Entnervt klappte ich mein Mathebuch zu und packte es, mit meinem Etui, in meinen Rucksack. Mathe hatte sich heute schon wieder hingezogen wie Kaugummi und obwohl ich alles verstanden hatte, wollte ich mir nicht die Blöße geben, mich zu melden. Was sollten denn die anderen denken? Nein, das kam nicht in Frage. Es war ohnehin viel lustiger, herumzualbern und den Lehrer zur Weißglut zu bringen. Auch wenn ich das in der letzten Stunde nicht machen konnte, weil ich ganz vorne und meine Freunde alle ganz hinten saßen. Durch die ganze Klasse schreien ging dann selbst für mich zu weit und so war der Unterricht neuerdings extrem öde.
Ihr fragt euch wahrscheinlich: Warum bringt sie sich nicht einfach mit ein? Nun, ich bin das beliebteste Mädchen in meiner Klasse und das wäre ich sicher nicht, wenn ich zeigen würde, wie gut ich sein konnte, wenn ich wollte. Streber mag keiner. Meine Klassenkameraden machen sich jetzt schon darüber lustig, wenn ich in jeder Arbeit, die ich ablegte, eine glatte 1+ hatte. Sie waren zwar bestimmt nur eifersüchtig, was ja im Prinzip als Kompliment verstanden werden könnte, aber gut für mein Image war das natürlich trotzdem nicht. Wenn ich jetzt jedoch auch noch im Schriftlichen versagen würde, würde ich Sitzenbleiben bevor ich „Image" überhaupt sagen könnte. Mit meiner halb und halb Methode waren meine Noten zwar nicht gut, aber ich kam durch.
Außerdem wurde alles ohnehin erst wichtig, sobald es auf das Abi zuging. Dann würde ich mich mehr anstrengen.„Kommst du, Maylin?", riss Sofie mich aus meinen Gedanken. Sie wartete auf mich, um zum Bus zu gehen.
„Ja, einen Moment noch!", ich klaubte alle Sachen zusammen, verabschiedete mich und ging dann Sofie hinterher.Zu Hause führte mich mein erster Weg direkt in mein Zimmer, um mein Handy anzuschließen und mich aus der unbequemen Jeans zu schälen. Die Jogginghose war super alt und sah echt abgegrabbelt aus, aber sie war dafür bequem. Ich hatte nichts weiter vor und so überlegte ich, was ich machen sollte.
Als erstes holte ich mir einen kleinen Snack aus der Küche und setzte mich dann an die Hausaufgaben, die ich schon seit Tagen vor mir her schob. Ein Aufsatz in Englisch über meine Hobbies (welch innovatives Thema) war genauso unnötig wie nervig, aber als ich schließlich fertig war, war ich sogar ein bisschen stolz.Seufzend räumte ich meinen Teller weg und tat endlich das, worauf ich mich schon den ganzen Tag gefreut hatte. Ich trat an die Tür, die bei Besuch immer abgeschlossen war, und zog sie auf. Ein Geruch von Papier und Leim legte sich um mich, wie eine Decke aus Geborgenheit. Dieses Zimmer war mein kleines Geheimnis, von dem nur meine Familie etwas wusste.
Unmengen von Büchern (hauptsächlich Fantasy-Geschichten) waren in Regalen aufgestellt und ein gemütlicher Sessel in der Mitte des Zimmers lud dazu ein, sich einen Roman zu schnappen und für unbestimmte Zeit in ihm abzutauchen. Unwillkürlich hatte ich meine Augen geschlossen, um einen Moment zu schnuppern und als ich sie wieder öffnete, erschrak ich fürchterlich. Ein alter Mann saß auf meinem Lesesessel und blätterte in meinem Lieblingsbuch. Er sah ein bisschen aus wie mein Opa, hatte weißes Haar und Alte-Menschen-Kleidung an, aber dennoch strahlte er etwas Ungewöhnliches aus. Selbst Jahre später fällt mir noch kein Wort ein, das die Aura, die ihn stets umgab, auch nur annähernd beschreiben würde.
Als er den Kopf hob, setzte er sofort zu einem Wort an, das ich mit lautem Geschrei jedoch restlos übertönte. Ich war allein zu Haus, mich würde niemand hören, mich würde, eine Weile zumindest, niemand suchen. Der Mann hatte aus irgendeinem Grund wohl nicht mit meiner Reaktion gerechnet und sah aus, als wüsste er nicht, was er machen sollte. Unbeholfen stand er auf, legte das Buch vorsichtig auf den kleinen Abstelltisch und hob abwehrend die Hände. Was soll er mir schon tun? Er ist nur Opa. Ich hörte zu schreien auf und sagte stattdessen: „Wer sind Sie und was wollen Sie hier!?"
„Ich bin der Hüter und hier, um dich in eine wundervolle Welt einzuführen, die dein Leben verändern wird."
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Die Bibliothek (oder auch: die Geschichte aller Geschichten)
Fantasy„Das ist die Hauptzentrale, sozusagen der Verteiler des Systems. Das best gesichertse Gebäude, das wir je knacken mussten. Wie sollen wir das schaffen?", fragte Liz, während sie sich ihre Haare zu einem Pferdeschwanz band. „Gar nicht?", versuchte ic...