Kapitel 28

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Wangji legte das Präsent, das Nie Huaisang ihm hinterließ, auf seinem Schreibtisch ab und schenkte diesem vorerst keine Beachtung mehr, hörte er das leidliche Stöhnen von Yi Ling nicht zum ersten Mal, seit seiner Rückkehr. Nie Huaisang hatte sich bereits wieder verabschiedet, war es auch spät genug dafür.

Eigentlich hoffte er, früher zurückkommen zu können, doch hielt ihn eine Unterredung mit seinem Bruder und den Ältesten, länger auf, als ihm lieb gewesen war. An jedem anderen Tag, hätte der Umstand Yi Ling für sich lassen zu müssen, zwar nicht gestört, aber im Beisein von jemandem wie Nie Huaisang, konnte er das unruhige Gefühl einfach nicht besänftigen.

Wie sich herausstellte, hatte er nicht ganz unrecht gehabt damit, fand er bei seinem Heimkommen zwei recht angeheiterte Männer vor, die durch den Vorgarten gestolpert waren, im Versuch einen der Kraniche einfangen zu wollen. Zu welchem Zweck auch immer dies dienlich sein sollte.

Das einzig angenehme war, das Yi Ling ihn bei seinem Erscheinen, mit einem freudigen, wenn auch leicht schwammigen „Lan Zhan", begrüßte und sein breites Grinsen gar nicht mehr zu enden schien.

Nie Huaisang versteckte sein Gesicht rasch hinter seinem Fächer, als er diesen mit kritischer Miene bedacht hatte, über ihrer beider Zustand.

Die Weinkrüge auf dem Tisch unter dem Pavillon, gaben ihm letztendlich auch ohne dessen Zutun Auskunft genug, auf das sich Nie Huaisang recht schnell zu verabschieden wusste. Jedoch nicht ohne noch einmal zurück gestolpert zu kommen, um ihm besagtes Mitbringsel in die Hand zu drücken. „Etwas zur Erweiterung des Geistes.", meinte jener, verbunden mit einem Augenzwinkern und einem Schmunzeln. Nach einem „Ich hoffe wir können das mal wiederholen.", das er an Yi Ling richtete, war er dann auch auf und davon.

Wangji brachte Yi Ling darauf ins Haus, hatte sich dieser wie ein nasser Sack über seine Schultern drapiert und gemeint, dass er müde sei.

Nun lag Yi Ling auf seinem Bett und gab einen theatralischen Laut nach dem anderen von sich, nur unterbrochen vom Raunen seines Namens, den dieser in diversen Tonlagen und Intensitäten für sich zu entdecken schien.

„Lan Zhaaaannn..." Yi Ling hatte die trotzige Variante aufgelegt und Wangji seufzte teils ergeben, teils zugetan.

Er war gerade dabei sich wieder zu ihm begeben zu wollen, als dieser plötzlich vor ihm stand, nachdem er sich von seinem Arbeitsplatz wieder abwandte. Ihm blieb kein Moment sich zu überrascht zu zeigen, fiel dieser ihm regelrecht entgegen, dass er ihn rasch mit beiden Armen umfing.

„Hab dich vermisst.", nuschelte dieser in Wangji's Robe, und rieb sein Gesicht etwas im Stoff hin und her.

Auch wenn Yi Ling dies nur in seinem trunkenen Taumel so empfand, so lösten dessen Worte ein ausgelassenes Gefühl in Wangji aus.

Ein tanzender Libellenschwarm im Herbst.

Wangji erwiderte nichts dazu, doch schloss er seine Arme ein klein wenig enger um Yi Ling und ließ den Moment, wie auch sie selbst, einen Augenblick im Raum stehen.

Dann war es Yi Ling der sich wieder von ihm loslöste und Wangji seine Enttäuschung darüber schon bereit war zu ermahnen, als er sich am Arm gegriffen fühlte und er unter leisem Murmeln von Yi Ling mitgezogen wurde.

„Spiel etwas für mich.", wurde er aufgefordert, als Yi Ling vor dem Kang-Tisch wieder zum Stehen kam, auf welchem er sonst WangJi platzierte, wenn er für Yi Ling, über sein Unwohlsein, spielte.

Yi Ling wartete nicht auf eine Antwort oder Reaktion, sondern kramte nach etwas auf seinem chaotischen Schreibtisch und zog einen Talisman hervor, den er neben die Guqin legte. Er tippte mit seinem Zeigefinger auf eines der Symbole, dass die anderen darauf leicht golden aufglimmten.

„Ok.", war alles was dieser dazu sagte und ließ sich schließlich ungraziös auf den Boden vor dem Kang-Tisch fallen. Mit einer stummen Handgeste bedeutete er ihm, dass er beginnen solle und Wangji folgte der Aufforderung schließlich.

Seine Finger zögerten einen Moment über den Saiten, über die Frage was er spielen sollte, doch dann nahm er sich ein Herz und ließ das Musikstück sich entfalten.

Es war noch nicht vollendet, doch wollte er dieser, von Yi Ling geprägte Überschwänglichkeit, die in ihm herrschte, wenigstens etwas Auslauf gewähren, wenn er es schon nicht in Worte fassen konnte.

Yi Ling hatte seine Beine angewinkelt, einen Ellenbogen auf sein Knie gestützt und den Kopf gegen die Hand gelehnt. Seine Augen geschlossen.

Er gab die gesamte Dauer über kein Wort von sich, das Wangji annahm, dass dieser in seiner Position schlicht eingeschlafen wäre. Doch kaum das die letzte Note ausklang, öffnete dieser seine Augen wieder und schaute ihn mit einem suchenden Blick an.

„Das war wirklich schön. Warum habe ich es noch nie zuvor gehört?" Wangji war sich nicht sicher, was er darauf antworten sollte, schien ihm die Wahrheit zu forsch. Zu fragil in ihrer Unsicherheit.

„Es ist noch nicht komplett.", ließ er ihn somit nur wissen und hoffte, dass Yi Ling sich damit zufrieden zeigen würde.

„Noch nicht komplett? Heißt das, du hast es geschrieben? Wow, Lan Zhan..." Wangji's Blick fiel auf den Talisman zurück. „Was hat es damit auf sich?", erkundigte er sich und holte Yi Ling damit zurück aus seinem abgedriftet wirkenden Zustand.

„Oh. Ja, das..." Dieser legte abermals einen Finger auf eines der Symbole und das Glimmen verebbte wieder.

„Eine Spielerei." Yi Ling strahlte kindlich. „Hier, lass es mich dir zeigen." Damit wiederholte er das Antippen.

Ein „Ok.", war plötzlich zu hören, und Wangji schaute auf Yi Ling, was er mit Ok meinte, doch grinste dieser noch immer. Es war, als er die ersten Klänge seines Stücks vernahm, das es ihn irritiert die Augenbrauen zusammenziehen ließ.

„Na, was sagst du dazu?", fragte Yi Ling, über die Musik hinweg. Wangji schaute auf den Talisman. Er erkannte das Zeichen für Ton, Harmonie, Balance eingewoben in eine komplex erscheinende Zeichen-Kombination, das es Wangji abermals beeindruckte. Nur Yi Ling, würde so etwas als eine Spielerei bezeichnen.

„Es ist eine faszinierende Entwicklung.", ließ er ihn ehrlich wissen.

„Ich hab ihn Echo-Talisman genannt. Da er alles wiedergibt was man ihm sagt.", klärte ihn Yi Ling darauf auch gleich, mit dem verständlichen Enthusiasmus eines Erfinders, auf.

„So musst du deine Zeit nicht damit vergeuden für mich zu spielen.", fügte er an und Wangji's Herz raunte in Enttäuschung, das Yi Ling meinte es wäre nur eine Bürde, wenn er für ihn spielte.

„Ich spiele gern für Yi Ling." Er hoffte, der Nachdruck in dieser Wahrheit, war auch greifbar. Yi Ling lächelte darauf, und der Schatten der es umfing, ließ Wangji mit einer inneren Schwere zurück.

„Vielleicht. Doch wirst du nicht immer da sein können."

Wangji fühlte sich zu überfordert mit dieser Aussage, dass sein Schweigen Yi Ling ausreichte, das Thema zu überspringen und er sich hinter einem herzhaften Gähnen versteckte. Mit dem folgenden Verweis, das er ins Bett gehen wolle.

Somit blieb Wangji nichts anderes übrig, als sich ebenso zurückzuziehen.

Doch auch als er schließlich in seinem eigenen Bett lag, nur einen Raum entfernt von Yi Ling, konnte er keinen Schlaf finden.

Er verstand dessen Andeutung, und doch konnte er nicht die Selbstlosigkeit in sich aufbringen, die angebracht erschien.

Wenn Yi Ling es ihm erlauben würde, er würde...

Wangji atmete tief und gleichmäßig über die aufgeregten Gedanken in seinem Kopf und fasste folglich einen Entschluss.

Er würde gar nichts erreichen, wenn er nur über seine Wünsche nachdachte.

Er musste deren Erfüllung selbst in die Hand nehmen.

Und das würde er.


***


Wangji räusperte sich zurechtrückend, über sein gefasstes Vorhaben, Yi Ling den Hof machen zu wollen, auch wenn er überhaupt keine Ahnung hatte, wie er dies am besten bewerkstelligte. Er konnte niemanden dazu fragen, würde es nur ungewollte Neugier, wie auch Unverständnis heraufbeschwören, war ihm bewusst, dass er einen recht waghalsigen Weg für sich gewählt hatte.

Doch er wollte nicht einfach nur wie ein Feigling zurückstehen.

Dann lieber ein unbeholfener Narr sein und voran Stolpern.

Heute Nacht wäre Vollmond und er hatte etwas im Sinn, von dem er hoffte, dass es Yi Ling erfreuen würde.

Er mochte es, ihn ungezwungen und frei Lachen zu hören. Etwas, dass er sich zu Beginn ihrer gemeinsamen Reise nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte. Yi Ling war eine der irritierensten Personen die ihm je begegnet waren und doch hatte dieser einen festen Platz in seinem Herzen eingenommen.

Warm und sonnendurchflutet.

Yi Ling saß auf der Terrasse hinter dem Haus, so wie er es öfter tat, wenn die Sonne sich neigte, ein fahl-blauer Schleier mit weißgoldenem Saum, der sich über die Berge und Wälder legte.

Er hörte diesen angetan säuseln und fand ihn, wie schon gedacht, mit yǔn xīng (Sternschnuppe) vor, einem Silberzobel, der hier eines Tages aufgetaucht war und sich mit Yi Ling angefreundet hatte, war dieser gönnerhaft mit kleinen Futterhäppchen.

Er schaute ihnen noch einen Moment bei ihrem Ritual zu, bevor er näher an Yi Ling herantrat, um auf sich aufmerksam zu machen.

„Lan Zhan.", meinte dieser, ohne auch nur zu ihm geblickt zu haben, hatte sich yǔn xīng in einem seiner Ärmel festgebissen und zerrte spielerisch daran. Erst als er das Tier wieder dazu bringen konnte loszulassen, indem er eines der Häppchen in den Garten warf, drehte sich dieser zu ihm herum. Yi Ling's Lächeln war noch immer groß und unbefangen, das Wangji sein eigentliches Anliegen kurz nichtig erscheinen ließ und er ihn einfach nur ansah.

„Lan Zhan?" Wangji versuchte sein Abschweifen nicht zu peinlich zu gestalten, indem er aufschrak, sondern überbrückte die letzten Schritte zu Yi Ling mit gefälschter Nonchalance.

„Wärst du so frei, mich heute Abend zu begleiten?", erfragte er lediglich und hoffte nicht merkwürdig mit seiner Bitte zu erscheinen. Doch brauchte er sich darüber keine Gedanken machen, sprang Yi Ling mit begeisterter Neugier auf und hakte sogleich nach, wohin.

„Es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte. Es bedarf einen vollen Mond, welchen wir heute haben."

„Hoh, so mysteriös, Lan Zhan. Aber gern. Ich hab bis jetzt ja noch nicht viel von deiner Heimat sehen können." Es mochte in keiner bösen Absicht sein, klang Yi Ling weder tadelnd, das er ihm bis jetzt nicht weiter herumgeführt hatte, noch missmutig. Doch fühlte sich Wangji dennoch etwas unwohl, das er ihm nicht mehr Freiheiten hier einräumen konnte. Es würde kein gutes Ende finden, sollte man Yi Ling entdecken. Einzig sein Bruder und Nie Huaisang, wussten über dessen Anwesenheit Bescheid und er würde es gern dabei belassen.

Wangji wusste, dass man sich nichts erklären lassen würde. Yi Ling war ein Phänomen, das man auch mit den geschicktesten Worten, nicht gänzlich würde erfassen können. Und wenn Wangji ehrlich war, dann wollte er es auch mit niemand weiterem teilen.

„Mm. Wir werden uns nach dem Abendessen auf den Weg begeben."


*


„Uhm?" Yi Ling schaute etwas überfordert auf die Sachen, die er ihm mitgebracht hatte, waren die Nächte kälter geworden, mit dem voranschreiten der Jahreszeit. Hier in diesen Höhen, war es nur noch inniger spürbar.

„Sie werden dich warm halten.", erklärte er ihm schlicht, was ihm einen weiteren fragenden Blick einbrachte.

„In Ordnung.", seufzte dieser, als er ihm keine weitere Antwort bot und setzte an sich seine Robe die er trug zu öffnen, ohne sich zu kümmern, dass dies als schamlos angesehen werden könnte, auf das sich Wangji rasch abwandte und ihn vorerst mit dem Umziehen allein ließ.

War nur zu hoffen, dass die Wärme in seinen Ohren wieder abgeklungen wäre, wenn dieser damit fertig wurde.


„Oh, ist das dein Ernst?" Yi Ling sah nicht glücklich aus, und es schmälerte Wangji's Vorfreude, auf das was er Yi Ling hatte zeigen wollen.

Irgendwo war Wangji über der Euphorie seines Planes entfallen, das Yi Ling das Fliegen auf einem Schwert nicht schätzte, doch wäre es der einzige Weg zu ihrem Bestimmungsort.

Allerdings sah es so aus, als würde Yi Ling lieber die Flucht nach hinten antreten, als auf Bichen's Klinge zu steigen.

„Ich verspreche dir, das ich umsichtig fliegen werde.", versuchte er dessen Angst zu verkleinern, doch schüttelte Yi Ling energisch den Kopf darüber.

Wangji überlegte, ob er eine Alternative vorbringen könnte, was die Art ihres Vorankommens anbelangte, doch wäre dies mit Zeitaufwand verbunden. Sie würden womöglich den höchsten Stand des Mondes dadurch verpassen und die Überraschung wäre keine mehr.

Aber so wie es aussah, war Yi Ling eh nicht mehr danach, das er sich schon etwas albern fühlte, nicht eher an dessen Phobie gedacht zu haben.

„Es ist in Ordnung, wenn wir es dabei belassen. Es liegt nicht in meiner Absicht, dich zu etwas zu zwingen." Natürlich war es schade. Es war einer seiner liebsten Plätze, auch wenn es sich für jemanden seines Ranges nicht mehr ziemen sollte.

„Ah, Lan Zhan, nun schau nicht so geknickt.", hörte er Yi Ling folglich sagen, der ihn nun mit überlegender Unentschlossenheit ansah. Wangji selbst konnte nicht bestimmen, ob er tatsächlich seine Enttäuschung nicht hatte aus seinem Gesicht fernhalten können. Yi Ling war doch recht aufmerksam geworden, was das Lesen seiner Gefühlslagen betraf.

„Es ist nicht von Belang.", versuchte er es abzuwiegeln, wollte er ihm nicht das Gefühl vermitteln, das er sich wegen ihm zu etwas gedrängt fühlen müsste.

Yi Ling raunte, noch immer nachdenklich, bevor er ihn mit einem „Bin gleich zurück.", stehen ließ, indem er ins Haus zurückhuschte.

Es brauchte auch nur einen Moment und er tauchte wieder auf, wo er näher zu ihm herantrat und ihm schließlich etwas vorhielt, das sich in seiner Hand befand.

„Solange ich die Höhe nicht mitbekomme, müsste es klappen.", erklärte dieser ihm darauf und faltete das geholte Stück Stoff zu einem schmalen, langen Band. Mit einem etwas verlegenen Lächeln, hielt er es ihm vor. „Würdest du es mir umbinden?" Wangji schaute auf den Stoff, als wäre es eine rätselhafte Lebensform, dann in Yi Ling's Gesicht. Dessen Wangen zierte ein zunehmender Rotton. „Uhm...war wohl eine dumme Idee, huh?", meinte er auf seine anhaltende Regungslosigkeit und erst als er seine Hand mit dem Stoff schon gedachte zu senken, griff Wangji's Verstand wieder und er umfasste dessen Handgelenk rasch.

Yi Ling wirkte kurz überrascht, wie sich auch Wangji über seine forsche Geste etwas unbeholfen fühlte und sie sich einen Augenblick nur wortlos ansahen. Es war Yi Ling's Schmunzeln und die Vorahnung auf einen schamlosen Kommentar, dass er den Stoff aus dessen Hand zog und ihm schließlich über die Augen legte.

„In Ordnung?", hakte Wangji nach, ob die Augenbinde auch angenehm saß, was Yi Ling mit einem Nicken bestätigte.

„Stell mich einfach auf das Schwert und ich versuche, mich nicht wie eine gestresste Katze in deinem Rücken zu verkrallen.", witzelte dieser, eine Aufgeregtheit in seiner Stimme, die er nicht ganz überspielen konnte.

Wangji fühlte so viele Dinge auf einmal, während sein Blick über Yi Ling schweifte und sich wohl etwas darin zu verlieren schien, war es Yi Ling's unsichere Stimme, die ihn wieder zu sich brachte.

„Lan Zhan? Stimmt etwas nicht? Hast du es dir doch noch anders überlegt?" Wangji's Aufmerksamkeit fiel auf dessen Mund, als dieser sich leicht auf seine Unterlippe biss und Wangji eine Hand ausstreckte, um ihn mit einem Fingerstreif darüber, davon abbringen zu wollen.

Es war gut, das Yi Ling's Augen verbunden waren und er das peinlich berührte Zurückziehen seiner Hand nicht mitbekam. Wie auch die Wärme darüber, die er in seinen Ohren spürte.

„Es ist nichts. Wir können uns auf den Weg machen." Wangji stellte sich auf Bichen, eine Hand um Yi Ling's rechten Arm gelegt, um ihn in die richtige Position dirigieren zu können.

Es mochte daran liegen, das Yi Ling ihn nicht sehen konnte, das sich Wangji plötzlich kühn fühlte und anstatt ihn hinter sich zu platzieren, er ihn einfach an sich heranzog, das dieser gegen seine Brust gelehnt war und er ihm einen Arm sicher um die schmale Taille legen konnte.

Yi Ling gab einen überraschten Laut von sich, als er ihn handhabte. „So ist es sicherer." Wangji war froh, dass er souverän genug klang, auch wenn er sich gerade kaum so fühlte. Er verlor darauf keine Zeit und ließ Bichen abheben.


Das leichte Schaukeln der Klinge brachte Yi Ling dazu seine Hände, die sich zuvor nur unsicher auf Lan Zhan's Oberkörper gelegt befanden, aus einem angstvollen Instinkt in dem weichen Stoff von dessen Robe zu verankern und tief Luft zu holen, bevor er das Atmen vollkommen über seine Aufregung vergessen würde.

Aufregung, die er nicht nur auf das Fliegen beziehen konnte.

Wer hätte gedacht, dass er seine Höhenangst mit ein paar verwirrten, amourösen Anwandlungen zurückdrängen könnte?

Er bis jetzt, sicher nicht.

Lan Zhan's Brust war breit und kräftig, das sie zum dagegen lehnen verführte. Der beruhigende Geruch von Sandelrauch und Jasmin Öl der diesen umspielte so unverkennbar, das er sein Gesicht unbewusst etwas näher in dessen Halsbeuge schob und leicht zugetan seufzte.

Die Klinge taumelte einen winzigen Moment, das er sich erschrocken enger an Lan Zhan presste, der ihn ohne Zögern sicherer umfasste.

„Entschuldige." Lan Zhan's Stimme hatte einen ungewohnt tiefen Ton, so nahe an seinem Ohr, das es eine wohlige Gänsehaut bei ihm auslöste und er sich augenblicklich etwas albern fühlte.

Einfach auch, weil sich solch eine Nähe ungemein gut anfühlte, konnte er sich nicht daran erinnern, wann er je so beschützend gehalten worden war. Es war ein Gefühl das, wenn er könnte, nicht mehr würde loslassen wollen.

Aber es war nicht an ihm.

Es war ebenso nicht dasselbe, wenn er sich ungefragt an jemanden ran warf, und es sogleich als eine Albernheit würde ausgeben müssen.

Dabei verlangte es ihn viel zu oft danach, einfach einmal in die Arme genommen zu werden, selbst wenn es als kindisch erschien in seinem Alter.

Er wollte einfach nur spüren können, dass er nicht allein war, nicht nur verloren lebendig.

Oh, es war wirklich lächerlich. Doch am Ende eines jeden Tages, war auch er nur ein Mensch.

Zumindest war es das, was er hoffte.

Seine folgenden Worte, rutschten ihm nahezu von selbst über die Lippen.

„Ich habe dir nie erzählt, warum. Warum ich diese Angst vor solchen Höhen habe. Und da es eh gerade nichts Besseres zu tun gibt..." Er lachte mit einem leicht hysterischen Ansatz. Lan Zhan's Hand um seine Hüfte ging in ein dezentes Streicheln dieser Stelle über. Ein Zeichen das Yi Ling wissen ließ, dass er zuhören würde, wie er auch verstünde, wenn er sich doch nicht weiter erklären wollte.

„Danke.", murmelte er ihm zu, bevor er weiter Mut fasste.

Vielleicht gab ihm der Umstand, dass er Lan Zhan nicht ansehen musste und dieser damit beschäftigt war, sie durch die Nacht zu fliegen, mehr Courage.

Vielleicht half es ihm ja sogar etwas damit abschließen zu können, wenn er diese Erinnerungen mit jemandem teilte, dem er vertraute.

„Ich war wohl ein Jahr mit Dào Zhǎng unterwegs, als wir in einen Ort kamen, der von einem menschenfressenden Yāoguài heimgesucht wurde, und die Bewohner sich kaum noch trauten ihre Häuser zu verlassen. Dào Zhǎng war eine dieser noblen Personen, die halfen wenn sie helfen konnten und bot seine Dienste dem Ort an. Ich wusste, dass er kein normaler Mensch war und das er manche Nächte dazu nutzte, auf die Jagd nach solchen Gefahren zu gehen. Natürlich hat er mich nie dazu mitgenommen, doch wie es mit Kindern so ist, wollte ich selbst einmal sehen, was diese Monster waren. Es war naive und unbedachte Neugier, die mich in diesem Fall dazu getrieben haben, ihm eines Abends zu folgen, als er davon ausging, das ich schon im Zimmer unserer Unterkunft schlafen würde." Hier atmete er tief und langgezogen durch, über diese damalige Dummheit.

„Dào Zhǎng fand das Monster, oder das Monster fand ihn. Es war ein Vogel größer als drei Mann, mit gehörntem Kopf und riesigen Klauen. Ich hatte so etwas noch nie gesehen und sein Geschrei ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Es entdeckte mich und trotz das Dào Zhǎng versuchte es von mir abzubringen, packte es mich und flog mit mir davon. Ich hatte solche Angst, war auch mir klar, dass ich als seine nächste Mahlzeit enden würde, dass ich dessen Geschrei wohl in nichts nachstand.

Ich weiß nicht, was es dazu gebracht hat, doch als wir über einen Berg flogen, ließ es mich plötzlich fallen.

Später lernte ich, dass man diesen Berg, Luànzàng Gǎng (Grab-Hügel) nannte." Bei dieser Offenbarung hörte er, wie Lan Zhan die Luft scharf einzog. „Du hast also davon gehört. Dào Zhǎng, als der viel zu gutherzige Mensch der er war, war dem Biest gefolgt. Das yuàn qì das diesen Ort verseuchte, war so gewaltig, das er kaum noch Kraft besaß, als er mich fand, und ich kaum noch bei Sinnen. Ich weiß nicht, wie ich diesen Sturz habe überleben können, noch warum diese giftigen Schatten mich nicht sofort verschlungen hatten. Dào Zhǎng brachte mich wieder zu Bewusstsein, doch hatte sich das yuàn qì schon zu einem Teil in mir festgefressen. Es gab so gesehen keine Chance diesen Ort wieder lebend zu verlassen und Dào Zhǎng wusste dies, noch bevor er die Grab-Hügel betreten hatte. Trotzdem...wegen mir...", hier spürte er das Prickeln hinter seinen geschlossenen Augenlidern und den kratzigen Effekt in seinem Hals.

„Er gab mir seinen goldenen Kern. Danach ist alles recht Bruchstückhaft. Wenn ich davon träume, halte ich oft genug ein schwarzes Schwert in meinen Händen. Ich weiß nicht ob es echt war, oder ich mir einfach nur immer wünsche, dass ich hätte etwas tun können. Das ich hätte stärker sein müssen."

„Yi Ling." Lan Zhan klang mitfühlend über seine Selbstverurteilung. „Du warst noch ein Kind.", versuchte dieser ihm seine Schuld leichter zu machen, doch schüttelte Yi Ling den Kopf. „Auch dann ändert es nichts daran, dass es meine Schuld war, das Dào Zhǎng sein Leben für mich gegeben hat."

„Wie bist du entkommen?" Yi Ling war dankbar, dass dieser nicht versuchte ihm etwas anderes einreden zu wollen, auch wenn er sich denken konnte, das Lan Zhan's Zurückhaltung dazu recht anstrengend für ihn war.

Yi Ling lächelte betrübt. „Shī fu. Sie fand mich und nahm sich meiner an. Sie weiß, wenn einer ihrer Schüler sein Leben gelassen hat. Es ist eine spezielle Bindung mit ihren Schützlingen. Sie sucht jeden Verstorbenen und nimmt ihn mit zurück, um ihn angemessen bestatten zu können, damit dessen Seele ungehindert weiterziehen kann.

Sie sagte mir einmal, das Dào Zhǎng's goldener Kern Grund dafür war, das ich nicht vollkommen der dunklen Energie der Grabhügel verfallen sei. Das sein Opfer möglich machte, das ich habe überleben können und ich es würdigen solle. Wenn ich das nicht könnte, würde sie nicht zögern mich dem yuàn qì zu überlassen, an dem ich ohne ihre Hilfe doch noch zu Grunde gegangen wäre." Lan Zhan sagte nicht sofort etwas dazu, doch als er es tat, konnte Yi Ling nicht anders als einer emotionalen Träne freien Lauf zu lassen.

„Ich bin froh, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast."


Yi Ling hatte keine Ahnung wie lange sie am Ende unterwegs gewesen waren, zwischen Lan Zhan's einlullender Wärme und dem damit einhergehenden Gefühl von Geborgenheit, und den Gedanken, das nach diesem wortwörtlichen Hoch, die davon verschreckte, nassgraue Kälte wieder ihren Brutplatz in ihm einnehmen würde.

Somit löste er sich auch nur widerwillig von diesem Jade Fels in der unruhig, wogenden See seiner Emotionen, als Lan Zhan ihn in einem sanften, fast zugetanem Ton wissen ließ, das sie angekommen wären.

Dieser nahm ihm darauf auch die Augenbinde wieder ab und Yi Ling kurz etwas blinzeln musste, um wieder rechte Sicht zu erlangen.

Seine Augen weiteten sich in begeisterter Faszination, als er sich folglich eingehend umsah.

Sie standen auf einem kleinen Hügel aus weißem, fast durchscheinendem Gestein, der das Licht des Mondes einfing, das ein mystischer Schein von ihm ausging. Um sie herum ein weitläufiges Wolkenfeld, akzentuiert in Silberfrost und beherzten Tuschestrichen. Inmitten ein Wasserlauf aus nachtblauem Lapislazuli. Seicht umhertreibende, weiße Funken, wie zum Spielen davongestohlene Sterne, die ab und an in den melodisch flüsternden Bachlauf stippten und wieder aufstoben.

Über ihnen schwerer, schwarzer Brokat, bestickt mit dem Funkeln uralter Mythen.

Der Sehnsucht nach dem Ungebundenen.

Verloren sein und sich wiederfinden.

Vergänglichkeit.

Neubeginn.

Ein mächtiger Magnolienbaum wachte über diesen kleinen, magischen Ort. Kräftige Äste weitgestreckt, vital, mit dicken Knospen, die sich zum Öffnen zu regen schienen.

„Lass uns näher herangehen.", hörte er Lan Zhan sagen, doch zögerte Yi Ling den sicheren Grund auf dem sie sich befanden verlassen zu wollen.

Lan Zhan schien seine Zweifel zu erfassen und stieg als erstes herab, gefolgt von einem erschrockenen Lufteinziehen seinerseits, als dieser ohne Bichen den wolkigen Grund zu betreten gedachte und er hektisch eine Hand um dessen Arm schnellen ließ.

Yi Ling sah sich von dem leichten Schmunzeln, das sich darauf auf Lan Zhan's Lippen zeigte genug abgelenkt, um zu vergessen von was er ihn abhalten wollte, als dieser diesen letzten Schritt auf die Wolkendecke tat und sie ihn ohne weiteres trug.

Lan Zhan streckte ihm eine Hand entgegen, als Sicherheit die er ergreifen konnte, über seinen anhaltenden Argwohn. Und warum nicht annehmen, was einem so bereitwillig erlaubt wurde. Lan Zhan's Hand war ebenso warm und sicher in ihrem Halt, als er diese ergriff und sich führen ließ.

Es war ein ungewöhnliches Gefühl, als er seine Füße auf die Wolkendecke setzte. Ein wenig wie über frischen Schnee zu laufen.

Es brachte ein heiteres Lachen in Yi Ling hervor, das er erst kurz darauf bemerkte, das er noch immer Lan Zhan's Hand umfasst hielt und diese mit einem etwas verlegenen Räuspern wieder freigab.

„Wirklich, ein fantastischer Ort.", meinte er immer noch begeistert und lief etwas weiter auf den Magnolienbaum zu. Die weißen Funkten entpuppten sich als kleine Falter, von denen sich ein paar vorwitzig auf seiner Gewandung niedersetzten, wo er sie besser studieren konnte. Ihr Leuchten schien ebenso vom Mondlicht auszugehen, das sich auf ihren feinen, glänzenden Flügeln reflektierte, die eine filigrane Zeichnung prägten. Sie besaßen zwei buschige Antennen. Ihre großen, eisblauen, runden Augen markant, auf ihre winzigen Körper bezogen.

„Schneekristall-Schwärmer.", informierte ihn Lan Zhan und mit einem leichten Griff an seinem Ellenbogen, führte er ihn weiter.

Ihre Schritte hielten wieder inne, als das Licht des vollen Mondes die Magnolie in einem ätherischen Schein erstrahlen ließ. Ihre Krone sich sachte zu wiegen begann und ihre Knospen sich Stück für Stück öffneten. Ihre weißen Blütenblätter sich streckten, wie man es nach einem guten Schlaf tat.

Er hatte eine berauschende Blütenpracht vor seinem inneren Auge, doch kaum, dass sich die Blüten entfalteten, fielen sie schon herab. Eine nach der anderen.

Yi Ling fühlte Enttäuschung in sich aufkommen, bevor er beobachten konnte, wie die am Boden gelandeten Blüten sich von selbst zu bewegen begannen.

Ihm stand regelrecht der Mund offen, als er sich näher heranbegab.

Sie sahen aus wie...

„Hasen?", murmelte er ungläubig und schaute abermals hinauf in die Krone. Er war nahe genug, dass er aus einem Reflex heraus seine Hände austreckte über einen der herabsegelnden weißen Flauscher. Und tatsächlich blinzelte ihm ein schaumweißer Hase entgegen, nicht größer als eine Magnolienblüte, dass er erneut begeistert auflachte. Aus Neugier hielt er seine Nase an den weichen Bauch des Hasen, und tatsächlich, hing diesem ein feiner, angenehm blumiger Duft an.

„Die sind so putzig. Lan Zhan." Er wandte sich diesem zu und hielt das Tier, die Blüte? mit kindlichem Eifer etwas nach oben. Dieser schaute ihm mit einem sanften Lächeln an, das Yi Ling mit einem großen Strahlen erwiderte.

„Hey Lan Zhan, heißt das, das du ebenso von einem Baum gefallen bist", lachte er immer noch hingerissen, sammelten sich immer mehr Magnolienhasen zu seinen Füßen, das er sie am liebsten alle samt mitnehmen wollte.

„Unsinn.", bekam er als Antwort, die sich um das anhaltende Lächeln geformt hatte. Lan Zhan gesellte sich zu ihm und kraulte das Tier, das er noch immer in seinen Händen hielt, hinter den Ohren, bevor er sich setzte und Yi Ling es ihm kurzum gleich tat.

Ihre Schultern streiften sich leicht, doch beließen sie es so und Yi Ling seufzte in Zufriedenheit, um sie herum das Wuseln der kleinen Gesellen.

„Was fressen sie? Hier gibt es ja nicht wirklich etwas.", erkundigte sich Yi Ling, während er ein paar andere Hasen mit Streicheleinheiten versah und etwas mit ihnen spielte.

„Sie existieren in dieser Form nur für eine Nacht. Ihre Lebensdauer ist an das Licht des Vollmondes gebunden." Yi Ling raunte etwas betrübt über diese Tatsache, und sammelte sich darauf jeden Hasen ein, den er zu fassen bekam, um sie sich in seinen und Lan Zhan's Schoß zu setzen.

„Dann sollten wir jeden wenigstens einmal gekrault haben.", beschloss er ihre Mission für diesen Abend und schickte einen tadelnden Blick zu Lan Zhan, als dieser, anstatt Folge zu leisten, ihn nur anschaute, als habe er ihn zum ersten Mal gesehen." „Los, los.", forderte er ihn auf und setzte ihm einen der Hasen direkt in die großen, eleganten Hände.

In another life the sea is in the sky - Searching for the smile of the moonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt