Kapitel 30

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„Lan Zhan!" Wangji hatte bei seiner Rückkehr nicht damit gerechnet, dass Yi Ling, so früh am Morgen, noch oder wieder munter wäre, noch dass dieser vor dem Haus auf ihn warten würde.

Er sah deutlich besorgt aus. Wangji setzte auch schon dazu an sich zu endschuldigen, schien es sein Verschulden, dass dieser solch einen Ausdruck überhaupt erst zeigen musste.

Sein Onkel bekundete, wie angenommen, merkliches Missfallen an seiner Endscheidung, Yi Ling mit in die Wolkenschlucht gebracht zu haben, ohne irgendjemanden weiter davon in Kenntnis zu setzen.

Wangji sah diesen Grund als recht eigennützig an, ging es den Ältesten, wie auch seinem Onkel in diesem Fall mehr darum, die Kontrolle über sein Tun und seinen Gast halten zu können.

Sein eigenes Urteilsvermögen, das Yi Ling keine Gefahr für ihre Gemeinschaft darstellte, war ebenso nicht gewichtig genug gewesen, um seinen Onkel zu beschwichtigen.

Dieser hatte ihn nicht nur einmal daran erinnert, dass er nicht irgendwer sei, sondern ein Mitglied der Hauptfamilie und er sich auch dementsprechend zu verhalten habe.

Dass er seinem Onkel in Yi Ling's Beisein ein stückweit respektlos begegnet war, wusste Wangji.

Es war eine kleine Rebellion gewesen, auch um seinem Onkel zu zeigen, dass Yi Ling einen Stellenwert in seinem Leben hatte, den er sich nicht würde marode reden lassen. Denn er wusste genauso gut, dass man ihn am liebsten unter dieser silbernen Kuppel des Lan Clans halten wollte, um besser über sein Leben entscheiden zu können.

Dass man ihn in die Menschenwelt ziehen ließ, war letztendlich seinem Bruder zu verdanken gewesen. Auch wenn dieser es nie erwähnte, so wusste er, dass er es ihrem Onkel als einen Prozess hatte annehmbar reden können der, der Reifung seiner Persönlichkeit dienlich sein würde. Etwas das ihre Prinzipien untermauerte und es nur eine Bereicherung für ihren Clan wäre.

Xichen hatte es schon immer verstanden mit Worten umzugehen, sich diplomatisch zu zeigen. Eine Eigenschaft, die ihn zu einem exzellenten Clan Oberhaupt machen würde.

Ihr Onkel mochte ihn daraufhin ziehen gelassen haben, doch beruhten dessen Werte und die Bindung an ihre Traditionen auf etwas Diktierendem.

Etwas das nicht erlauben würde, wonach es Wangji verlangte.

Yi Ling stand nun direkt vor ihm, und musterte ihn als wäre er ein Rätsel das es zu lösen galt.

„Hat es Ärger gegeben? Wegen mir?", erkundigte er sich darauf, der Ernst auf seinem Gesicht ein seltenes Bild.

„Es ist nicht dein Verschulden. Onkel sieht die Ordnung in der Strenge. Er war lediglich missgestimmt darüber, dass ich dein Hiersein nicht offiziell mitgeteilt habe."

Yi Ling sah nicht wirklich überzeugt aus, doch war es Teil der Wahrheit.

Es überraschte Wangji, als dieser nach einer Hand von ihm griff, obwohl er es gewohnt sein sollte, dass Yi Ling mit solchen Gesten recht freizügig umging.

In diesem Fall allerdings, war es dessen scharfsinnige Aufmerksamkeit, wie er sogleich feststellen musste.

„Was ist mit deinen Händen passiert?" Yi Ling drehte sie behutsam, sodass er sie sich eingehend ansehen konnte und wirkte sichtlich unerfreut.

Wangji mochte keine Scham für seine kurz gezeigte Aufmüpfigkeit gegenüber seines Onkels verspürt haben, doch war der beste Weg diesen nicht noch weiter aufzuregen, für solch einen Akt auch die Konsequenzen zu tragen. Es half seinem Fall, dass er dies von sich aus vorgebracht hatte, so wie es sein Onkel auch erwartete.

Seine Strafe war der Aufenthalt im Raum der Widerbesinnung.

Eine Kammer zwischen ihrem Zeitgefüge, in welcher eine Stunde der Außenwelt, einem ganzen Tag glich.

Es war ein Ort den sie für exzessives Training des Körpers und zur Erweiterung des Geistes nutzten. Oder eben um sich den Anker ihrer Moral gegenüber des Clans wieder ins eigene Bewusstsein zu rufen.

Disziplinierung; um es kurz auszudrücken.

„Nichts, was nicht von selbst wieder verheilen würde." Ebenso die Wahrheit, doch konnte er nicht abstreiten, dass ihn, nun wo er wieder bei Yi Ling, wieder zu Hause war, ihn die Erschöpfung einholte, die er mit einem leichten Lächeln für den anderen zu überspielen versuchte.

Dieser gab ein tadelndes Schnalzen von sich. Griff ihn folglich an einem Handgelenk und zog ihn, unter mahnenden Gemurmel, mit sich in das Haus, wo er sich kurz darauf schon von ihm verarztet befand.

Auch wenn dies wirklich nicht von Nöten war, so ließ sich Wangji von ihm ermahnen und versorgen, alles mit einem zugetanen Lächeln auf den Lippen und dem anschwellenden Strom an Farben in seinem Herzen.


***

Cǎiyī Chéng zeigte sich ausgelassen, als sie sie erreichten.

Yi Ling wusste noch von Nie Huaisang, dass es hier ein Festival geben sollte, doch hatte er nicht damit gerechnet, das Lan Zhan ihn dazu einladen würde.

Ein Grund sich nur noch vergnügter zu fühlen.

Lan Zhan hatte für ihren Besuch, seinen göttlichen Glanz verfälscht und die Kleider, gegen ein dezenteres Gewand getauscht, um weniger hervorzustechen. Yi Ling allerdings wusste aus Erfahrung, dass es dennoch mehr bedürfen würde, um ihn tatsächlich unscheinbar erscheinen zu lassen.

Allein wie dieser auftrat und seinen Körper stets in würdevoller Haltung hielt. Stattlich gebaut und elegant großgewachsen, lud er zum Hinsehen ein und das zeigte sich auch in den einen oder anderen Blicken die man ihnen zuwarf.

„Lan Zhan, mit dir an meiner Seite, werden all die hübschen Maiden ganz mutlos mich anzusprechen.", ließ er ihn in einem neckenden Ton wissen, und lachte auch selbst über diese Wahrheit.

Nicht, dass er vorgehabt hätte irgendwelchen Avancen folgen zu wollen, hätten sich welche gezeigt.

Dafür war ihm dieser Abend einfach zu kostbar, war es lange her, dass er zusammen mit Lan Zhan etwas Trubel beiwohnte und das wollte er ausnutzen. Zumal es wohl auch das letzte Mal wäre, hatte er beschlossen, dass ein Herauszögern seines Weiterziehens nur seinem eigenen Egoismus zugutekam.

Allerdings machte Lan Zhan mit einem Male den Eindruck, als würde ihn das Hiersein mehr abverlangen, als er zugeben wollte, war sein zuvor noch entspanntes Auftreten einer steiferen Manier gewichen, die seinen Blick gesenkt und unglücklich zeigten.

„Ah, Lan Zhan. Es ist in Ordnung, wenn du wieder gehen möchtest. Oder dir eine ruhigere Ecke lieber wäre." Er wollte auf keinen Fall, dass dieser sich wegen ihm zu etwas zwang. Es wäre zwar etwas schade, aber er würde es auch überstehen, wenn sie wieder zurückkehrten.

Ihm ging es hauptsächlich um dessen Präsenz an seiner Seite. Vielleicht könnte er ihn ja zu einem kleinen Spaziergang, etwas abseits überreden.

Über seine Überlegung war ihm entgangen, dass Lan Zhan angehalten hatte, worauf er etwas verdutzt zu ihm zurückschaute.

Er wirkte weiterhin verkrampft, das er wieder zu ihm aufschloss um sich zu erkundigen, ob es ihm gut ginge, doch kam ihm dieser mit seinen nächsten Worten zuvor.

„Möchte Yi Ling das ich gehe? Es war nicht meine Absicht seine Pläne zu stören. Wenn er lieber für sich das Fest erkunden möchte." Yi Ling lag die Frage auf der Zunge, ob Lan Zhan scherzte, doch sagte ihm dessen nachdenklicher Ausdruck, dass er es durchaus ernst meinte.

„Was soll diese Frage?" Es war lächerlich, das Lan Zhan annahm, das er lieber ohne ihn hier wäre, das er darüber eine Hand von ihm griff und in einem beherzten Akt dessen Finger mit seinen verschränkte.

Lan Zhan wirkte über diese forsche Geste erwartungsgemäß überrascht, dass Yi Ling schon darauf wartete, dass er sich seiner Hand mit einer Ermahnung wieder entziehen würde. Jedoch verstrich dessen Irritation im nächsten Moment schon wieder und statt von ihm zurückzutreten, schloss dieser seine Hand etwas fester um die seine, dass es nun Yi Ling war der sich überrumpelt fühlte.

Aber auch nur für einen Atemzug.

„Solch einen Eifer lob ich mir, Lan Zhan.", meinte er heiter und mit heftig schlagendem Herzen und zog diesen gradewegs mit sich ins Getümmel.



Yi Ling fühlte sich drunken, obwohl er noch keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hatte. Doch lag dies eher an Lan Zhan's beständiger Nähe und dem Geist der Festlichkeiten.

Er mochte die Dynamik solcher Veranstaltungen. Das Tanzen und Singen. Die Farben der Gewänder und Dekorationen. Die Gerüche von herzhaften Speisen und süßen Leckereien. Die Unterhaltung.

Sie folgten gerade einem Puppenschauspiel, das einige Zuschauer angelockt hatte.

Eine Geschichte über Drachen und Helden, das die Kinderherzen begeisterte und welches die Alten nostalgisch lächeln ließ.

Das Stück trug den klanghaften Titel, „Die Jade Prinzen von Gusu" und Yi Ling konnte nicht anders als laut und angetan aufzulachen, als er erkannte das die Puppen der Brüder, Gewänder trugen die denen von Lan Zhan's Sippe recht ähnlich waren.

„Was ist das für ein Märchen? Lan Zhan!" Man hatte seine neugierige Erheiterung wohl als Spott verstanden, stieß ihn darauf ein Junge in einfach gewebter, etwas abgetragener Kleidung gegen sein Bein und schaute darauf mit frechen Augen und vor der Brust verschränkten Armen zu ihm hinauf. Verbunden mit einem missbilligenden Schnalzen.

„Sie sind wohl nicht von hier, was!?"

Yi Ling lauschte folglich mit ehrlichem Interesse, als dieser ihn daraufhin bedeutungsvoll erklärte, dass es kein Märchen sei, sondern eine wahre Geschichte. Jeder in Cǎiyī Chéng kannte die Heiligen Berge; die Wolkenschlucht. Ein Ort wo die Götter wohnten und die Drachen ruhten. Er verlor sich etwas in seiner Ausmalung über deren Heldentaten, dass es Yi Ling zugetan schmunzeln ließ und er hier und da einen beeindruckten Laut von sich gab.

Am Ende raunte Yi Ling erleuchtet. Ein Blick auf Lan Zhan und ihm schlug das Herz abermals höher, lächelte dieser ein wenig aufziehend über seine gerade erhaltene Standpauke.

„Da hörst du es.", meinte dieser darauf ernst. „Keine ungebildeten Scherze über die Jade Prinzen." Damit ging er ein Stück in die Hocke und reichte dem Jungen ein kleines Silberstück. „Danke für deine Erklärung." Der Junge schaute reichlich erstaunt, zeigte dann aber ein breites Grinsen mit Zahnlücken und verbeugte sich, bevor er mit einem lauten „Danke jūn zǐ (Nobelman)!", in der Menge verschwand.

„Nun was möchte sich Yi Ling als nächstes ansehen?", erkundigte dieser sich, als wäre nichts gewesen und Yi Ling konnte nicht anders als ein empört, amüsiertes „Lan Zhan!", von sich zu geben und sich an einen seiner Arme zu klammern, während sie weiter durch die Straßen zogen.



Wangji konnte nicht behaupten, das ihn solch ein Trubel reizte, aber für Yi Ling drängte er sich gern durch die Menge an Menschen. Ließ sich von einem Stand zum nächsten dirigieren und ertrug die viel zu laute Feierlaune geduldig. Wie zu erwarten, war Yi Ling hier vollkommen in seinem Element, war all dies wie eine bunte, fließende Erweiterung seines ungezähmten und lebensfrohen Charakters.

Es war eine eigene, kleine Sensation ihn hier beobachten zu können und er fühlte sich ab und zu doch etwas zu schwerfällig und unbeholfen, an dessen unbefangener Seite.

Wie gerade eben.

Yi Ling hatte sich unter eine Tanzgruppe gemischt, nachdem er nicht mehr so recht wiederstehen konnte, sich der Musik hinzugeben und sich nahtlos den heiteren Tänzern angeschlossen hatte. Wangji stand am Rande dieses eifrigen Wirbelns und wünschte er wäre mutig genug ihm zu folgen.

Dass er es wäre, anstelle der fröhlich errötenden, jungen Frau der Yi Ling eines seiner herzlichen Lachen schenkte, während sie sich umeinander bewegten.

Wangji fühlte den Impuls Yi Ling wieder zu sich zu ziehen, ihn nicht wieder loslassen zu wollen, immer stärker in sich aufsteigen, dass er seine Hände zu Fäusten ballte, um nicht genau dies zu tun.

Er wollte Yi Ling diesen Abend nicht mit egoistischer Eifersucht ruinieren.

Doch zerstob dieses beißende Empfinden prompt wieder, als Yi Ling mit einem erschöpften Lachen wieder bei ihm war und sich einfach gegen ihn lehnte. Sein Körper strahlte Wärme und Zufriedenheit aus, gefolgt von einem gezogenen Durchatmen, schien er durch seine Aktivität etwas außer Puste.

„Das hab ich gebraucht." Man hörte das Wohlbefinden in seinen Worten mit. Es brauchte keinen Nachdruck, um Wangji dazu zu bringen die Hand, nach der Yi Ling nun wieder griff, zu entspannen und sie umfassen zu lassen.

„Irgendwann müssen wir das mal zusammen tun, Lan èr gē ge." Dieser grinste ihm kokett entgegen, das Wangji nichts anderes wollte, als ihm zuzustimmen. „Mn. Irgendwann." Es war zu erkennen, dass Yi Ling mehr erfreut als überrascht war über seine Worte und es ließ Wangji's Herz mit demselben Gefühl zurück, wie es ein ausgelassener Tanz tun musste.

Yi Ling gewährte ihm, wenn auch unbewusst, so oft etwas von seinen Sehnsüchten, die er selbst nicht wagte zu erbitten.

Wie sollte er sich davon wieder lossagen können, wenn es alles war was er wollte?

Das Knurren von Yi Ling's Bauch, unterbrach den Moment. Mit gefasstem Mut war er es nun der Yi Ling mit sich nahm, um ihn zum nächsten Straßenstand mit etwas zu Essen zu bringen.

Dieser folgte ihm willig und mit einem Glucksen über seine übernommene Führung.



Yi Ling's Wangen waren vollgestopft mit geschmortem Kalmar, den dieser besonders zu genießen schien, so wie er ein begeistertes Raunen nach dem anderen von sich gab.

Wangji brauchte wirklich nur dessen Zufriedenheit, um sich selbst wohl zu fühlen.

„Lan Zhan, das solltest du wirklich probieren." Yi Ling schob ihm seine Schale hin, doch konnte Wangji nichts weiter tun als darauf zu schauen, gehörte es sich nicht mit bloßen Fingern ins Essen eines anderen zu langen.

Yi Ling schien sein Zögern darauf auch richtig zu deuten, zog er die Schale wieder zu sich. Wangji dachte sich nichts weiter dabei, als ihm Yi Ling darauf seine Essstäbchen vorhielt. Nicht um sie selbst zu nehmen, sondern hatte dieser schon ein Stück Kalmar für ihn herausgenommen und wartete abermals auf sein Hadern.

„Nun? Er ist wirklich gut. Versprochen." Man rückte ihn die Stäbchen nachdrücklicher entgegen und auch wenn sich dies ebenso nicht für ihn gehörte, war es schon eine recht intime Geste in seinen Augen, so gab er schließlich nach.

Yi Ling zeigte sich zufrieden darüber und störte sich nicht daran mit denselben Stäbchen weiter zu essen.

Wangji trieb es jedoch ein warmes Pulsieren in seine Ohren und er lenkte vorerst seinen Blick zur Seite, um sich wieder zu sammeln. Seine Aufmerksamkeit erfasste einen Händler nicht weit von ihnen und mit einer kurzen Entschuldigung, gleich wieder zurück zu sein, begab er sich zu ihm.

Das angetane Strahlen, das Yi Ling ihm schenkte, als er ihm eine Flasche von Gusu's bestem Wein reichte, um sein Mahl auch gebührend abzurunden, brachte auch Wangji dazu ein Lächeln zu zeigen.

„Wer hätte gedacht, dass es dich einmal zum Lächeln bringen würde, mir Wein einflößen zu können.", amüsierte sich Yi Ling und stippte ihn leicht mit dem Ellenbogen in die Seite.

Sie schlenderten darauf weiter, vorbei an Künstlern und Waren.

„Oh, ist das nicht hübsch?" Yi Ling hatte es zu einem Stand mit verschiedenen, schmückenden Accessoires gezogen, wo er sich nun ein stilvoll gearbeitetes Yāopèi (Hüftornament) anschaute.

Ein rotes, filigran verziertes Jadestück in der Form einer jungen Morgensonne, von deren Seiten zwei geschmeidige schwarze Quasten herabfielen. In der Mitte ein ebenso schwarzes, feingeflochtenes und mit dunklen Perlen bestücktes Band, das einen Schwarzen runden Stein hielt, an welcher sich eine weitere größere rote, ansehnlich dekorierte Quaste befestigt befand.

Es würde gut zu Yi Ling passen.

„Leider bin ich zu chaotisch für so etwas. Ich würde es wohl schon am ersten Tag verlieren.", lachte er und zog daraufhin schon interessiert weiter.

Wangji betrachtete es sich noch einen Moment länger, bevor er seinen Geldbeutel zog und es, von Yi Ling ungesehen, kaufte.

Er könnte es mit Schutzmagie versehen, bevor er es ihm schenkte und einem Zauber, damit er es nicht verlieren könne.

Wangji's Finger streiften über das eben erstandene Präsent, das er in einem seiner Roben Ärmel versteckt hielt.

Wenn Yi Ling es ihm erlauben würde, er würde ihm noch so viel mehr geben wollen.

Von verspielten Kleinigkeiten, die diesen stets so erheiterten, bis zu den Sternen, sollte dieser danach verlangen.

„Lan Zhan! Lóng xū táng (Drachenbart Candy)!", hörte er es mit kindlichem Verlangen verlauten. Wangji entging nicht, das ihm über diesen Abend hin, des Öfteren ein Lächeln an den Mundwinkeln zupfte.

Wenn er Yi Ling's Herz mit lóng xū táng erfreuen konnte, dann würde er das auch tun.

Alles was Yi Ling glücklich machte.

Zufrieden mit seiner Süßigkeit, liefen sie zusammen an einem der Wasserläufe entlang die sich durch Cǎiyī Chéng zogen und machten auf einer der kleinen Brücken halt, die sich darüber spannten.

„Ich hab als Kind immer nur zusehen können, wenn es so etwas gab." Yi Ling stopfte sich ein weiteres Stück des Naschwerks in den Mund. „Ich konnte froh sein, wenn man mich nicht davonjagte, und ich wenigstens etwas von dem süßen Geruch hatte." Er schüttelte seinen Kopf mit einem melancholischen Ausdruck. „Ich dachte immer, wenn es nicht die wilden Hunde sind, die mich erwischen...Ah, was für ein Gerede, wenn es am Ende doch nicht mehr von Belang ist." Er schulte sein Gesicht wieder zu einem etwas gelasseneren Ausdruck. „Wie dem auch sei." Er zupfte ein weiteres Stück mit seinen Fingern zurecht und schob es sich in den Mund. „Ich bin froh, dass ich nun hier bin. Es ist mehr als genug." Das Grinsen, das Yi Ling ihm schenkte wirkte ehrlich und Wangji konnte diese Sentimentalität nur teilen. Es brachte sein Herz zum Singen.

„Ich bin es ebenso." Er trat näher an Yi Ling heran, der ihn fragend ansah. „Hier zu sein." Mit dir.

Er fühlte sich nicht mutig genug, diesen Gedanken auch laut auszusprechen, doch hatte die Essenz des Augenblickes dennoch einen Effekt auf ihn, dem er sich nicht gänzlich entziehen konnte.

Somit hielt er den Blickkontakt mit Yi Ling's faszinierenden Augen, die im Licht der aufgehängten Laternen, ein aufgewecktes Funkeln zeigten.

Dessen Lippen waren mit einem leichten, weißen Hauch von Reismehl versehen, das der Süßigkeit anhaftete und welche er mit dem kühnen darüber streifen eines Daumens wieder davon befreite.

Yi Ling's Augen hatten sich ein Stück geweitet über diese Geste, doch sagte er vorerst nichts dazu. Leckte sich schlicht selbst über seine Lippen, etwas das Wangji sicherlich zu aufmerksam verfolgte.

„Was werde ich nur ohne dich machen, Lan Zhan? Wer wird dafür sorgen, dass ich auch stets wie eine respektable Person unterwegs sein werde? Ich seh es schon kommen, eine Nacht auf mich allein gestellt und ich werde wie die Füchse in einem Erdloch schlafen und mich nur waschen wenn der Frühling naht." Yi Ling klang deutlich belustigt, doch schwang für ihn in diesem Moment einfach wieder zu greifbar die Tatsache mit, das Yi Ling gedachte ohne ihn weiterzuziehen.

„Dann lass mich mit dir kommen." Es war ein Gedanke den er nicht zum ersten Mal hegte, doch auch wenn sein Wunsch groß war, so hatte er dennoch nicht vorgehabt ihn vorzubringen.

Nun allerdings waren ihm die Worte, seines betörten Herzens wegen, ungewollt hervorgerutscht.

Das folgende Grinsen das Yi Ling ihm zeigte, war Enttäuschung wie auch Erleichterung, sagte es ihm auch ohne die Worte die noch folgen mochten, das Yi Ling es nicht weiter Ernst nahm, was er gerade so überstürzt vorschlug.

„Was würde dein ehrenwerter Onkel dazu sagen? Oder dein Bruder, wenn du dich weiterhin mit solch einem Herumtreiber abgeben würdest? Ich müsste ihnen wahrscheinlich noch Rede und Antwort stehen, mit welcher unlauteren Magie ich dich dazu gebracht habe." Er lachte erneut und setzte an die Brücke nun gänzlich zu überqueren.

Wangji schaute ihm einen Augenblick nur nach, während er einen Daumen an seine Lippen setzte und ließ seine Zungenspitze das farblose Aroma von Reismehl schmecken.



Yi Ling hatte aus einem Gespräch anderer Festbesucher heraushören können, dass man auch Laternen schwimmen lassen konnte, und ließ sich nun von Lan Zhan in besagte Richtung führen, kannte sich dieser hier aus.

Er fragte sich, ob Lan Zhan sich öfter in die Stadt begab, und wenn dem so sei, was er dann hier tat.

Dass er nicht der Typ war, um sich in eine Weinstube zu setzen und sich mit dem Volk einfach etwas auszutauschen, musste man ihm nicht erst sagen.

Aber vielleicht mochte es Lan Zhan, sich auch einfach einmal ohne seinen Status umherbewegen zu können.

Vielleicht, hatte dieser ein paar Lieblingsgeschäfte, die er regelmäßig aufsuchte.

Vielleicht, gab es einen Tee den er gern hier trank.

Vielleicht, mochte er es hier an stillen Plätzen zu verweilen.

Am Ufer des Sees, der nicht unweit von hier lag.

Er schien ebenso jemand, der poetischen, abendlichen Spaziergängen frönte.

Hier wäre es möglich, ohne dass man ihm mit seinen Pflichten hinterherlief.

Er einfach einmal nur durchatmen könnte.

Es wäre das, was Yi Ling sich für ihn wünschen würde.

Ein „Achtung!", riss ihn aus seinen Gedanken, dass er das dunkle Geschoss, das auf ihn zukam, noch rechtzeitig erkennen und darauf reagieren konnte.

Mit einem leisen „Tutt"-Laut gegen seine Brust, und dem behänden Einsatz seines rechten Fußes, erntete er ein beeindrucktes Raunen der kleinen Gruppe, welche wohl auch zur Vorsicht gerufen hatte.

Es war schon eine Weile her, dass er sich an einem tī jianzi (Federfussball) Spiel beteiligt hatte, doch kam das Geschick dafür recht schnell wieder zu ihm zurück. Er kickte den Federschopf mit der Innenseite seines Fußes zwei-, dreimal nach oben und darauf über seine Schulter, wo er den Federschopf mit seiner Ferse zurück in die Luft spielte. Es war eine kleine Kunst für sich, aber ein herrlicher Zeitvertreib, wenn man es denn dann raushatte.

Einem kindlichen Impuls folgend, kickte er den Federschopf auf Lan Zhan zu. Yi Ling wollte schon ein Lachen von sich geben, sah er Lan Zhan, für sich, dem Geschoß bereits etwas überfordert ausweichen, doch überraschte dieser ihn, mit seinem eigenen, spielerischen Können.

Etwas das er ihm ehrlich nicht zugetraut hätte. Umso mehr begeisterte es ihn, dass dieser dieses Spiel zu kennen und zu beherrschen schien. Sogar ein paar extra Tricks zu bieten hatte, die die Kinder um sie herum zum Jubeln brachten.

Das alles zog Lan Zhan mit einer unbewegten Miene durch. Als wäre dies nichts weiter als ein ja, Kinderspiel.

Mit einem kurzen Kopfzeig zu einem der Jungs in der Gruppe, spielte er den Federschopf schließlich wieder zurück. Dann legte sich Lan Zhan's Aufmerksamkeit auf ihn, die linke Augenbraue ein winziges Stück nach oben gezogen, wie auch sein Kinn.

Yi Ling konnte nicht anders, als über diesen liebenswerten Akt der Selbstgefälligkeit zu schmunzeln, auf das er sich tief vor ihm verbeugte.

„Oh, guāng lù dài fu (glorreicher Großmeister). Welch grandioses Können. Ich wage zu behaupten, dass die Götter darüber erblassen würden." Ein leises, munteres Schnaufen war von Lan Zhan zu vernehmen.

„Wohl eher Rot anlaufen vor Empörung. Diese Art von Aktivität findet kein Gutheißen in einer Lan Erziehung." Man hörte den bitteren Unterton in Lan Zhan's Verweis, als habe dies etwas Persönliches mit ihm zu tun. Womöglich hatte es das auch, bewies er ja gerade, dass er dieses Spiel trotzdem beherrschte.

„Wo hast du es gelernt?", war demnach seine unausweichliche Frage.

„Meine Mutter. Sie war eine begabte und geschickte Spielerin. Sie brachte es mir bei. Heimlich, wenn ich sie allein besuchte. Es waren die Momente, die mir ihre lebhafte und ausgelassene Seite zeigten. Als die Frau, die sie wirklich war." Sein Ausdruck wurde noch etwas trüber. „Meine Familie hat ihr nicht viel gelassen. Ich wünschte nur, ich hätte es damals besser verstanden. Wenn ich..."

„Lan Zhan." Nicht zum ersten Mal an diesem Abend, griff Yi Ling nach einer Hand von ihm. Wenn er diesem schon den Schmerz, den er in seinen Augen zeigte, nicht abnehmen würde können, dann vielleicht etwas mildern.

„Du warst noch ein Kind. Es ist nicht dein Verschulden, was passiert ist. Auch wenn ich deine Trauer und das endlose Gefühl von Reue verstehen kann, so denke ich nicht, dass sie gewollt hätte, dass du dir dein Leben lang Vorwürfe für etwas machst, das nicht in deiner Macht gelegen hat.

Dir dieses Spiel beizubringen zeigt doch, dass sie wollte, dass du bei ihr Kind sein durftest.

Ich habe sie nur einmal in deinen Erinnerungen gesehen, aber es reichte aus um zu erkennen, dass du ihr so viel bedeutet hast. Dass sie dir vertraut hat, dass du für dich den richtigen Weg finden wirst. Weil sie wusste, dass du etwas Besonderes bist. Herz und Seele." Yi Ling legte seine andere Hand an dessen Wange. Lan Zhan hatte ihn die gesamte Zeit über mit seinen wunderschönen goldenen Augen angesehen, ein Nachklang von kindlicher Schutzlosigkeit darin, den Yi Ling nicht gutheißen konnte.

„Du bist ein wunderbarer Mann geworden, Lan Zhan. Ich kann es nur bezeugen." Lan Zhan wirkte überfordert über seine Worte, bekam er wohl nicht oft zu hören, das er wertgeschätzt wurde, so wie er war.

„Sie wäre stolz auf dich." Daran hegte Yi Ling keinen Zweifel und Lan Zhan sollte sich dieser Wahrheit bewusst sein. Wenn sie es ihm nicht mehr sagen konnte, dann tat er es.

„Yi Ling..." Es war das erste Mal, dass er seinen Namen von solch zerbrechlichen Emotionen getragen, ausgesprochen hörte, dass es ihm selbst das Herz etwas zusammenzog.

„Ich bin froh, jemanden wie dich kennengelernt zu haben. Und ich weiß, dass dir noch großes bevorstehen wird. Genau wie ich weiß, dass du dich diesen Dingen ohne Verzagen und mit mutigem Herzen stellen wirst."

Er mochte sich wie ein sentimentaler Idiot anhören, aber es war das was er sah, wenn es um Lan Zhan ging.

Es schien, als wolle dieser etwas dazu erwidern, sei es eine neckende Spitze über seinen Vortrag oder Zweifel, ob der in ihn gesetzten Erwartungen, als ein Knall und das darauf folgende Farbenspiel am Himmel, Yi Ling's Aufmerksamkeit kurz weglenkte.

Das Feuerwerk hatte begonnen.

Doch als er auf Lan Zhan zurückschaute, sah dieser ebenso in den Himmel, ein seichtes Lächeln auf den Lippen und er nahm den Moment als verstrichen hin.

Er senkte seine Hand, doch ließ er die von Lan Zhan umfasst. Es war beinahe schon eine Gegebenheit, so oft wie es an diesem Abend schon vorgekommen war.

Yi Ling strahlte etwas keck über einen in ihm aufkommenden Gedanken und er lehnte sich näher an Lan Zhan, damit dieser seine nächsten Worte auch hören würde.

„Lan Zhan, ist der Romantiker in dir nun doch noch erwacht? Sei Ehrlich und scheue dich nicht es zuzugeben. Es wäre nur natürlich, mit solch einer gutaussehenden und charmanten Person an deiner Seite." Er stieß leicht seine Schulter gegen die von Lan Zhan und grinste mit wippenden Augenbrauen, als dieser ihn darauf anschaute.

Dass sein Herz abermals so hektisch zu schlagen anfangen würde, über dessen uneingeschränkte Aufmerksamkeit, raubte seiner Selbstsicherheit etwas den Vorwitz und er war schon dabei mit einer lauten und ablenkenden Geste kontern zu wollen.

„Yi Ling hat nicht unrecht.", hörte er es zwischen dem Pfeifen und Krachen der aufsteigenden Feuerwerkskörper hindurch, den Zusammenhang zu dem was er selbst gerade gesagt haben musste, nicht wiederfindend, über sein Verlangen, Lan Zhan einfach eine Hand in den Nacken legen zu wollen, um ihn näher zu sich heranziehen zu können und...

OH, er musste sich wirklich zusammenreißen!

Mit einem kräftigen Kopfschütteln warf er diese unangebrachte Fantasie ausreichend durcheinander, um sich davon lossagen zu können und ließ darauf ein lautes Auflachen folgen, das die Situation ausreichend für Lan Zhan verwaschen sollte.

Wenn er nicht aufpasste, dann ruinierte er ihre Freundschaft noch auf den letzten Schritten bis zu seiner überfälligen Abreise.

In another life the sea is in the sky - Searching for the smile of the moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt