Von luxuriösen Zimmern und weniger luxuriösen Abendessen

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Als sich das Schloss an der Zimmertür pünktlich um 17:30 Uhr, was ich mir mit einem Blick auf meine Armbanduhr bestätigte, mit einem Surren öffnete, stand ich schon bereit davor. Nachdem ich den Beschluss gefasst hatte, die Maske zu besiegen, hatte ich mir einen provisorischen Plan zurechtgelegt. Ich musste zuerst mehr über diesen Ort und die mögliche Verschwörung gegen die Bibliotheken erfahren, um genau zu wissen, was zu tun war. Bis dahin würde ich erstmal tun, was man von mir verlangte. Vorläufig.

Bevor ich auf den Gang trat, schaute ich noch einmal in den Spiegel, der neben ihr hing. Als ich vorhin vom Boden aufgestanden war und mich selbst im Badezimmerspiegel anschauen musste, hatte ich mich ehrlich erschreckt. Die Party, der anschließende Kater und meine Entführung hatten meine Haare fettig, mein Gesicht blass und meine Kleidung schmutzig gemacht. Die Dusche direkt neben mir hatte mich unwiderstehlich angelockt, obwohl ich mir ein bisschen komisch vorgekommen war, sie zu benutzen. Aber wenn ich noch länger hierbleiben musste, würde ich mein Zimmer nicht ewig boykottieren können. Also hatte ich endlich die letzten Stunden von mir abgewaschen und gestaunt, an was Liz oder sonst wer alles gedacht hatte. Mir fehlte es an nichts, sogar eine Auswahl an Make-Up befand sich in einer Schublade und neben dem Wasserhahn lagen eine Zahnbürste plus -pasta. Nach der Dusche hatte ich meine schulterlangen Haare zu zwei Zöpfen geflochten und mir die Zähne geputzt. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, die Klamotten aus dem Schrank anzuziehen. Irgendwie ging das einen Schritt zu weit. Mein eigenes Outfit sah zwar nach dem Kampf im Park ein wenig mitgenommen aus und roch nach Alkohol und Schweiß, aber ich befand es nach einer Menge Deo als tragbar.

So stand ich also zur besagten Zeit vor der Tür und versuchte mich seelisch auf das Kommende vorzubereiten. Was immer auch kommen würde, ich würde es überstehen. Um meiner Familie und der Bibliotheken Willen. Ich nickte mir selbst im Spiegel aufmunternd zu und drückte die Klinge runter.

Den Weg zum Essensraum fand ich ohne Probleme. Von meinem Gang gingen auf beiden Seiten in unregelmäßigen Abständen weitere Nebengänge ab. Probeweise ging ich durch einige davon. Einige führte entweder zu weiteren Gängen, die ich, aus Angst, den Hauptweg zu verlieren, nicht weiterging, andere zu verschlossenen Türen, die man augenscheinlich durch eine Codekarte wie im Hotel öffnen konnte. Ohne ein bisschen Ahnung, welche Gänge wo hinführten, oder so etwas wie einer Karte würde ich mich hier haltlos verlaufen. Alles sah absolut gleich aus. Zu meinem Glück war der Weg von meinem Zimmer zum Speisesaal babyleicht, eigentlich musste man nur geradeaus gehen.

Schließlich stand ich mit einem mulmigen Gefühl vor der großen Flügeltür. Gleich würde ich erfahren, wie viele zu dieser Organisation gehörten, wie viele Feinde ich hatte. Vorsichtig stieß ich eine Seite der Tür einen Spalt auf und lugte hinein. Sofort verließ mich mein Mut. Mit so vielen hatte ich nicht gerechnet. Fast jeder der runden Tische war komplett besetzt, die meisten von jungen Leuten in Trainingsanzügen, aber ich sah auch einige ältere Menschen in Kitteln. Die Stimmung war nicht so bedrohlich, wie ich erwartet hatte. Vor allem die Jüngeren unterhielten sich angeregt und scherzten miteinander. Suchend blickte ich mich nach Liz um und fand sie schließlich im hinteren Teil des Raums, an einem fast leeren Tisch. Ich atmete einmal tief durch, sammelte all den Mut, der beim Anblick der Menschenmasse von mir gewichen war, und trat ganz ein. Mit erhobenem Kopf lief ich auf Liz' Tisch zu, ich wollte mir meine Angst nicht anmerken lassen. Ich verhielt mich einfach so, als würde ich durch die Mensa in meiner Schule gehen, in einer ganz normalen Mittagspause. Als Liz mich auf sich zukommen sah, fing sie an zu strahlen und deutete einladend auf den freien Platz neben sich. Gerade als ich mich setzten wollte, fiel mein Blick auf den Jungen neben ihr.

Ich kannte ihn.

Das kann nicht sein! Wie kommt er hier her? Nein, ich musste mich irren, Seth war schon vor einer Ewigkeit aus meinem Leben verschwunden. Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte ihn an. Die Ähnlichkeit war verblüffend, das gleiche Kinn, die gleichen schmalen Lippen, die gleichen haselnussbraunen Haare. Ich war mir schon sicher gewesen, dass ich ihn verwechselt haben musste, da blickte er zu mir hoch und fing an zu grinsen. Diese Grübchen. Er musste es sein, dieses Lächeln war unverkennbar. Doch im Gegensatz zu früher lag weder Fürsorglichkeit noch Wärme darin. Stattdessen stieß mir eine Wolke von Selbstgefälligkeit entgegen, fast schon Arroganz. Langsam überwand ich meinen Schock und setzte mich zitternd neben Liz. Sie hatte alles beobachtet und guckte fragend zwischen mir und Seth hin und her.

Die Bibliothek (oder auch: die Geschichte aller Geschichten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt