Von dem Ozean und supermodernen Badezimmern

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Widerwillig staunte ich, während wir durch schier endlose Gänge liefen. Alles war weiß, glänzte und obwohl es im Grunde nichts wirklich Teures oder Imposantes, wie Marmortreppen oder Fresken, gab, versetzte einen der Ort trotzdem in Ehrfurcht. Ich fühlte mich wie auf einem Raumschiff aus Star Wars, nur dass das hier real war. „Wir sind gleich da", verkündete Liz, die schnurstracks voraus ging. „Wo sind wir hier eigentlich?", fragte ich und sie zuckte minimal zusammen. „Das weiß ich auch nicht so genau", sie log, das wusste ich. Meine nächste Frage kam selbst mir etwas dumm vor, aber ich wollte unbedingt Gewissheit haben: „Sind wir hier ... auf einem Raumschiff?" Sie fing an zu lachen und die Spannung, die die Lüge bei ihr ausgelöst hatte, fiel sofort von ihr ab. „Auf einem Raumschiff?", sie prustete wieder los „Wohl eher das Gegenteil", sagte sie immer noch lächelnd, während sie eine weiße Flügeltür aufstieß. Ich konnte mir ein leises „Wow" nicht verkneifen. Ein großer Saal mit unzähligen runden Tischen und einer Art Theke befand sich im hinteren Teil des großen Raumes. Es sah aus wie die Mensa in meiner Schule, nur glänzender und ohne den ganzen Müll überall. Eine Sache unterschied diesen Raum allerdings entscheidend von unserer Cafeteria: Die Fenster. Oder eher gesagt der Ausblick, den man durch das Glas hatte. Beim Mittagessen guckte ich normalerweise auf einen öden Schulhof, mit kargen Büschen und zu vielen lärmenden Kindern. Hier stand ich nun aber wie gebannt vor der Scheibe und guckte einem Fisch direkt ins Gesicht. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich weder auf den Gängen noch in dem Raum, in dem ich aufgewacht war, ein Fenster befunden hatte. Jetzt wusste ich, wieso. Fasziniert beobachtete ich das Unterwasserschauspiel, dass sich mir darbot. Fische unterschiedlichster Farben und Größen schwammen allein oder in Schwärmen an mir vorbei, umgeben von dem wohl schönsten Riff, das ich je gesehen hatte. Ich fühlte mich, als wäre ich das Ausstellungsstück, als wäre der Spieß umgedreht. Nicht die Fische stehen in meinem Wohnzimmer, ich stehe in dem ihren.

„Ganz schön beeindruckend, oder?", fragte Liz von der Seite und ich wendete mich wie in Trance von der Scheibe ab. „Allerdings", antwortete ich „Okay, du willst mir nicht sagen, wo wir sind, aber kannst du mir wenigstens sagen was das hier ist?" Sie zögerte, bevor sie etwas sagte, beantwortete mir meine Frage dann allerdings doch noch: „Wir sind auf einer ... Forschungseinrichtung. Ja, genau." Offensichtlich zufrieden mit ihrer Antwort nickte sie vor sich hin. Eine Forschungseinrichtung? Was wollte die Maske hier? Nein, warum durfte die Maske hier sein? Waren solche Einrichtungen nicht von der Regierung?

Plötzlich schien sich Liz an etwas zu erinnern und zog mich aufgeregt wieder auf den Gang. „Ich hab' dir dein Zimmer noch gar nicht gezeigt! Komm mit, du wirst es lieben!" Mein Zimmer? Wie lange sollte - nein musste - ich denn hier bleiben?

„Das habe ich extra für dich vorbereitet, während du äh ...na ja geschlafen hast", stolz führte sie mich durch eine Tür, die gar nicht so anders aussah als eine der Zimmertüren bei mir zu Hause. Nur das Schloss war größer und sah sehr viel sicherer aus. „Ich hoffe du wirst dich hier wohlfühlen", sagte Liz und ich konnte nur mit einem sarkastischen „Klar" antworten. Wie sollte ich mich hier wohlfühlen, wenn ich keinen blassen Schimmer davon hatte wo ich war oder warum meine Feinde mich unbedingt als „Verbündete" brauchten? Falls man mich überhaupt so nennen konnte, immerhin wurde meine Familie bedroht und ich gezwungen, hier zu bleiben.

Liz ignorierte meine Antwort und ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Sie zog mich am Arm weiter ins Zimmer und präsentierte mir das Ergebnis ihrer Arbeit. An jedem Möbelstück hielt sie an und erzählte, was sie für mich daran geändert hatte. „Und hier ist dein Bett, ich habe dir die weichste Bettwäsche rausgesucht, die ich finden konnte und da" - sie zeigte auf etwas auf dem Kissen – „habe ich dir sogar Schokolade hingelegt, wie im Hotel!"

Klar genau so, wenn man mal von den Drohungen und generell den Leuten hier absah.

