelschwänzchen. Meister des...."
„Noch nie begegnete mir solch ein Wesen mit derartig nerviger Unverschämtheit!", unterbrach man ihn erzürnt in seinem sinnfreien Gesäusel, doch noch bevor Yi Ling hätte etwas weiteres nachsetzten können, vernahm er das melodische Summen einer Melodie in seinem Kopf, das in Worte, gesungen in einer tiefen aber angenehmen Stimme, überging, dass es ihn für einen Moment tatsächlich wie gebannt hielt, bevor sich ein seichtes Lächeln auf seine Lippen legte und er die Augen schloss.
Es mochte keine Weise über schöne Maiden und süffigen Wein sein, doch ließ es dennoch eine warme, innere Ruhe in ihm zurück, die seinen Geist aufklarte und seine Gedanken wieder schärfte.
Als das Lied verstummte, blieb ein versonnener Ausdruck auf seinem Gesicht zurück.
„Das war wirklich schön. Danke."
Lan Zhan erwiderte nichts weiter dazu, schaute ihn jedoch abwartend an.
Ein Ausdruck den er schon gelernt hatte an ihm zu deuten.
Und er glaubte auch zu wissen, warum man ihn so anvisiert hielt.
„Ok, ich gebe zu, das ich etwas Hilfe gebrauchen könnte. Ich bin es halt nicht gewöhnt jemanden dabei zu haben, wenn es um das ausklügeln von Plänen geht." Lan Zhan hatte ihn, als sie Lìn Pòsuǒ's Haus wieder verließen gefragt, was sie nun tun sollten, und er ihm damit geantwortet, das er sich schon was einfallen lassen würde.
Lan Zhans Reaktion war nicht mehr als ein zweifelndes „Hm.", gewesen was ihn umso sturer an der alleinigen Umsetzung einer Strategie festhalten ließ.
Nun allerdings musste er zugeben, dass er sich albern verhielt, ging es hier nicht um irgendeine egobezogene Nichtigkeit. Zudem hatten sie auch nur noch 2 shíchen.
„Überfällig.", ließ dieser ihn wissen, dass es Yi Ling etwas trotzig die Backen aufblasen ließ.
„Nun, wie weit bist du mit deinen Gedanken gekommen?", überging man seine Mätzchen routiniert und er ließ es auch erst einmal dabei.
*
Wangji musste sich eingestehen, das so manche Dinge in Bezug auf Yi Ling einfach nicht hinterfragt werden sollten und es besser für seine Nerven war, diese schlicht hinzunehmen.
Er war sowieso nicht in einer Position, etwas verhindern zu können.
Sie hatten diverse Optionen durchgespielt, wie sie unbemerkt auf das Tempelgelände gelangen könnten, was an sich nicht wirklich Früchte getragen hatte, gab es ebenso einige Faktoren zu bedenken, wie es danach weiter verlaufen sollte. Es bestätigte sich, dass das gesamte Grundstück unter magischer Überwachung stand und ungebetene Personen sofort erkannt werden würden. Dies funktionierte auf dem Prinzip, das sämtliche Dienerinnen ihrer Geisterfrau mit einer Markierung versehen waren. Es war nichts, dass man von außen erkennen und somit einfach kopieren konnte.
Eine innere Signatur.
Lìn Pòsuǒ in ihrer Rolle als Heilerin war die einzige Ausnahme, doch würde Wangji nicht behaupten, dass sie damit ein besseres Schicksal herausgeschlagen hatte.
Die Geisterfrau war auf deren Können und Wissen angewiesen, doch war es nur eine Freiheit im Geist, die ihr dadurch gelassen wurde.
„Die Frauen in meiner Familie haben diese Position seit dieser Fluch über unseren Ort kam. Es gibt ausführliche Schriften über diese Zeit, wie sehr es den Menschen hier zugesetzt hatte. Es mag am Ende nur ein verschwindender Erfolg sein, doch bin ich stolz darauf, dass meine Familie versucht hat, wenigstens ein kleines Stück dazu beizutragen, dieses Drama abzuschwächen. Zuvor waren die meisten nicht mehr als Nutzvieh, für diese Kreatur, und ihre Zwecke.
Sie waren nicht in der Lage jedes Opfer zu verhindern, aber ihre Motivation diese Stadt nicht im Stich lassen zu wollen, ist etwas das auch mich bewegt. Vor allem wegen den Kindern."
Die Dienerinnen der Geisterfrau, welche im Tempel lebten, so stellte sich heraus, waren keine Menschenfrauen, sondern von ihr erschaffene Geschöpfe, die Lìn Pòsuǒ nur als Baumpuppen bezeichnete.
Um diese so menschenecht wie möglich erscheinen zu lassen, war eine weitere Opfergabe notwendig.
Das junge Blut der Kinder.
Wangji mochte sich nicht vorstellen, wie es den Eltern ergehen würde, müssten sie deren perfiden Nutzen mit klaren Verstand hinnehmen und stets damit rechnen, dass das ihre womöglich nicht wieder zurückkommen würde, da es solch eine Prozedur nicht überstanden hatte.
Doch da die gesamte Stadt sich in einer Trance befand, nahm niemand Kenntnis von all den Dingen, die hier im Geheimen vor sich gingen und es war schwer zu entscheiden ob dies zum Vor- oder Nachteil der Bewohner angesehen werden sollte.
Sein Blick fiel auf Yi Ling zurück, während sie auf Lìn Pòsuǒ warteten, um mit ihr gemeinsam zu besprechen, welche Löcher es in ihrer Strategie noch zu stopfen galt. Sie hatten sich wieder etwas abseits des Trubels begeben, war ein Treffen in ihrer Herberge keine sichere Option, würden die Baumpuppen die Heilerin auf jeden Fall erkennen. Auch blieb ihnen nicht viel Zeit, war ihr Erscheinen im Tempel eine festgelegte Routine.
Es war wirklich zu erhoffen, das sie diesem ganzen Spuk ein Ende bereiten würden können.
Es gab ein altes Getreidelager, welches nicht mehr benutzt wurde, zu dem sie sich schlichen und in den Schatten auf Lìn Pòsuǒ warteten, um es dann gemeinsam mit ihr zu betreten.
Yi Ling brachte abermals seine Talismane aus, die dafür sorgten, das nichts von ihrem Gespräch nach draußen dringen würde.
Die junge Frau, schaute beeindruckt, doch fand sie rasch zu ihrer Besinnung zurück und griff nach dem kleinen Beutel den sie an ihrer Seite trug.
„Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt benötigt werden." Sie zog ein paar ihrer eigenen Siegelzettel hervor.
„Aber wohl eher nicht." Yi Ling griff nach einem ihrer Talismane, erneut ein Ausdruck von Wunder in seinem Gesicht, das ungewohnt wirkte, ließ es ihn nahezu unschuldig jungenhaft erscheinen.
„Nur keine falsche Bescheidenheit Lin gū niang.", erwiderte dieser. „Diese Talismane sind faszinierend ungewöhnlich. Wie ist es euch gelungen sie herzustellen? Das Qi das sie enthalten..." Yi Ling zeigte sich konzentriert, als würde er Teile eines Puzzles zurechtschieben. „Oh." Dieser schaute plötzlich begeistert. „Das ist wirklich grandios. Natürliches Qi? Wie war es euch möglich es zu extrahieren und zu binden?" Nun hörte auch Wangji genauer hin.
„Natürliches Qi? Du meinst wie es von der Natur her in jedem Lebewesen vorhanden ist?" Es war natürlich nicht unmöglich sich diese Kraft zu Nutze zu machen. Der Mensch fand sie in pflanzlicher Medizin. Seiner Nahrung. In den Elementen. Doch es direkt zu entziehen, nur die pure Essenz zu nutzen, dem gehörte wahrlich tiefreichendes Wissen und Geschick an, von dem er annahm, das es nur den Seinen vorbehalten sei.
„Genau. Faszinierend nicht wahr? So viele Möglichkeiten, die sich damit verbinden ließen."
Lìn Pòsuǒ schaute nicht zum ersten Mal abmessend über Yi Lings Neugier, war es ihr nicht zu verdenken, dass sie ihr Wissen nicht so einfach preisgeben wollte.
„Es ist eine Art der Kultivierung die meine Familie seit Generationen praktiziert und verfeinert hat.
Niemand von uns war je mehr als ein simpler Heiler. Doch fanden wir einen eigenen Weg, mit dem Wissen das uns unsere Berufung verlieh." Yi Ling raunte verstehend. Es sah so aus als akzeptiere er das Gewicht das fest auf diesem Familiengeheimnis ruhte und welches auch seine Neugier nicht einfach zur Seite schieben würde.
„Wahrlich eine beeindruckende Kunst. Und für diese hier..." Er raschelte etwas mit dem Talisman in seiner Hand. „...spreche ich euch und eurer Familie wirklich Bewunderung aus."
Lìn Pòsuǒ nickte schlicht als Anerkennung.
„Also, zurück zu unserem Plan.", hörte er ihn darauf sagen und Wangji wünschte er könne darauf verweisen, dass besagter Plan nicht gänzlich mit seinem Einverständnis einherging.
Lìn Pòsuǒ skeptischer Ausdruck war nicht wirklich verwunderlich, als Yi Ling seine Idee, sich als eine der Baumpuppen auf das Tempelgelände zu schleichen erklärt hatte, sie aber auch keine Einwände vorbrachte, wäre es tatsächlich die praktischste Lösung für ihr Problem.
Allerdings lag es nun an der Sache der Umsetzung, da eine simple Verkleidung wenig Effekt haben würde, solange dieser einzigartige Stempel fehlte, der ihn als eine der Baumpuppen erkenntlich machen würde.
„Ich denke ich könnte eine künstliche Signatur herstellen. Da ihre Existenz auf dem Blut der Kinder aufbaut könnte ich sie kopieren." Wann immer es um die Kinder ging, zeigte sich auf ihrem Gesicht ein Ausdruck von schwerer Melancholie. Sie sprach nie von einem eigenen Spross, doch hatte Yi Ling das Gefühl, dass es dennoch eine eigene Geschichte für sie dazu gab. In Anbetracht der vorherrschenden Situation, in welcher sich diese Stadt befand, war anzunehmen, dass es keine erfreuliche wäre.
„Wir müssten die Puppe auf dem Weg zurück in den Tempel austauschen, damit es nicht auffällt." Sie schaute Yi Ling daraufhin prüfend an. „Es muss ohne unnötiges Aufsehen funktionieren. Die anderen Puppen sind nicht darauf ausgelegt, sich über ihre Aufgabe hinweg miteinander zu beschäftigen. Solange wir sie optisch ausreichend täuschen können, sollte es machbar sein." Sie seufzte folglich, stützte ihre Hände in die Hüften und legte ihren Kopf in den Nacken. „Wenn es schief gehen sollte...es stehen nicht nur unsere Leben auf dem Spiel." Dann richtete sie einen resoluten Blick zurück auf Yi Ling. „Es muss funktionieren, eine andere Option gibt es einfach nicht. Dieser Fluch muss endlich zu seinem Ende kommen." In ihrer Stimme waren nahezu greifbare Emotionen eingeflochten.
Wut.
Hilflosigkeit.
Sorge.
Entschlossenheit.
Yi Ling lächelte verstehend. „Ich kann nur versprechen, dass wir unser Bestmöglichstes versuchen. Dass es unerwartete Probleme gibt ist nicht auszuschließen, aber ich denke, dass wir diese Gelegenheit nutzen sollten, um dieser Tragödie endlich ein Ende zu bereiten."
„Ich höre immer wir. Wie viele sind, „Wir" genau?", hakte sie etwas zweifelnd nach, dass es Yi Ling nur noch breiter strahlen ließ.
Wangji wusste was nun folgen würde, noch bevor dieser den Zauber von ihm nahm und er nun auch für Lìn Pòsuǒ sichtbar wurde.
Das ihr buchstäblich der Mund aufklappte über diese, für sie wohl recht merkwürdige Offenbarung, konnte er nachvollziehen.
„Der Hase? Er gehört zu ihnen?" Sie schaute rasch in Yi Lings Gesicht, hatte sie wohl so einige Fragen auf den Lippen.
„Ihr zwei? Niemand sonst? Ein Hase und sie?" Sie klang verständlich fassungslos und schüttelte darauf auch ungläubig ihren Kopf. „Ich kann nicht sagen, dass ich viel erwartet hätte, aber das ist nun doch etwas..."
„Enttäuschend?" Yi Ling klang nicht gekränkt über seine Auslegung, eher amüsiert, dass es Lìn Pòsuǒ abermals seufzen ließ.
„Was kann dieses Tier ausrichten? Das letzte Mal als ich es sah, war es dabei von einer Katze gemeuchelt zu werden." Ah, das war eine Information die er gehofft hatte nie mit Yi Ling teilen zu müssen und nun warf man ihm diesem Kerl quasi zum Fraß vor.
„Lan Zhan!", hörte er darauf auch schon dessen nervige Stimme in seinem Kopf, war er wenigstens umsichtig genug, ihn nicht direkt vor Lìn Pòsuǒ zum Gespött zu machen.
„Ich wäre schon zurechtgekommen.", versuchte er sich zu rechtfertigen. Etwas das ebenso auch an seinem Stolz kratzte, wusste er, dass es lächerlich war und er normalerweise über solchen Dingen stand.
Yi Ling war allerdings die irritierenste Person die ihm je begegnet war.
„Hm...wenn du meinst.", war dann überraschenderweise alles was dieser dazu zu sagen hatte, sein Ton weder aufziehend noch bemitleidend. Eher klang er verstehend? Aber das bildete er sich sicherlich nur ein und es unterstrich seine Ansicht nur noch deutlicher.
Er konnte ihn einfach nicht richtig einschätzen.
„Keine Sorge, wir sind ein eingespieltes Team. Stimmt's nicht Lan Zhan?", verkündete dieser darauf schlicht, und er spürte dessen Finger, die ihn keck hinter den Ohren kraulten. Yi Ling konnte seinen schnappenden Zähnen abermals entkommen und behielt sein Grinsen ebenso bei.
Lìn Pòsuǒ rieb sich zweifelnd über ihre Stirn und es war ihr nicht zu verdenken.
*
Es war der vorletzte Abend des Festivals und ihre letzte und einzige Chance an den Geist heranzukommen, zeigte sich dieser nur direkt, wenn das Ritual ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Die Blüte des Granatapfelbaumes.
Nun ging es darum, dass sie in den Tempel gelangten, ohne aufzufliegen. Der Abend neigte sich seinem Ende, was bedeutete, dass die Baumpuppen bald wieder zurück in den Tempel kehren würden.
Sie hatten sich abermals in dem verlassenen Speicher zusammengefunden, um ihren Plan ins Rollen zu bringen.
Lìn Pòsuǒ hatte eines der Kleider besorgen können, die die Puppen trugen und ebenso all die anderen Utensilien, um Yi Ling so authentisch wie möglich zurecht zu machen.
Wangji war noch immer der Meinung, dass es nicht funktionieren würde, selbst wenn dieser die Signatur an sich trug.
Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Yi Ling das Zeug hatte, als eine dieser femininen, zierlichen Frauen durchzugehen.
Somit beschäftigte er sich damit, noch einmal all die Dinge durchzulesen, die sie sich notiert hatten, als darauf zu achten, wie man Yi Ling gedachte herzurichten.
Ein weinerliches „Au, Au, Au...", war zu hören, gefolgt von Lìn Pòsuǒ's ergebenen Seufzen.
„Nun stellen sie sich nicht so an. Um das Haare machen kommen sie nicht drum rum.", wies sie Yi Ling zurecht, der darauf ein schmollendes Murren von sich gab. Wangji atmete innerlich ebenso zweifelnd durch.
Es war etwas später, als er ein skeptisches Raunen von ihr vernahm. „Soweit mag alles stimmen, aber..." Wangji drehte seinen Kopf den beiden zu und musste doch kurz in seinen Gedanken innehalten.
Yi Ling war so gesehen nicht wieder zu erkennen, mit der penibel gemachten Frisur und dem gekonnt aufgetragenen Make up. Der elegante Hanfu wirkte allerdings etwas merkwürdig an seiner Figur. Selbst wenn er mit seinen Gesicht überzeugen könnte, gab sein sehniger, und nicht unbedingt zierlicher Körper nicht das Bild wieder, das diese grazilen Puppen ausmachte. Sein freiliegendes Dekolleté zeigte zu prominente Schlüsselbeine und fehlende Oberweite. Zudem waren auch seine Hände, erkennbar die eines Mannes.
Das Gewand mochte durch seinen fallenden Stoff, fehlende Kurven übertünchen können, dennoch wirkte es nicht so recht stimmig.
Yi Ling selbst schien auch nicht überzeugt genug, nach dem Blick in einen Spiegel, den er mit etwas Magie erzeugt hatte.
„Ok, dann müssen wir es wohl doch anders angehen." Damit zog er einen unbeschrifteten Talisman hervor und ließ sich von Lìn Pòsuǒ das Blut, welches die Signatur kopieren sollte, in einem Flakon reichen.
Yi Ling ritzte sich seinen Zeigefinger ein und zeichnete einige Symbole auf das Papier, die er darauf mit weiteren Zeichen im Blut aus dem Fläschchen ergänzte. Schließlich klemmte er das Papier aufrecht zwischen Zeige- und Mittelfinger, schloss seine Augen und konzentrierte sich.
Wangji sah den Hauch an goldener Energie durch die Symbole des Talismans fließen.
Mit einem etwas zu tiefen Durchatmen, kam Yi Ling wieder zu sich.
Wangji entging nicht die Hand die Yi Ling kurz über seiner Brust in dem Stoff des Hanfus festigte, genau wie die Anspannung in dessen Unterkiefer, bevor sich dieser wieder fasste und eines seiner Grinsen aufsetzte.
„Rein theoretisch sollte es funktionieren.", meinte Yi Ling im Echo eines Déjà-vu und noch bevor Wangji oder Lìn Pòsuǒ die Möglichkeit hatten zu hinterfragen, was funktionieren sollte, legte sich Yi Ling den Talisman unter einem Murmeln auf seine Brust, worauf ihn ein weißes, blendendes Licht umfasste. Man das angestrengte Grollen und Japsen vernehmen konnte, dass dieser von sich gab, als durchleide er einiges an Schmerzen.
Es saß in einer unangenehmen Empfindung in Wangji, das Yi Ling wieder etwas getan hatte, das diesem selbst abermals zu viel abverlangte.
Warum nur, war dieser stets so unbesonnen, in solchen Dingen?
Das Licht wurde wieder schwächer und es war nicht unbedingt verwunderlich, als Yi Ling auf seine Knie sank und angestrengte Atemzüge von sich gab.
Lìn Pòsuǒ war sofort mit ihm zu Boden gesunken und schaute etwas überfordert über dessen Zustand.
„Yi Ling?", rutschte es Wangji in einem Ton hervor, den er keinesfalls mit Besorgnis verband, sondern einzig mit einer etwas zu weich geratenen Schellte.
„Nur keine Sorge.", gab dieser immer noch etwas matt von sich, doch klang es dennoch merkwürdig hell.
Dann hob Yi Ling sein Gesicht und richtete sich mit Hilfe von Lìn Pòsuǒ wieder auf.
Diese gab ein beeindrucktes Pfeifen von sich und auch Wangji musste zugeben, dass er etwas perplex war.
Hatte Yi Ling zuvor noch etwas unbeholfen in seinen Kleidern gewirkt, so füllte er sie nun perfekt aus.
Er war etwas kleiner als zuvor, dafür aber graziler in seiner Statur. Seine Haut wirkte weich und zeigte sich makellos. Auch sein Gesicht sah nun feiner und femininer aus, das ein Vergleich zu Yi Lings eigentlicher Erscheinung doch schwer fallen würde.
Einzig seine Augen waren noch vertraut.
Yi Ling zwinkerte ihm neckend zu, hatte er diesen wohl etwas zu lange gemustert, das er seinen Blick wieder von ihm abwandte.
„Aww, Lan Zhan, nur nicht so schüchtern.", vernahm er dessen aufziehenden Ton und noch bevor er sich versah, war Yi Ling zu ihm herangetreten, nahm ihn auf und presste ihn sich in einer unmöglichen Geste einer Liebkosung gegen seine ungewohnten, aber dennoch vollen Brüste, das Wangji vor lauter Scham und Fassungslosigkeit die Worte wegblieben. Das einzige was er tun konnte, war in dessen Halt zu strampeln, in der Hoffnung, dass dieser ihn wieder absetzen würde.
Yi Ling gab ein inniges Lachen, über seine Anstalten, von sich und es regte Wangji widerholt auf.
Wie oft war er nun schon zum Witz für Yi Ling geworden!?
Dieser konnte sich sicher sein, sollte er wieder zu seiner eigentlichen Form zurückfinden, dann würde er...
Ah, es war zum Verzweifeln, das er sich überhaupt auf solch eine Ebene der Frustration begab, war dies am Ende nichts weiter, als eine weitere Blamage für ihn.
Man schien nun doch genug Amüsement aus ihm herausgeschlagen zu haben, setzte Yi Ling ihn nun endlich wieder ab, und begab sich zurück zum Spiegel um sich zu richten.
„Dann wollen wir mal.", meinte er darauf schlicht und auch wenn man es so nicht hören mochte, hing ein gemeinsames tiefes Durchatmen zwischen ihnen in der Luft.
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In another life the sea is in the sky - Searching for the smile of the moon
PertualanganLan Wangji, hat seinen himmlischen Clan verlassen, um, als Teil seiner Lehren, die Welt der Menschen zu bereisen. Die Begegnung mit einem Fremden der ihm nicht geheuer ist, und ein Kampf gegen eine Unheil verbreitente Kreatur, bringt Wangji in eine...