Von umwerfend aussehenden Typen und gravierenden Fehlern

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Lachend hielt ich mich an Lotti fest, ich war schon wieder fast hingefallen. „Wir holen dir vielleicht mal ein Wasser", schlug sie ein wenig besorgt vor und zog mich, ohne auf eine Antwort zu warten, von der Tanzfläche. In der Küche drückte sie mir ein Glas in die Hand und ich kicherte: „Gib mir lieber noch ne Mische" „Vielleicht später, die Nacht ist ja noch jung" Ich musste noch mehr lachen. Lotti benutze immer solche Ausdrücke. „Basti ext drei Bier gleichzeitig!", rief jemand aus dem Wohnzimmer und meine Freundin lief lachend zugucken. Ich blieb allein in der Küche zurück, was mir auch ganz lieb ist war. Schwankend pflanzte ich mich auf einen Stuhl und trank das Wasser in einem Zug aus. Vielleicht hatte ich es mit dem Alkohol heute doch etwas übertrieben. Ich schenkte mir nach und war froh, dass Lotti die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dadurch war die Musik nur gedämpft zu hören und ich konnte meine Ohren für eine Weile schonen.

Als dann eine Weile später die Küchentür aufgestoßen wurde und jemand mit schweren Schritten eintrat, schreckte ich grummelnd auf und starrte den Schuldigen missmutig an. Ich wollte ihn schon beleidigen, aber meine schlechte Laune verflog, als ich sah, wer da im Türamen stand. „Ich hab dich gestern schon mal gesehen", ließ ich ihn aufgeregt wissen. Er sah noch besser aus als gestern, wenn das überhaupt möglich war. „Tatsächlich?", fragte er mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Ja, du hast mich angerempelt als ich auf dem Weg zur ...", erst da fiel mir auf, dass ich vielleicht nicht die Bibliothek erwähnen sollte. Alkohol ließ mich unvorsichtig werden. „Wohin wolltest du?", hakte er nach. Mist, nüchtern wäre es gar nicht so weit gekommen. „Äh, ich wollte ... in den Park. Der ist echt schön, warst du schonmal dort?", lenkte ich ab. Er zog mit und setzte sich neben mir auf einen Stuhl. „Nein, aber ich bin auch neu in der Stadt. Theoretisch bin ich nur zu Besuch hier". Enttäuscht antwortete ich: „Oh, schade. Kennst du jemanden oder warum bist du hier?" „Ich habe gehört, dass eine Party stattfinden soll. Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen! Apropos, ich hatte noch gar nichts zu trinken" „Komm mit, ich bring dich zu Basti, der macht die besten Mischen", schlug ich vor, trank das Wasser aus und stand auf. Leider drehte sich alles und ich schwankte wohl ziemlich. Jedenfalls nahm er meinen Arm und stützte mich „Hoppla, du hast wohl schon eine dieser grandiosen Mischen getrunken" „Oder auch mehrere", gab ich kichernd zu und ließ mich auf die Hilfe ein. Jetzt, wo ich ihm so nah war, merkte ich, dass ich nervös war. Ich schaute einfach nicht zu ihm auf, um nicht aus dem Konzept gebracht zu werden und führte ihn ins Wohnzimmer, wo eine kleine Bar aufgebaut war.

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Stöhnend hielt ich mir den Kopf. Meine Kehle war so trocken wie Wüstensand und fühlte sich auch so kratzig an. Als ich mich aufsetze und mit der Hand meine Augen vor der Sonne schütze, explodierte mein Kopf. Zumindest fühlte es sich genau so an. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich gestern doch noch irgendwie in einem Bett gelandet war. Zwar nicht in meinem, aber immerhin hatte ich keine Rückenschmerzen. Das Glas Wasser, was auf dem Nachttisch gestanden hatte, trank ich gierig in einem Schluck aus. Wackelig stand ich auf und wankte in die Küche, wo ich Menschen vermutete. Zu unserem Glück waren Bastis Eltern im Urlaub, weshalb die Party erst hatte stattfinden können, und ich war nicht dem Risiko ausgesetzt, seinen Eltern begegnen zu können. So was war sehr peinlich, wie ich aus eigener Erfahrung berichten konnte. Um den Küchentisch saßen, wie erwartet, einige Nachzügler, die es gestern Abend nicht mehr nach Hause geschafft hatten. Erleichtert erkannte ich, dass nur Lotti, Jako und Basti anwesend waren, ich konnte mich also einfach dazu stoßen, ohne mich vorher nochmal notdürftig in Ordnung zu bringen. Lotti stand am Herd und beaufsichtigte Pfannkuchen, die dort brieten. Ich setzte mich auf einen freien Platz und jemand schob mir Wasser und Aspirin hin. Dankend löste ich die Tablette auf. „Ist echt krass gewesen gestern", freute sich Jako, der wohl immer noch etwas Alkohol im Blut hatte, normalerweise sprach er nicht viel. „Du siehst echt scheiße aus", machte sich Basti über mich lustig. „Das Haus auch", stichelte ich zurück. „Ja, apropos: Helft ihr mir vielleicht ein bisschen beim Aufräumen, bitte?", er saß wortwörtlich mit Hundeaugen da und flehte in die Runde. Lachend schlug Lotti ihren Pfannenwender gegen seinen Kopf: „Nur, wenn du dich nicht weiter wie ein Kleinkind aufführst". „Gibt es denn jetzt auch mal was zu essen oder was?", fragte ich fordernd. „Fang auf und darfst essen", Lotti warf einen Pfannkuchen auf mich und ich konnte ihn gerade noch mit meinem Teller auffangen. Wäre der Kater nicht gewesen, hätte ich mein Frühstück richtig genießen können. So konnte ich aber nur einige Bissen nehmen und gab den Rest Jako, dem anscheinend nicht schlecht war und kein Problem damit hatte, Unmengen von Pfannkuchen in sich reinzustopfen. „Uuuund", Lotti zog das Wort in die Länge und traf dabei ungefähr die Lage eines Zahnarztbohrers, „was lief gestern noch mit dem geheimnisvollen, unglaublich hübschen Schönling?". Gespannt sahen sie und Basti mich an und sogar Jako hörte für einen Moment auf zu essen. „Ähm...", angestrengt überlegte ich. Ich erinnerte mich noch dunkel daran, mit ihm getanzt zu haben, danach war alles weg. „Totaler Filmriss", gab ich zu. Entsetzt quietschte Lotti auf: „Der schönste Typ, den ich je gesehen habe, verbringt den Abend mit dir und du erinnerst dich nicht mehr, was passiert ist?!". Bedauernd zuckte ich mit den Schultern. Ich hoffte inständig, dass nichts passiert war. Ich meine, ich hätte nichts dagegen gehabt, immerhin hatte der Typ wie ein Hollywoodstar ausgesehen, aber ich hätte mich doch schon sehr gerne daran erinnert. Nochmals versuchte ich, etwas nach dem Tanz zu rekapitulieren, aber ich gab schnell auf. So einen krassen Filmriss hatte ich noch nie gehabt. „Hast du wenigstens sein Insta?". Erst jetzt merkte ich, dass ich mein Telefon irgendwann gestern verloren haben musste, denn ich hatte es nicht mehr. „Wenn ich mein Handy hätte, vielleicht. Habt ihr es gesehen?", jeder schüttelte den Kopf. „Mist, da ist alles drauf. Vielleicht ja auch seine Nummer, dann könnte ich fragen, was da noch gelaufen ist". „Wir finden es schon, es muss ja noch irgendwo hier sein, immerhin warst du nur hier. Wir räumen jetzt erstmal auf, dabei taucht es mit Sicherheit auf", beruhigte Lotti mich.

„Das wars jetzt soweit, den Rest schaffst du alleine, Basti", sagte ich, nachdem ich alle Müllsäcke zu einem Turm aufgerichtet hatte. „Danke. Ist dein Handy aufgetaucht?", fragte Basti. Leider musste ich den Kopf schütteln. „Was, wenn es jemand geklaut hat?", warf Jako ein, aber Lotti widersprach sofort: „Ach was, wer soll das denn gemacht haben? Wir kannten jeden gestern, ich glaube nicht, dass jemand von ihnen sowas machen würde". „Und außerdem würde niemand ein iPhone 7 klauen", neckte Basti mich. „Ich mag das Handy, warum ein neues kaufen?", rechtfertigte ich mich. „Aber ich glaube ihr habt Recht, das hat bestimmt niemand geklaut. Ich wette, dass es in irgendeiner Ecke liegt. Ich glaube, ich fahre jetzt erstmal nach Hause und dusche. Wenn es auftaucht, rufst du mich dann per Festnetz an, Basti?" Er nickte. Ich verabschiedete mich von allen und fuhr mit dem Fahrrad nach Hause. Zumindest wollte ich nach Hause, aber als ich am Park vorbeikam bekam ich irgendwie ein schlechtes Gefühl. Irgendwas war passiert, das spürte ich. Ich ließ mein Fahrrad vor dem Rasen liegen und sprintete zum Baum. Ich quetschte mich durch den Spalt und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Die Bücher waren aus den Regalen gerissen, auf dem Holzboden waren tiefe Kratzer.
Hier hatte ein Kampf stattgefunden.
Und der Hüter hatte verloren.

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