Ich konnte es gar nicht erwarten, dass sie endlich ging. Sobald ich alleine war, wollte ich sofort abhauen, einen Ausweg finden. Irgendwie musste ich dann auf schnellstem Weg zu meiner Familie, um mit ihr ins Ausland zu flüchten oder uns irgendwo zu verstecken oder... Ich sah ein, mein Fluchtplan war noch sehr unausgereift. Wenn ich plötzlich verschwand, würde die Maske dann auf direktem Weg seine Drohungen wahr machen? Angewidert dachte ich an den detailliert beschriebenen Vorgang der Folter, den die Maske mit so viel Spaß beschrieben hatte. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er alles was er gesagt hatte, ohne zu zögern machen würde. Um dem Ganzen zu entfliehen, würde ich schon einen besseren Plan brauchen.

„Natürlich hast du auch ein eigenes Badezimmer", sagte Liz gerade und deutete auf eine Tür direkt neben dem Bett. Resigniert ging ich darauf zu und trat ein. Das Bad vor mir erinnerte mich wieder daran, dass wir und unter Wasser befanden, denn die Decke und der Fußboden bestanden komplett aus Glas. Ich befand mich in einem schwebenden Raum mitten im Ozean. Unter mir wiegte sich Seetang im Strom des Wassers wie Bäume im Wind. „Ich weiß was du jetzt denkst: So viel Glas in einem Badezimmer? Was wenn mich jemand durch die Fenster beobachtet oder so?", das hatte ich eigentlich nicht gedacht - Ich meine, wer würde mich mitten im Meer beobachten? -, aber Liz redete unbeirrt weiter „Keine Sorge, das Glas lässt sich natürlich abdunkeln", sie klatschte zweimal in die Hände und das Glas wurde sofort schwarz, bis auf einige Lampen die uhrplötzlich an der Decke auftauchten. „Krass, wie modern. Sowas hat eine Forschungsstation?", fragte ich und achtete genau auf ihre Reaktion. Sie nickte „Ja, cool, ne?", diesmal hatte sie nicht zusammengezuckt, wie sie es das letzte Mal beim Lügen getan hatte. Aber die Wahrheit konnte sie auch nicht gesagt haben. „So, ich lass dich jetzt mal allein. Um 17:30 Uhr gibt es Abendessen im Speisesaal, den ich dir schon gezeigt habe. Findest du den Weg dorthin allein oder soll ich dich abholen?" „Geht schon, danke"

Als sie den Raum verlassen hatte, setzte ich mich erschöpft auf das Bett. Die lassen mich einfach so allein? Ich ging zu der Tür, die auf den Gang hinausführte, und rüttelte daran. Verschlossen. Wie eine Gefangene.

Ich sah mich in dem Raum nach Möglichkeiten um, das Schloss zu knacken. Er war wie ein normales Schlafzimmer eingerichtet, mit einem Bett, einem Schrank und sogar einem Schreibtisch. Wie überall hier war alles in Weiß gehalten, mit ein paar blauen Applikationen hier und da. Obwohl ein Blick in den Schrank zeigte viele Klamotten, alle in meiner Größe, aber keinen spitzen oder dünnen Gegenstand, der sich als Dietrich eignete. Das Schloss zu knacken konnte ich wohl vergessen. Was mache ich jetzt? Ich griff in meine hintere Hosentasche, doch wie erwartet war mein Handy nicht da. Da fiel mir wieder ein, dass ich es ja auf der Party verloren hatte. Die Party. Wie lang war sie wohl her? Wie lang war ich bewusstlos gewesen? Des mit allem Notwendigen ausgestattete Zimmer ließ vermuten, dass sie einige Zeit gehabt hatten, sich auf meinen Aufenthalt hier vorzubereiten. Ob meine Familie sich wohl schon Sorgen um mich machte?

Ich ging ins Bad und verdunkelte die Scheiben, um mich weniger beobachtet zu fühlen. In dem nun dunklen Raum fühlte ich mich eindeutig wohler als in der weißen Hölle.

Dennoch sank ich verzweifelt neben dem Klo zusammen und begann haltlos zu heulen. Meine Situation erschien mir durchweg aussichtslos und ich fühlte mich so hilflos wie niemals zuvor. Ich war entführt worden, meine Familie war wegen mir in Gefahr, ich hatte immer noch keine Ahnung, wo der Hüter war und meine Entführer wollten jetzt auch noch, dass ich ihnen half mit einer Gabe, die ich nicht hatte.

Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich so dasaß und mich selbst bemitleidete, aber als ich keine Tränen zum Weinen mehr hatte, entschied ich, dass es genug war. „Heulen half nichts, ich musste mir selbst helfen. Einfach abhauen kam als Plan wohl nicht in Frage, zu hoch war das Risiko, dass die Maske direkt zu meiner Familie rannte und sie umbrachte. Nein, meine einzige Möglichkeit war es, die Maske und diese ganze Organisation irgendwie zu besiegen, die Bibliotheken zu retten. Nur wie?

Die Bibliothek (oder auch: die Geschichte aller Geschichten)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt